Entscheidungsdatum: 11.11.2015
Der Betreiber eines Zolllagers ist nicht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 9. Oktober 2014 4 K 67/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Jahren 1997 und 1998 ein Zolllager Typ D, in dem sie Waren einer Schwestergesellschaft sowie Waren zweier anderer GmbHs einlagerte.
Das zuständige Hauptzollamt (HZA) stellte Fehlmengen fest und setzte aufgrund einer Bestandsaufnahme vom 9. November 1998 durch die Bescheide vom 16. März 1999 und vom 19. März 2001 Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) fest, die das HZA mit Bescheid vom 10. September 2002 herabsetzte. Grundlage für das Entstehen der EUSt war ein Entziehen von Nichtgemeinschaftsware aus der zollamtlichen Überwachung. Die Klägerin entrichtete die EUSt in Teilbeträgen in den Streitjahren 2002 bis 2008 und nahm im Umfang dieser Zahlungen den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vor. Den Vorsteuerabzug beanstandete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), da der Klägerin nicht die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für den Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer erforderliche Verfügungsmacht zugestanden habe, und erließ am 12. März 2010 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Einspruch und Klage beim Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg.
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 258 veröffentlichten Urteil des FG ist der Betreiber eines Zolllagers im Hinblick auf die ihm gegenüber gemäß Art. 203 Zollkodex i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG festgesetzte EUSt nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG berechtigt, wenn er keine Verfügungsbefugnis an den eingeführten Waren hatte. Das Erfordernis einer Verfügungsmacht ergebe sich sowohl aus der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erforderlichen Einfuhr für das Unternehmen wie auch aus dem unionsrechtlichen Kriterium der Verwendung eingeführter Gegenstände für Zwecke der besteuerten Umsätze. Abweichendes ergebe sich weder aus den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) noch aus denen der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL).
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass sie zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Es komme auf eine Einfuhr für das Unternehmen und für Zwecke besteuerter Umsätze an. Die Inanspruchnahme des Zolllagerinhabers aufgrund zollrechtlicher Verfehlungen erfolge für Zwecke seines Unternehmens. Der direkte Zusammenhang zum Unternehmen der Klägerin ergebe sich daraus, dass nur Unternehmer zum Betrieb eines Zolllagers berechtigt seien. Es handele sich daher um Kosten ihrer allgemeinen Unternehmenstätigkeit. Der Unternehmer dürfe durch die Umsatzsteuer nicht belastet werden. Dies ergebe sich zumindest aus dem Unionsrecht.
Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Juni 2015 das Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung bis zu einer Entscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-187/14 DSV Road A/S angeordnet. Mit Urteil vom 25. Juni 2015 C-187/14 (EU:C:2015:421) hat der EuGH in dieser Rechtssache entschieden, dass Art. 168 Buchst. e MwStSystRL
"einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Abzug der vom Beförderer der betreffenden Waren, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat, geschuldeten Einfuhrumsatzsteuer ausschließt".
Nach Auffassung der Klägerin besteht der für den Vorsteuerabzug erforderliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen der Einfuhrumsatzsteuer und ihren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen aus der Einlagerung von Waren in ihr Zolllager. Dies ergebe sich aus ihrer Gewinn- und Verlustrechnung. Ohne ihre Tätigkeit als Zolllagerinhaber wäre sie nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer geworden. Maßgeblich sei ihre betriebswirtschaftliche Kostenrechnung und ihr kalkulatorisches Risiko. Zwar habe das FG festgestellt, dass sie nicht zivilrechtlicher Eigentümer der eingelagerten Gegenstände gewesen sei. Sie habe aber zumindest an den Waren der A-GmbH wirtschaftliches Eigentum gehabt. Sie sei ermächtigt gewesen, über diese Waren zu verfügen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2008 vom 12. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2013 aufzuheben.
Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Die Einfuhr für das Unternehmen erfordere Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand. Hieran fehle es, da der Lagerhalter die eingeführten Gegenstände nicht erwerbe. Aus dem EuGH-Urteil DSV Road A/S (EU:C:2015:421) ergebe sich, dass die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei.
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug aus der ihr gegenüber festgesetzten Einfuhrumsatzsteuer berechtigt ist.
1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG konnte der Unternehmer "die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen in das Inland eingeführt worden sind", als Vorsteuer abziehen. Seit 2004 bestand das Abzugsrecht des Unternehmers für "die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 eingeführt worden sind".
