Entscheidungsdatum: 05.06.2014
Schwimmunterricht kann als von Privatlehrern erteilter Schulunterricht steuerfrei sein .
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) führte in den Streitjahren 2005 bis 2007 Umsätze im Rahmen einer von ihm betriebenen "Schwimmschule" aus. Er hatte im November 2005 das erste Staatsexamen für das Lehramt für die Fächer Sport und Physik abgelegt. Mit mehreren Arbeitnehmern, überwiegend Physiotherapeuten, führte er Baby-, Kleinkinder-, sonstige Kinder- und Erwachsenenschwimmkurse sowie Wassergymnastik wie Aqua-Jogging oder Aqua-Fitness in Hallenbädern durch, die er vom jeweiligen kommunalen Betreiber stundenweise angemietet hatte. Die Kursteilnehmer entrichteten für die Teilnahme an den Kursen an den Kläger ein Entgelt, das auch ein auf die Kursteilnehmer entfallendes Eintrittsgeld für die Hallenbadbenutzung umfassen konnte. Die Hallenbadbetreiber erhoben vom Kläger für die Nutzungsüberlassung der Hallenbäder ein Entgelt von in der Regel 20 % der von ihm vereinnahmten Kursgebühren. Auf der Grundlage des § 20 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) erstatteten Krankenkassen die für die Aqua-Fitness-Kurse erhobenen Entgelte ganz oder teilweise an die Kursteilnehmer. Der Kläger gab keine Umsatzsteuererklärungen ab, da er seine Leistungen als steuerfrei ansah.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass der Kläger in den Jahren 2001 bis 2007 steuerpflichtige Leistungen erbracht habe und erließ dementsprechende Umsatzsteuerbescheide. Während des Einspruchsverfahrens erging der Umsatzsteuerbescheid 2006, der im Einspruchsverfahren an die Stelle der Vorauszahlungsbescheide 2006 trat.
Nach der Erhebung der Klage zum Finanzgericht (FG) erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 2007, der an Stelle der Vorauszahlungsbescheide 2007 gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens wurde. Nachdem der Kläger eine Bescheinigung der Bezirksregierung vorgelegt hatte, wonach die Schwimmkurse auf einen Beruf vorbereiteten, während eine Bescheinigung für das Baby- und Kleinkindschwimmen sowie das Aqua-Jogging und Aqua-Fitness wegen des engen Bezugs zur Freizeitgestaltung abgelehnt wurde, ergingen geänderte Bescheide für die Jahre 2001 bis 2004, worauf der Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde. Geänderte Bescheide ergingen auch für die Streitjahre 2005 bis 2007, die nach § 68 FGO Gegenstand des Klageverfahrens wurden.
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 985 veröffentlichten Urteil des FG zu den verbliebenen Streitjahren 2005 bis 2007 hatte die Klage im Hinblick auf die nach Erlass der Änderungsbescheide noch streitigen Kurse wie Babyschwimmen, Kleinkindschwimmen, Aqua-Jogging und Aqua-Fitness keinen Erfolg. Diese Leistungen seien weder nach nationalem Recht noch nach den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) oder den Bestimmungen der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) steuerfrei. Dies ergebe sich auch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH).
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, die er auf Verletzung materiellen und formellen Rechts stützt. Seine Leistungen seien nach § 4 Nr. 22 Buchst. a und b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei. Zumindest könne er sich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h, i und j MwStSystRL (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h, i und j der Richtlinie 77/388/EWG) berufen. Für eine insoweit erforderliche Anerkennung reiche die Kostenübernahme durch Krankenkassen aus. Er müsse als Einrichtung nur über eine vom Mitgliedstaat "anerkannte vergleichbare Zielsetzung" verfügen. Inhaltsgleiche Kurse für Schulen seien steuerfrei gewesen. Er sei zumindest zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes berechtigt. Eine Vorlage an den EuGH sei erforderlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerjahresbescheide 2005 bis 2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer von 0 € festgesetzt wird, hilfsweise, dass der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Leistungen seien weder nach nationalem Recht noch nach dem Unionsrecht steuerfrei. Es sei auch nicht der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Das FA habe nur die Kursleistungen als steuerfrei anerkannt, die nach einer dem Kläger am 27. Oktober 2008 erteilten Bescheinigung ordnungsgemäß auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet hätten.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Zwar hat das FG zutreffend entschieden, dass die Leistungen des Klägers nicht nach nationalem Recht steuerfrei sind. Der Kläger kann aber einen Anwendungsvorrang der Richtlinie geltend machen, wozu noch weitere Feststellungen zu treffen sind.
