Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 27.03.2019


BFH 27.03.2019 - V R 19/17

Berufsbetreuer und Bestandskraft


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
27.03.2019
Aktenzeichen:
V R 19/17
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2019:B.270319.VR19.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Nürnberg, 27. September 2016, Az: 2 K 514/15, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 172ff AO

Leitsätze

NV: Ein Steuerbescheid ist auch bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar, da das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche ohne Verstoß gegen das Unionsrecht abschließend regelt .

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 27. September 2016 2 K 514/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 2004 und 2005 als Berufsbetreuer tätig. Der am 8. Dezember 2006 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 entsprach der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit Änderungsbescheid vom 5. Dezember 2007. Der am 8. Dezember 2006 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2005 stimmte das FA ohne Änderung zu.

2

Mit Schreiben vom 28. November 2012 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11 (EU:C:2012:716) die "Erstattung" der für die Jahre 2005 bis 2009 geleisteten Umsatzsteuerzahlungen, da seine Leistungen zwar nicht nach dem in den Streitjahren geltenden nationalen Recht, aber nach Art. 13 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei seien.

3

Das FA lehnte dies für das Streitjahr 2005 --anders als für die Folgejahre-- ab. Auch einen Antrag vom 6. Juni 2013 für das Streitjahr 2004 sah das FA als unbegründet an. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg.

4

Das Finanzgericht (FG) begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1496 veröffentlichtes Urteil damit, dass nach §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung keine Möglichkeit zur Änderung der Steuerbescheide bestehe. Eine abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil Emmott vom 25. Juli 1991 C-208/90 (EU:C:1991:333) oder der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). In Bezug auf einen nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz ging das FG im Rahmen der Urteilsbegründung davon aus, dass es nach seiner Rechtsauffassung auf den dortigen Vortrag des Klägers zum Vormünder- und Betreuer-Vergütungsgesetz und die Möglichkeit einen Vergütungsantrag als Rechnung anzusehen, nicht ankomme.

5

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Das FG habe in gesetzwidriger Besetzung geurteilt. In die Beurteilung seines Vortrags in dem nachgereichten Schriftsatz seien die ehrenamtlichen Richter nicht einbezogen gewesen. Als "Kammertorso" könne das Urteil aufgrund einer "Kammeramputation" keine Bestandskraft entfalten. EuGH- und BFH-Urteile seien als rückwirkende Ereignisse i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzusehen. Es "verstrichen immerhin 20 Jahre (!) bis die einschlägige Europa-Richtlinie in der BRD durchdrang", was im Sinne des EuGH-Urteils Emmott (EU:C:1991:333) zu berücksichtigen sei. Der Fristenlauf habe aufgrund von EuGH- und BFH-Rechtsprechung erst 2012 begonnen. Aufgrund eines daher fehlenden Rechtsgrunds sei auch keine Erstattungsverjährung eingetreten. Werde das FA innerhalb der Erstattungsfrist zur Zahlung aufgefordert, genüge dies zur Fristenhemmung. Eine Zahlung sei nach § 37 Abs. 2 AO ohne rechtlichen Grund geleistet, wenn sie den materiell-rechtlichen Anspruch übersteigt. Auch nach der formellen Rechtsgrundtheorie sei zu erstatten, da im Hinblick auf das übergeordnete und bindende Europarecht bereits die formellen Voraussetzungen für die Erhebung der Umsatzsteuer fehlten. Das FG habe sich zudem nicht mit der Frage beschäftigt, ob das FA einen Abrechnungsbescheid hätte erlassen müssen. Es gebe auch Erstattungsansprüche für deren Verwirklichung es keines vorangehenden Steuerbescheids bedürfe. Aufgrund seiner Anspruchsanzeige mit dem Hinweis auf ein EuGH-Verfahren vom 28. November 2012 sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Im Streitfall sei die Steuer von vornherein rechtsgrundlos erhoben worden.

6

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, den Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 5. Dezember 2007 und den nie förmlich erlassenen Umsatzsteuerbescheid 2005 für nichtig zu erklären und das FA anzuweisen, die als Umsatzsteuer deklarierten und hinterlegten Geldbeträge der Jahre 2004 und 2005 zzgl. Zinsen herauszugeben.

7

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Es liege kein Verfahrensmangel vor. Der Erstattung stünden die bestandskräftigen Steuerfestsetzungen für die Streitjahre entgegen. Festsetzungsverjährung sei eingetreten. Es liege kein rückwirkendes Ereignis vor.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

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1. Wie das FG in seinem Urteil S. 6 zutreffend ausgeführt hat, ist mit Ablauf des 31. Dezember 2010 Festsetzungsverjährung für beide Streitjahre eingetreten, so dass der Kläger alle weiteren Verfahrenshandlungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist vorgenommen hat. Daher ist seinem Änderungsverlangen nach nationalem Verfahrensrecht nicht nachzukommen. Das FG hat weiter zutreffend unter Bezugnahme auf die BFH-Rechtsprechung entschieden, dass eine Änderung der Rechtsprechung kein rückwirkendes Ereignis begründet (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399, unter II.2.).

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2. Der erkennende Senat hat bereits ausdrücklich entschieden, dass ein Steuerbescheid auch bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar ist, da das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend regelt, und dass nach den Vorgaben des Unionsrechts das steuerrechtliche Verfahrensrecht auch keine weitergehenden Korrekturmöglichkeiten für Steuerbescheide vorsehen muss (BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, Leitsatz). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem EuGH-Urteil Emmott (EU:C:1991:333; BFH-Urteil in BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.3.). Ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Ablaufs einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist wissen konnte oder wissen musste, dass eine Steuerbefreiung nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG unmittelbar zu seinen Gunsten anwendbar ist, spielt keine Rolle. Sieht der Steuerpflichtige von der Einlegung von Rechtsmitteln ab, nimmt er den Eintritt der Bestandskraft auch für den Fall einer späteren Rechtsprechungsänderung bewusst in Kauf (BFH-Urteil in BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.5.c cc).

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3. Auf die Überlegungen des Klägers zu § 37 Abs. 2 AO kommt es nicht an. Denn ein derartiger Erstattungsanspruch kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung erst durchgesetzt werden, wenn die ihm entgegenstehende Steuerfestsetzung geändert oder aufgehoben worden ist (BFH-Urteile vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43, unter II.2.b, und vom 14. März 2012 XI R 6/10, BFHE 237, 296, BStBl II 2014, 607, unter II.2.c).

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4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte, nicht vom Gericht nachgelassene Schriftsätze sind grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. Ob das FG deshalb die mündliche Verhandlung wiedereröffnet, steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Das FG hat von Amts wegen nur zu entscheiden, ob es aufgrund des eingereichten Schriftsatzes die mündliche Verhandlung wiedereröffnet oder die Wiedereröffnung nicht für geboten erachtet. Es muss zum Ausdruck bringen, dass entsprechende Erwägungen angestellt worden sind; denn andernfalls lässt sich nicht nachprüfen, ob das Gericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Dabei reicht es aus, wenn das FG seine Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wieder zu eröffnen, erst in dem von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteil begründet (BFH-Beschluss vom 29. April 2004 III B 73/03, juris; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO  Rz 300 ff.). So ist es im Streitfall, wie sich aus dem FG-Urteil S. 10 ergibt.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.