Entscheidungsdatum: 24.11.2011
NV: Eine GmbH ist nicht finanziell in eine Personengesellschaft eingegliedert, wenn mehrere Gesellschafter nur gemeinsam über die Anteilsmehrheit an der GmbH und der Personengesellschaft verfügen .
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Personenhandelsgesellschaft, war über ihre Gesellschafter mehrheitlich an einer GmbH beteiligt. Wie das Finanzgericht (FG) durch Bezugnahme auf einen Außenprüfungsbericht festgestellt hat, waren an der Klägerin zwei Gesellschafter zu je 50 % beteiligt, die zusammen auch über eine Mehrheitsbeteiligung an der GmbH verfügten.
Aufgrund von Außenprüfungen bei der Klägerin und der GmbH ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Klägerin entgegen der bisherigen Beurteilung umsatzsteuerrechtlich Organträger der GmbH sei. Nach dem Bericht über die bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung wurden die Ausgangs- und Eingangsumsätze für die Klägerin und die GmbH zunächst getrennt ermittelt und dann zusammengefasst. Bei den aufgrund der Außenprüfung für die Klägerin ergangenen Umsatzsteueränderungsbescheiden 1998 bis 2000 vom 29. Juli 2004, mit denen der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, blieben die Innenumsätze mit der GmbH, aber auch die Ausgangs- und Eingangsumsätze der GmbH bei der Klägerin unberücksichtigt.
Für die GmbH ergingen Umsatzsteueränderungsbescheide 1998 bis 2000 vom 18. Mai 2005, bei denen die Innenumsätze mit der Klägerin gleichfalls nicht erfasst, der GmbH aber ihre sonstigen Ausgangs- und Eingangsumsätze weiterhin zugerechnet wurden. Die GmbH legte hiergegen Einspruch ein, da sie als Organgesellschaft der Klägerin zu behandeln sei. Das FA folgte dem und hob am 14. Juni 2006 (Umsatzsteuer 2000) und 7. Juli 2006 (Umsatzsteuer 1998 und 1999) die für die GmbH ergangenen Umsatzsteuerbescheide ersatzlos auf. Bereits am 12. Juni 2006 (Umsatzsteuer 2000) und 22. Juni 2006 (Umsatzsteuer 1998 und 1999) hatte das FA die für die Klägerin ergangenen Umsatzsteuerbescheide 1998 bis 2000 nach § 174 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) geändert und die Ausgangs- und Eingangsumsätze der GmbH aufgrund der Organschaft nunmehr bei der Klägerin erfasst. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das FG war der Auffassung, dass das FA zur Änderung nach § 174 Abs. 3 AO berechtigt sei, da das FA bei Erlass der Änderungsbescheide vom 29. Juli 2004 offensichtlich angenommen habe, die Umsätze und Vorsteuerbeträge der GmbH seien trotz der Organschaft weiterhin bei der GmbH zu erfassen. Zwar hätte die unbestrittene Organschaft zwischen der Klägerin und der GmbH grundsätzlich dazu führen müssen, die Umsätze und Vorsteuerbeträge der GmbH als Organgesellschaft bei der Klägerin als Organträger zu berücksichtigen. Es seien jedoch Fälle bekannt, bei denen eine erst nachträglich festgestellte Organschaft aus Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgründen im beiderseitigen Einvernehmen zwischen Unternehmen und Finanzbehörde "bescheidmäßig" erst für zukünftige Veranlagungszeiträume umgesetzt worden sei und umsatzsteuerrechtliche Folgerungen aus der Organschaft für vergangene Zeiträume nur durch eine Korrektur der Innenumsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft gezogen worden seien, so dass die Rechtsfolgen der Organschaft zwar nicht "bescheidmäßig", jedoch betragsmäßig im Wege der Saldierung der Umsatzsteuerfestsetzungen des Organträgers und der Organgesellschaft umgesetzt worden seien. Ob dies auch im Streitfall vereinbart worden sei, sei zwar nicht bekannt, könne jedoch offen bleiben, da § 174 Abs. 3 AO sowohl auf die Fälle sachlicher Fehlbeurteilungen als auch auf die Fälle rechtlicher Fehlbeurteilungen anzuwenden sei.