1. Die Leistungen des Klägers sind nicht nach nationalem Recht steuerfrei.
a) Nach § 4 Nr. 21 UStG sind steuerfrei die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn sie als Ersatzschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind (Doppelbuchst. aa) oder wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten (Doppelbuchst. bb).
Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Der Kläger ist weder als Ersatzschule staatlich genehmigt noch nach Landesrecht erlaubt. Für die im finanzgerichtlichen Verfahren noch streitigen Kurse liegt auch keine Bescheinigung über die Vorbereitung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vor.
b) Nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG sind steuerfrei die Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Steuerfrei sind auch andere kulturelle und sportliche Veranstaltungen, die von den in Buchstabe a genannten Unternehmern durchgeführt werden, soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht (§ 4 Nr. 22 Buchst. b UStG).
Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor, da der Kläger als Einzelunternehmer die nach dem eindeutigen Wortlaut von § 4 Nr. 22 Buchst. a und b UStG erforderlichen unternehmerbezogenen Voraussetzungen nicht erfüllt. Ob dies gegen das Unionsrecht oder die diesem zugrunde liegenden Grundsätze verstößt, ist im Hinblick auf diesen Wortlaut unbeachtlich und nur im Zusammenhang mit der Berufung des Klägers auf das Unionsrecht von Bedeutung.
2. Der Kläger kann sich für eine Steuerfreiheit seiner Leistungen aber auf das Unionsrecht berufen.
a) Steuerfrei ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG) der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht.
b) Nach dem zu dieser Bestimmung ergangenen EuGH-Urteil vom 28. Januar 2010 C-473/08, Eulitz (Slg. 2010, I-907) kommt es auf Unterrichtseinheiten an, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen. Dies erfasst nicht nur Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülern oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (EuGH-Urteil vom 14. Juni 2007 C-445/05, Haderer, Slg. 2007, I-4841). Dem hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom 20. März 2014 V R 3/13 (BFH/NV 2014, 1175, unter II.2.) angeschlossen.
c) Danach können einzelne Kurse, die der Kläger durchgeführt hat, als Schulunterricht eines Privatlehrers steuerfrei sein. Dies gilt insbesondere für das Kleinkindschwimmen, da an der Erlernung der Fähigkeit, schwimmen zu können, zum einen ein hohes Gemeinwohlinteresse besteht und zum anderen die Erlangung dieser Fähigkeit auch in öffentlichen Schulen unterrichtet wird. Dies mag auf Kurse wie Babyschwimmen, Aqua-Jogging und Aqua-Fitness nicht zutreffen, zumal bei diesen auch der Charakter bloßer Freizeitgestaltung nicht zu vernachlässigen ist. Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
a) Sind die Leistungen des Klägers nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei, kommt eine Berufung auf andere Befreiungstatbestände des Unionsrechts nicht in Betracht.
aa) Zwar haben die Mitgliedstaaten von der Steuer auch zu befreien
- die "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden" (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL), |
bb) Die Voraussetzungen dieser Tatbestände liegen im Streitfall aber nicht vor.
