Entscheidungsdatum: 27.03.2019
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Muss ein Steuerpflichtiger, der einen Investitionsgegenstand im Hinblick auf eine steuerpflichtige Verwendung mit Recht auf Vorsteuerabzug herstellt (hier: Errichtung eines Gebäudes zum Betrieb einer Cafeteria), den Vorsteuerabzug nach Art. 185 Abs. 1 und Art. 187 MwStSystRL berichtigen, wenn er die zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsatztätigkeit (hier: Betrieb der Cafeteria) einstellt und der Investitionsgegenstand im Umfang der zuvor steuerpflichtigen Verwendung nunmehr ungenutzt bleibt ?
II. Az. beim EuGH: C-374/19
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Muss ein Steuerpflichtiger, der einen Investitionsgegenstand im Hinblick auf eine steuerpflichtige Verwendung mit Recht auf Vorsteuerabzug herstellt (hier: Errichtung eines Gebäudes zum Betrieb einer Cafeteria), den Vorsteuerabzug nach Art. 185 Abs. 1 und Art. 187 MwStSystRL berichtigen, wenn er die zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsatztätigkeit (hier: Betrieb der Cafeteria) einstellt und der Investitionsgegenstand im Umfang der zuvor steuerpflichtigen Verwendung nunmehr ungenutzt bleibt?
II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Organträgerin einer GmbH, die ein Alten– und Pflegeheim steuerfrei betreibt. Im Jahr 2003 errichtete die GmbH in einem Anbau eine Cafeteria, die für Besucher durch einen Außeneingang und für Heimbewohner durch den Speisesaal des Pflegeheims zugänglich war.
Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass sie die Cafeteria ausschließlich für steuerpflichtige Umsätze nutze. Nach einem vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Prüfungsvermerk des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wurden in der Cafeteria keine getrennten Aufzeichnungen geführt, da die Heimbewohner nach den Angaben der Klägerin die Cafeteria überhaupt nicht frequentierten. Der weitaus größte Teil sei körperlich so eingeschränkt, dass an einen Besuch der Cafeteria nicht zu denken sei. Besuch von Verwandten, Freunden und Bekannten würden nur die wenigsten erhalten. Und die würden dann auch noch in dem neu angebauten Speisesaal bleiben, da dieser auch als Aufenthaltsraum diene und es dort zudem Kaffee und teilweise Kuchen kostenlos gäbe. Die Cafeteria an sich sei nur für auswärtige Gäste gedacht gewesen, die dann möglichst nicht neben einem Heimbewohner in Pantoffeln und Bademantel sitzen sollten. Nach dem Vermerk handelte es sich um Argumente, denen sich das FA im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht verschließen konnte. Nichtsdestotrotz erschien es dem FA unwahrscheinlich, dass überhaupt keine Heimbewohner mit ihren Besuchern die Cafeteria aufsuchten und nutzten. Daraufhin kam es zu einer Verständigung, eine steuerfreie Nutzung der Cafeteria zu 10 % anzunehmen. Dies führte zur Annahme einer Berichtigung nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die Jahre ab 2003.
Im Anschluss an eine Außenprüfung ging des FA davon aus, dass die GmbH in den Streitjahren 2009 bis 2012 in der Cafeteria keine Warenumsätze mehr ausgeführt habe. Im Februar 2013 sei das diesbezügliche Gewerbe abgemeldet worden. Dies habe zu einer weiter gehenden Berichtigung nach § 15a UStG geführt, da jetzt überhaupt keine Nutzung für Umsätze mit Recht auf Vorsteuerabzug vorliege.
