Entscheidungsdatum: 16.12.2010
Der Senat hat mit Urteil vom 24. Januar 2008 V R 54/06 (BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643 --Leitsatz--) entschieden, dass § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) weder verfassungsrechtlich noch gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden sei, soweit diese Vorschrift für die Steuerfreiheit der dort genannten Umsätze voraussetzt, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
Der Senat sieht allerdings entgegen seinem Urteil in BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643 die 40 %-Grenze nicht als Preisklausel i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), sondern als Anerkennungsbedingung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG an.
Der Senat hält aber an seinem Urteil in BFHE 221, 391, BStBl II 2008, 643 insoweit fest, als die 40 %-Grenze-Klausel des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG entgegen dem Anfragebeschluss des XI. Senats den Neutralitätsgrundsatz nicht verletzt.
Ein Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz liegt nicht darin, dass die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG bezeichneten Leistungen auch unter den Bedingungen des § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei sein können.
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 8. Juni 2006 C-106/05, L.u.P. (Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 50) davon ausgeht, dass "... die Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität zunächst verlangt, dass für alle in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie genannten Kategorien privatrechtlicher Einrichtungen die gleichen Bedingungen für ihre Anerkennung in Bezug auf die Erbringung vergleichbarer Leistungen gelten ...", folgt hieraus keine Einschränkung der Befugnisse, die die Mitgliedstaaten zulässigerweise nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ausüben können. Der EuGH hat die 40 %-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG bestätigt (Urteil L.u.P. in Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 54), mit der Begründung, sie erfülle die vom nationalen Gesetzgeber bei der Entscheidung, ob private Einrichtungen nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte anerkannt werden können, zu berücksichtigenden Kriterien, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse und die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, sowie den Umstand, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (Urteil L.u.P. in Slg. 2006, I-5123 Rdnr. 53).
Auch dem Urteil des Senats vom 15. März 2007 V R 55/03 (BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31) kommt entgegen dem Anfragebeschluss des XI. Senats nicht die Bedeutung zu, dass der Neutralitätsgrundsatz die für die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Befugnisse einschränkt. Maßgeblich war für das Senatsurteil in BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31, dass die damals streitgegenständliche Vorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 mit dem Erfordernis einer Leistungserbringung "unter ärztlicher Aufsicht" eine gemeinschaftsrechtswidrige und unter Berücksichtigung des Zwecks der Befreiung sachlich nicht gerechtfertigte Voraussetzung enthielt. Für die in Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG genannten Bedingungen gilt diese Einschränkung nicht.