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG beruht unionsrechtlich zunächst auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG und ab 2007 auf Art. 168 Buchst. e MwStSystRL. Durch den Übergang von der Richtlinie 77/388/EWG zur MwStSystRL ist es nicht zu inhaltlichen Änderungen gekommen. Unionsrechtlich besteht danach das Abzugsrecht des Steuerpflichtigen (Unternehmers), für "die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist", soweit "die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden".
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG voraus, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht. Daran fehlt es z.B., wenn ein ausländischer Unternehmer einem inländischen Unternehmer einen Gegenstand zur Nutzung überlässt, ohne ihm die Verfügungsmacht an dem Gegenstand zu verschaffen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. März 1993 V R 65/89, BFHE 170, 481, BStBl II 1993, 473). Hieran hat sich durch die in 2004 in Kraft getretene Neuregelung nichts geändert. Sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage kommt es auf eine Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten an.
3. Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsprechung --unter Aufgabe der im Urteil vom 23. September 2004 V R 58/03 (BFH/NV 2005, 825) geäußerten Zweifel-- auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Vorgaben fest.
a) Zum Unionsrecht hat der EuGH im Urteil DSV Road A/S (EU:C:2015:421) entschieden, dass Art. 168 Buchst. e MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Abzug der vom Beförderer (der betreffenden Waren, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat) geschuldeten Einfuhrumsatzsteuer ausschließt.
Zur Begründung weist der EuGH in Rz 49 f. seines Urteils DSV Road A/S (EU:C:2015:421) darauf hin, dass nach dem Wortlaut von Art. 168 Buchst. e MwStSystRL ein Recht auf Vorsteuerabzug nur besteht, soweit die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zum Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer sei diese Voraussetzung nur erfüllt, wenn die Kosten der Eingangsleistungen Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen fänden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefere oder erbringe. Daher bestehe kein Abzugsrecht nach Art. 168 Buchst. e MwStSystRL, wenn der Wert der beförderten Waren nicht zu den Kosten gehöre, die in die von einem Beförderer, dessen Tätigkeit sich auf die entgeltliche Beförderung dieser Waren beschränke, in Rechnung gestellten Preise einflössen.
Dementsprechend verneint der EuGH das Abzugsrecht des Beförderers, der Nichtgemeinschaftsware in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befördert, wobei er die sich aus diesem Verfahren ergebenden Verpflichtungen verletzt und deshalb in Bezug auf die von ihm beförderte Ware für Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen wird.
b) Die EuGH-Rechtsprechung gibt keinen Anlass, auf das Auslegungsmerkmal der Verfügungsmacht zu verzichten. Es ist lediglich unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils DSV Road A/S (EU:C:2015:421) dahingehend zu präzisieren, dass die für den Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG maßgebliche Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten dann vorliegt, wenn die Einfuhrumsatzsteuer Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen findet, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefert bzw. erbringt.
4. Im Streitfall gehört die Einfuhrumsatzsteuer nicht zu den Kostenelementen der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin als Betreiberin eines Zolllagers. Für sie gilt dasselbe wie für den Beförderer eingeführter Gegenstände, für den der EuGH im Urteil DSV Road A/S (EU:C:2015:421) den Vorsteuerabzug aus der Einfuhrumsatzsteuer verneint. Wie sich aus Rz 18 und 48 dieses EuGH-Urteils ergibt, genügt es für eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer als "Einführer" nicht, dass die Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt wird. Die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der Klägerin macht diese daher nicht zum Einführer.
Gegenteiliges ergibt sich unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils DSV Road A/S (EU:C:2015:421) auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Weiterbelastung von Kosten durch den Beförderer oder Lagerhalter an den jeweiligen Auftraggeber.
5. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Allein das Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer reicht für einen Vorsteuerabzug nach dem EuGH-Urteil DSV Road A/S (EU:C:2015:421) gerade nicht aus. Soweit die Klägerin nunmehr geltend macht, dass ihr die nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung maßgebliche Verfügungsmacht zugestanden habe, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen ist (BFH-Urteil vom 22. August 2013 V R 30/12, BFHE 243, 35, BStBl II 2014, 133, unter II.2.c bb).
Das FG hat die Klage somit zu Recht abgewiesen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.