Einspruch und Klage zum FG hatten keinen Erfolg. Das FG ging in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 338 veröffentlichten Urteil von einer Betriebseinstellung in den Streitjahren aus. Zwar sei ein Leerstehen von Räumlichkeiten kein Umsatz und trete durch einen Leerstand keine Änderung der Verhältnisse ein. Abzustellen sei aber auf die Verwendungsabsichten. Diese hätten sich geändert, da die Absicht zur Nutzung für steuerpflichtige Bewirtungsumsätze entfallen sei. Die Cafeteria habe nicht gänzlich leer gestanden, sondern sei nunmehr ausschließlich steuerfrei durch die Heimbewohner genutzt worden. Da eine umsatzsteuerpflichtige Nutzung durch auswärtige Besucher weggefallen sei, hätten sich zwangsläufig die Nutzungsanteile dahingehend geändert, dass nunmehr die Heimbewohner diese zu 100 % nutzen. Eine Nutzung zu anderen Zwecken als zu umsatzsteuerfreien Zwecken liege nicht vor.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Werde ein Gegenstand des Unternehmensvermögens ohne private Nutzungsmöglichkeit nicht mehr verwendet, liege keine Nutzungsänderung vor, die zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG führe. Die Cafeteria sei eine Fehlinvestition. Der möglichen Nutzung durch das Altenheim sei Rechnung getragen worden. Eine Fehlinvestition dürfe aus Gründen der steuerlichen Neutralität nicht zu einer Vorsteuerberichtigung führen. Es handele sich um eine voll funktionsfähige Cafeteria. Die Nutzung durch die Heimbewohner beschränke sich immer noch auf 10 %. Die Annahme einer weiter gehenden Nutzung widerspreche den tatsächlichen Gegebenheiten. Schon aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Unfallverhütung sei der Zugang zur Cafeteria verschlossen gewesen. Die Ablehnung einer Teilwertabschreibung belege, dass noch eine Absicht zur Nutzung bestehe. Hiergegen wendet das FA ein, dass sich die Nutzung geändert habe, da die Absicht, steuerpflichtige Umsätze auszuführen, entfallen sei. Daher liege nur noch eine Verwendung für steuerfreie Umsätze vor.
II.
Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Leitsatz bezeichnete Frage zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
1. Rechtlicher Rahmen
a) Unionsrecht
Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt:
"Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten."
Art. 187 MwStSystRL lautet wie folgt:
"(1) Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.
Die Mitgliedstaaten können jedoch für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung dieser Güter beginnt.
Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden.
(2) Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel beziehungsweise im Falle der Verlängerung des Berichtigungszeitraums den entsprechenden Bruchteil der Mehrwertsteuer, mit der diese Investitionsgüter belastet waren.
Die in Unterabsatz 1 genannte Berichtigung erfolgt entsprechend den Änderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug, die in den folgenden Jahren gegenüber dem Recht für das Jahr eingetreten sind, in dem die Güter erworben, hergestellt oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurden."
b) Nationales Recht
§ 15a Abs. 1 UStG ordnet an:
"Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren."
2. Zur Vorlagefrage
a) Willensunabhängige Erfolglosigkeit
Klärungsbedürftig und nach Auffassung des Senats durch den EuGH zu entscheiden ist, ob eine vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängige Erfolglosigkeit, die zu einer bloßen Nichtnutzung eines Investitionsguts führt, eine Änderung der Faktoren bewirkt, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt wurden (Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL).
aa) Der Unternehmer wird durch den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet. Damit wird völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleistet, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH-Urteile Centralan Property vom 15. Dezember 2005 C-63/04, EU:C:2005:773, Rz 51, und Imofloresmira - Investimentos Imobiliários vom 28. Februar 2018 C-672/16, EU:C:2018:134, Rz 38).
bb) Dabei bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erhalten, wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, später aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwenden konnte (EuGH-Urteile INZO vom 29. Februar 1996 C-110/94, EU:C:1996:67, Rz 20; Ghent Coal Terminal vom 15. Januar 1998 C-37/95, EU:C:1998:1, Rz 19 f., und Imofloresmira - Investimentos Imobiliários, EU:C:2018:134, Rz 40 und 42). Andernfalls käme es entgegen dem Grundsatz der Neutralität zu willkürlichen Unterscheidungen, da die endgültige Zulassung der Abzüge davon abhinge, ob Investitionen zu steuerbaren Umsätzen führen (EuGH-Urteile INZO, EU:C:1996:67, Rz 22, und Imofloresmira - Investimentos Imobiliários, EU:C:2018:134, Rz 43). Es ist daher mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht vereinbar, die endgültige Zulassung der Vorsteuerabzüge von den Ergebnissen der vom Steuerpflichtigen ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit abhängig zu machen. Dies führe zu ungerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen mit demselben Profil und derselben Tätigkeit in Bezug auf die steuerliche Behandlung von identischen Immobilieninvestitionstätigkeiten (EuGH-Urteil Imofloresmira - Investimentos Imobiliários, EU:C:2018:134, Rz 44).