(1) Für Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h und i MwStSystRL folgt dies bereits daraus, dass es an der personenbezogenen Voraussetzung der "anerkannten Einrichtung" fehlt. Insoweit ist es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Zu den für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkten gehören das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH-Urteil Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11, Umsatzsteuer-Rundschau 2013, 35 Rdnr. 31, und BFH-Urteil vom 25. April 2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, unter II.2.c aa). Auch im Hinblick auf eine Kostentragung durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit ist zu berücksichtigen, ob der Unternehmer seine Leistung unmittelbar aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Sozialversicherungsträgern erbringt (BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634, unter II.2.b cc).
Danach reicht es für die Anerkennung als Einrichtung weder aus, dass der Kläger direkte vertragliche Beziehungen mit Gemeinden hinsichtlich der Nutzung von Schwimmbädern unterhielt, noch, dass Kosten auf der Grundlage von § 20 SGB V erstattet wurden. Denn die Gemeinden waren als Hallenbadbetreiber nicht als "Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit" tätig, während im Rahmen der Leistungserbringung nach § 20 SGB V keine vertraglichen Beziehungen zu den gesetzlichen Krankenkassen bestanden (vgl. auch Welti, in Becker/ Kingreen, SGB V, 3. Aufl., § 20 Rz 13). Im Übrigen kommt dem Kläger mit seinen Leistungen neben dem Kleinkindschwimmen (zu diesem s. oben II.2.) nicht der Charakter einer Einrichtung mit anerkannter vergleichbarer Zielsetzung wie öffentlichen Schulen oder Hochschulen zu.
(2) Die Steuerfreiheit für bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben (Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL, zuvor: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG) kommt nicht in Betracht, da der Kläger keine Einrichtung ohne Gewinnstreben ist.
b) Im zweiten Rechtsgang wird zu berücksichtigen sein, dass der Kläger für Leistungen, die nicht steuerfrei sind, nicht den ermäßigten Steuersatz in Anspruch nehmen kann.
Zwar ordnet § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG für die unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze sowie für die Verabreichung von Heilbädern die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes an. In Bezug auf die unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze beruht die Vorschrift auf Art. 98 Abs. 2 und 3 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 14 (zuvor Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG i.V.m. Anhang H Nr. 13), wie der Senat bereits entschieden hat (BFH-Urteil vom 11. Februar 2010 V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125, unter II.2.a ee). Danach können die Mitgliedstaaten die Überlassung von Sportanlagen einem ermäßigten Steuersatz unterwerfen. Unionsrechtliche Grundlage für die Verabreichung von Heilbädern ist die Thermalbehandlung i.S. von Art. 98 Abs. 2 und 3 MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 17 (zuvor Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG i.V.m. Anhang H Nr. 13). § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG ist entsprechend diesen Bestimmungen auszulegen, wobei neben dem allgemeinen Grundsatz enger Auslegung von Ausnahmetatbeständen auch zu berücksichtigen ist, dass Vorschriften des nationalen Rechts auch dann eng auszulegen sind, wenn sie ansonsten nicht der Richtlinie entsprechen (BFH-Urteil vom 8. März 2012 V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, unter II.2.c bb).
Im Hinblick auf die unionsrechtliche Grundlage der Steuersatzermäßigung, die sich auf die Überlassung von Sportanlagen und damit auf eine Nutzungsüberlassung bezieht, ist es danach nicht möglich, die Erteilung von Schwimmunterricht als einen unmittelbar mit dem Betrieb eines Schwimmbads verbundenen Umsatz anzusehen. Sollte sich demgegenüber aus Abschn. 171 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2005 ergeben, dass die Erteilung von Schwimmunterricht als eigenständige Leistung der Steuersatzermäßigung unterliegt, könnte sich der Senat dem nicht anschließen. Ebenso können Kurse wie "Aqua-Jogging" und "Aqua-Fitness" nicht als Verabreichung von Heilbädern angesehen werden, da insoweit unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Grundlagen eine Thermalbehandlung vorliegen müsste, an der es fehlt.
4. Auf den geltend gemachten Verfahrensfehler kam es nicht mehr an.