Entscheidungsdatum: 21.11.2013
1. Reiseleistungen durch Reisebüros an Schulen und Universitäten sind nicht nach § 4 Nr. 23 UStG (Gewährung von Beherbergung und Beköstigung) steuerfrei.
2. Der Unternehmer kann sich nach der Rechtsprechung des EuGH-Urteils vom 26. September 2013 C-189/11, Kommission/ Spanien (UR 2013, 835) auf Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, der entgegen der inländischen Regelung des § 25 UStG über die Margenbesteuerung nicht darauf abstellt, ob die Reiseleistung an einen Endverbraucher und nicht an einen Unternehmer erbracht worden ist.
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führt u.a. Schul- und Studienreisen an Schulen, Vereinen oder Gruppen durch.
Im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärung für die Streitjahre 1995 bis 1997 besteuerte die Klägerin ihre Reiseleistungen mit dem Regelsatz für Inlandsfahrten, soweit es sich nicht um ihrer Ansicht nach gemäß § 4 Nr. 23 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerbefreite Klassenfahrten handelte. Leistungen im Ausland sah sie als nicht steuerbar an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat im Anschluss an eine Betriebsprüfung die Auffassung, dass Reiseleistungen an Schulen zum Zwecke der Durchführung von Klassenfahrten und Vereine nicht steuerfrei nach § 4 Nr. 23 UStG seien und --auch hinsichtlich des Auslandsanteils-- einheitlich nach § 25 UStG der Margenbesteuerung unterlägen, da der Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 1 UStG ("Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind") mangels Unternehmereigenschaft von Schulen und Vereinen nicht vorliege. Das FA erließ entsprechend geänderte Änderungsbescheide für die Streitjahre.
Nach teilweiser Zurückweisung der hiergegen gerichteten Einsprüche hat das Finanzgericht (FG) durch Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entschieden, dass die Umsätze der Klägerin gegenüber Schulen und Universitäten nach Maßgabe der Entscheidungsgründe der Margenbesteuerung unterliegen und ihre Umsätze gegenüber eingetragenen Vereinen nach Maßgabe der Entscheidungsgründe nur insoweit der Regelbesteuerung zu unterwerfen sind, als erkennbar ist, dass der Verein Unternehmer ist und die Reise für sein Unternehmen bezieht, im Übrigen der Margenbesteuerung.
In den Entscheidungsgründen hat das FG ausgeführt, dass es davon ausgehe, dass ein Lehrer im Namen einer Schule eine Klassenfahrt bestellt habe. Mangels Unternehmereigenschaft der Schule sei dann die Margenbesteuerung anzuwenden. Diese Leistungen seien auch nicht nach § 4 Nr. 23 UStG steuerbefreit, weil die Klägerin keine Beherbergungsleistungen, sondern Reiseleistungen erbracht habe. Eine Berufung auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h und i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) komme nicht in Betracht.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, die sie auf Verletzung materiellen Rechts (§ 25 UStG) stützt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 26. Oktober 2009 6 K 1615/06 und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1997 vom 14. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. April 2006 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision führt aus anderen als den geltend gemachten Gründen zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG konnte für die Anwendung der Margenbesteuerung nicht berücksichtigen, dass sich die Klägerin nach dem später ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 26. September 2013 C-189/11, Kommission/Spanien (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2013, 835 auf Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG; jetzt Art. 306 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG --MwStSystRL--) berufen kann, wonach für die Anwendung der Margenbesteuerung die Unternehmereigenschaft des Empfängers einer Reiseleistung entgegen der inländischen Regelung des § 25 UStG unerheblich ist.
1. Der Erlass eines Zwischenurteils ist nach § 99 Abs. 2 FGO als Vorabentscheidung über einzelne von mehreren entscheidungserheblichen Sach- oder Rechtsfragen zulässig, wenn dies sachdienlich ist und der Kläger oder Beklagte nicht widerspricht. Im Streitfall haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ihr Einverständnis mit dem Erlass eines Zwischenurteils erklärt.
2. Die Revision ist begründet.
Zwar hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass Umsätze der Klägerin an Schulen und Universitäten für Reiseleistungen der Margenbesteuerung unterliegen, jedoch bei Vereinsreisen zu Unrecht nach der Unternehmereigenschaft des Vereins differenziert. Denn nach dem EuGH-Urteil Kommission/Spanien in UR 2013, 835 hat die Klägerin das Recht, sich auf Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG zu berufen und kann damit die Margenbesteuerung unabhängig von der Unternehmereigenschaft eines Vereins anwenden.
a) § 25 Abs. 1 UStG lautet:
"Die nachfolgenden Vorschriften gelten für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind ... ." Ermächtigungsgrundlage hierfür war Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG, der folgenden Wortlaut besitzt:
"Die Mitgliedstaaten wenden die Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen auftreten ... ." Hingegen wurde in der englischen Sprachfassung anstelle des Begriffs "Reisenden" der Begriff "customer" (= Kunde) verwendet.