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass der die Steuerfestsetzung durchführende Bearbeiter des FA keine bewusste Entscheidung über die Nichtberücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts getroffen habe. Die Annahmen des FG würden weder durch den Akteninhalt noch durch sonstige Beweise gestützt. Die eigene Erfahrung des FG sei insoweit unerheblich. Es seien nur falsche rechtliche Schlussfolgerungen gezogen worden. Bei Erlass der angefochtenen Bescheide habe bereits Festsetzungsverjährung vorgelegen. Das FG habe auch gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßen und bei seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999 vom 22. Juni 2006 und den Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 12. Juni 2006, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2007 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Umsätze und Vorsteuerbeträge der GmbH seien in der Annahme nicht berücksichtigt worden, dass diese bei der GmbH zu erfassen seien. Der Sachbearbeiter sei der Auffassung gewesen, dass trotz bestehender Organschaft weiterhin eine getrennte Veranlagung zu erfolgen habe. Ein Rechtsfehler stehe der Anwendung von § 174 Abs. 3 AO nicht entgegen. Die Nichtberücksichtigung sei für die Klägerin auch erkennbar gewesen. Der Eintritt der Festsetzungsfrist sei unerheblich.
II. Die Revision der Klägerin ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des FG und die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Auf die im bisherigen Verfahren strittige Frage, ob das FA zur Änderung der angefochtenen Bescheide nach § 174 Abs. 3 AO berechtigt war, kommt es nicht an, da zwischen der Klägerin und der GmbH keine Organschaft besteht.
1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft). Gemeinschaftsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Zwar kann im Hinblick auf die gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG "nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse" vorzunehmende Beurteilung eine Organgesellschaft auch dann unselbständig sein, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ausgeprägt ist. Nicht ausreichend ist jedoch, dass die Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Eingliederungsmerkmale besteht (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133, unter II.a; vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534, unter II.2.a; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a bb; vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.1.b; vom 14. Februar 2008 V R 12 und 13/06, BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.d; vom 3. April 2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.a).
2. Im Streitfall scheitert die vom FA und vom FG angenommene Organschaft am Erfordernis der finanziellen Eingliederung. Nach dem Urteil des Senats vom 22. April 2010 V R 9/09 (BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597) kann eine GmbH nicht finanziell in eine Personengesellschaft eingegliedert sein, wenn mehrere Gesellschafter nur gemeinsam über die Anteilsmehrheit an der GmbH und der Personengesellschaft verfügen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf dieses Urteil, mit dem er seine frühere Rechtsprechung, nach der in derartigen Fällen eine Organschaft in Betracht kam, aufgegeben hat. Da im Streitfall die beiden Gesellschafter der Klägerin nur gemeinsam über eine finanzielle Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin und an der GmbH verfügten, war die GmbH nicht mittelbar über ihre Gesellschafter in die Klägerin eingegliedert (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 6. Mai 2010 V R 24/09, BFH/NV 2011, 76, und vom 10. Juni 2010 V R 62/09, BFH/NV 2011, 79).
3. Entgegen der Auffassung des FA ist es für den Streitfall unerheblich, dass die Finanzverwaltung im Hinblick auf das Senatsurteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597 eine zeitliche Anwendungsregelung erlassen hat (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Juli 2011, BStBl I 2011, 703), nach der für die Zurechnung von vor dem 1. Januar 2012 ausgeführten Umsätzen eine von diesem Senatsurteil abweichende Beurteilung nicht beanstandet wird, da die Klägerin diese Nichtbeanstandungsregelung für sich nicht in Anspruch genommen hat.