b) Gleichstellung absichtsloser Nichtverwendung und Nichtverwendung in Absicht steuerpflichtiger Verwendung
Die vom Willen des Unternehmers unabhängige Nichtverwendung ohne weitere Nutzungsabsicht kann einer Nichtverwendung trotz Absicht zu einer steuerpflichtigen Nutzung, wie sie dem EuGH-Urteil Imofloresmira - Investimentos Imobiliários (EU:C:2018:134) zugrunde lag, gleichzustellen sein.
Hat der Unternehmer in der Absicht einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Nutzung ein Wirtschaftsgut hergestellt und kann er die beabsichtigte Nutzung wegen einer von seinem Willen unabhängigen Erfolglosigkeit nicht dauerhaft verwirklichen, würde das sich hieraus ergebende Fehlen jeglicher Nutzung und jeglicher Verwendungsabsicht keine Änderung der Verhältnisse bewirken, die zu einer Vorsteuerberichtigung führt.
3. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Die bereits in den Streitjahren bestehende Schließung des Betriebs der Cafeteria beruhte nach den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) auf der fehlenden wirtschaftlichen Rentabilität und damit auf der Erfolglosigkeit der Klägerin, die für sich genommen keine Änderung der Verhältnisse begründete.
Die Schließung des Betriebs der Cafeteria führte nicht dazu, dass eine ausschließlich steuerfreie Nutzung durch die Heimbewohner vorlag. Denn durch die Betriebsschließung hat sich der Umfang der steuerfreien Verwendung durch die Heimbewohner nicht geändert. Diese blieb vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände, die nach dem vom FG in Bezug genommenen Prüfungsvermerk zur Annahme einer steuerfreien Mitverwendung führten, unverändert. Die Nutzung für den steuerpflichtigen Betrieb der Cafeteria entfiel ersatzlos, ohne dass an die Stelle dieser bisherigen Verwendung eine erhöhte Nutzung durch die Heimbewohner trat. Somit lag neben der unveränderten Nutzung durch die Heimbewohner statt des früheren Betriebs der Cafeteria ein nunmehr brachliegender Betrieb mit insoweit ungenutzten Räumlichkeiten vor. Es könnte rechtsfehlerhaft sein, die so unterbleibende Nutzung dahingehend zu deuten, dass nunmehr eine ausschließliche Nutzung für steuerfreie Zwecke vorliegt.
Sonstige Umstände, die zu einer Vorsteuerberichtigung führen könnten, sind nicht gegeben. Insbesondere ist die bisherige Nutzung nicht durch eine andersartige steuerfreie Verwendung wie etwa bei einer nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Vermietung der Räumlichkeiten ersetzt worden, die dann trotz Erfolglosigkeit der ursprünglichen Verwendungsabsicht zu einer Vorsteuerberichtigung führen würde.
Auch eine Privatverwendung oder sonstige Nutzung des Anbaus, die nach Erfolglosigkeit eine Entnahme gemäß § 3 Abs. 1b UStG begründen könnte, die bei ihrer Steuerfreiheit eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 8 UStG bewirkt, ist nicht ersichtlich. Insbesondere blieb der Anbau im Hinblick auf die fortgesetzte Mitnutzung durch die Heimbewohner Unternehmensgegenstand und war nicht Gegenstand einer Entnahme.
4. Zum Rechtsgrund der Vorlage
Die Vorlage beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
5. Zur Verfahrensaussetzung
Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO.