Entscheidungsdatum: 21.06.2017
NV: Ob eine geprüfte Heilpädagogin, die von einer gemeinnützigen Körperschaft mit der fachgerechten Durchführung heilpädagogischer Frühfördermaßnahmen beauftragt wird, Unternehmerin ist, hängt von der Beurteilung der einzelnen Merkmale ab, die für und gegen die Selbständigkeit ihrer Tätigkeit sprechen .
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10. Dezember 2015 16 K 253/15 aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) im Jahr 2011 (Streitjahr) mit ihrer Tätigkeit als Heilpädagogin steuerfreie Umsätze ausgeführt hat.
Die Klägerin ist geprüfte Heilpädagogin. Sie wurde von der Lebenshilfe X gemeinnützige GmbH (GmbH) auf der Grundlage eines am 6. Februar 2006 vereinbarten Vertrages über freie Mitarbeit mit der fachgerechten Durchführung heilpädagogischer Frühförderungsmaßnahmen beauftragt.
Nach § 3 des Vertrages umfasste ihre Tätigkeit folgende Aufgabenbereiche: Die unmittelbar mit dem Kind durchzuführende heilpädagogische Einzelförderung und deren Dokumentation, die Beratung und Begleitung der Eltern, die notwendige interdisziplinäre Kooperation, das Abfassen und die Fortschreibung von Förderplänen, die Erstellung von Entwicklungsberichten, die im Kostenanerkenntnis gefordert sind, die Erstellung eines Abschlussberichts bei Beendigung der Frühfördermaßnahme und das Führen des Nachweises der Leistungserbringung.
Als Vergütung erhielt die Klägerin von der GmbH für jede nachgewiesene Fachleistungsstunde ein Honorar von 40 € zuzüglich einer Kilometerpauschale von 0,27 € pro gefahrenem Kilometer. Die GmbH rechnete die Leistungen gegenüber dem Träger der Sozialhilfe als Eingliederungshilfe mit einem vereinbarten Pflegesatz nach §§ 53, 54 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch --Sozialhilfe-- (SGB XII) i.V.m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 2, 56 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch --Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen-- vom 19. Juni 2001 ab.
In ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr (2011) gab die Klägerin steuerfreie Umsätze in Höhe von 40.891 € (brutto) an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte den Angaben der Klägerin nicht und unterwarf die von ihr erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1471 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen aus, die Leistungen der Klägerin seien zwar weder nach § 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (UStG) noch gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG steuerfrei. Die Klägerin könne sich aber unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (MwStSystRL) berufen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA: Eine unmittelbare Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL komme nicht in Betracht. Denn der Gesetzgeber habe mit der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Regelung in § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. a bis l UStG von der ihm eingeräumten Ermächtigung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL Gebrauch gemacht, um die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit festzulegen. Dabei habe der Gesetzgeber sein Ermessen richtlinienkonform ausgeübt.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aufgrund einer Prüfung durch die Rentenversicherung dürfe sie nicht mehr als freie Mitarbeiterin tätig werden, sondern führe die im Streitfall ausgeübte Haupttätigkeit fortan lediglich als Angestellte der GmbH aus.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG verletzt. Denn sie hat nicht erkannt, dass die Beschränkung der Umsatzsteuerfreiheit für Eingliederungsleistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG auf die Leistungen von Unternehmern, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht, unionsrechtskonform und eine über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinausgehende Steuerfreiheit unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL unionsrechtlich nicht geboten ist. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf sein Grundsatzurteil vom 9. März 2017 V R 39/16 (BFHE 257, 456, BFH/NV 2017, 1141).
2. Die Sache ist aber nicht spruchreif. Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht in der Sache selbst entscheiden. Obschon eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII mit der Klägerin danach nicht abgeschlossen wurde, erlauben diese Feststellungen keine abschließende Entscheidung darüber, ob die Klägerin im Streitjahr als Unternehmerin steuerbare Umsätze ausgeführt hat. Hier wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin nach eigenem Bekunden dieselbe Tätigkeit nunmehr als Angestellte der GmbH fortsetzt. Der Senat kann als Revisionsinstanz aber nicht selbst beurteilen, ob und inwieweit die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung als unselbständig gegen die Unternehmereigenschaft der Klägerin bereits im Streitjahr spricht. Das FG wird die Feststellungen hierzu in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Hierbei wird es die Maßstäbe zu berücksichtigen haben, die der Bundesfinanzhof insbesondere in seinem Urteil vom 22. Juni 2016 V R 46/15 (BFHE 254, 272, Rz 18 ff., m.w.N.) dargelegt hat.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.