Hierzu hat der EuGH im Urteil Kommission/Spanien in UR 2013, 835 auf die Frage, ob das Königreich Spanien Umsätze der Reisebüros auch auf Umsätze anwenden durfte, die sie nicht mit "Reisenden", sondern "mit allen Arten von Kunden" tätigen (vgl. Rdnrn. 19, 47), entschieden, dass Art. 306 bis 310 MwStSystRL im Sinne der Kundenmaxime auszulegen sei, die Regelung somit bei der Erbringung von Reiseleistungen "an alle Arten von Kunden" und nicht --entsprechend der Reisendenmaxime-- nur bei Leistungen an Endverbraucher anwendbar sei (Rdnr. 69; zu dem Begriff vgl. Rdnr. 19).
Danach werden Ziele der Sonderregelung (Vereinfachung der Mehrwertsteuervorschriften für Reisebüros und Verteilung der Steuereinnahmen in ausgewogener Weise zwischen den Mitgliedstaaten) besser mit der Kundenmaxime erreicht (EuGH-Urteil Kommission/Spanien in UR 2013, 835 Rdnrn. 59 f.). Die Sonderregelung solle nicht den Reisebüros vorbehalten sein, die sich darauf beschränken, die von ihnen erworbenen Pauschalreisen an Endverbraucher zu verkaufen (EuGH-Urteil Kommission/Spanien in UR 2013, 835 Rdnr. 62).
b) Bei der Erbringung von Reiseleistungen kommt es somit nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG in der Auslegung des EuGH entgegen der inländischen Regelung nicht darauf an, ob der Empfänger der durch die Klägerin erbrachten Leistung als Endverbraucher oder Unternehmer anzusehen ist, so dass entgegen der Revision auch nicht danach zu unterscheiden ist, ob die Klassenfahrt durch eine öffentliche oder private Schule veranstaltet wird.
Dasselbe gilt für Reiseleistungen an Vereine. Entgegen der Rechtsauffassung des FG kommt es für die Anwendung des Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG nicht darauf an, ob eine Vereinsreise nur zur Förderung des Vereinslebens --dann privat-- durchgeführt wird oder ob ein Verein nachhaltig z.B. Wanderreisen veranstaltet und dadurch die Unternehmereigenschaft erlangt. Auch die weitere Rechtsfrage, ob der Rückgriff des Umsatzsteuergesetzes auf das Körperschaftsteuergesetz hinsichtlich des Begriffes des Betriebes gewerblicher Art richtlinienkonform ist, stellt sich im Streitfall nach der Rechtsprechung des EuGH nicht.
c) Die Klägerin kann sich auf diese Richtlinienregelung nach Maßgabe der Auslegung des EuGH auch berufen, wenn sie zu steuerlich günstigeren Ergebnissen führt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie eine § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG entsprechende Vorschrift ist, wonach der Steuerpflichtige ein Wahlrecht hat, die Margenbesteuerung statt für jede einzelne Leistung für Gruppen von Leistungen oder für sämtliche Leistungen anzuwenden, nicht kennt (vgl. hierzu EuGH-Urteil Kommission/Spanien in UR 2013, 835 Rdnrn. 101 ff.). Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG zu klären haben, ob sich die Klägerin auf die Regelung des Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG berufen will oder nicht.
3. Das FG hat zu Recht entschieden, dass bei Erbringung von Reiseleistungen an Schulen für Klassenfahrten und Universitäten die Leistungen nicht nach § 4 Nr. 23 UStG steuerbefreit sind.
a) Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei "die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke ... bei sich aufnehmen, soweit die Leistungen an die Jugendlichen ... ausgeführt werden".
Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung usw. nur dann gemäß § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei, wenn dem Unternehmer selbst die Erziehung, Ausbildung oder Fortbildung der aufgenommenen Jugendlichen obliegt und er diese bei sich aufnimmt (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. September 2000 V R 26/99, BFHE 192, 360, BStBl II 2001, 691, und vom 12. Mai 2009 V R 35/07, BFHE 226, 154, BStBl II 2009, 1032 für die Durchführung von Kanutouren für Schulklassen). An der im Gesetz geforderten Aufnahme zu Erziehungszwecken fehlt es jedoch bei der Erbringung von Reiseleistungen.
b) Auch auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h und i der Richtlinie 77/388/EWG kann sich die Klägerin nicht berufen. Danach ist die Steuerbefreiung für Leistungen der Kinder- und Jugendbetreuung bzw. der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie des Schul- und Hochschulunterrichtes nur zu gewähren, wenn es sich bei der Klägerin um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts handelt oder um eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter oder mit anerkannter vergleichbarer Zielsetzung wie eine Schule oder Hochschule einer Einrichtung des öffentlichen Rechts (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 154, BStBl II 2009, 1032, Rz 27). Daran fehlt es.
4. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, ob sich die Klägerin für die Anwendung der Margenbesteuerung auf Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG beruft, da dies für sie günstiger ist.