Entscheidungsdatum: 14.12.2017
NV: Beantragt der Prozessbevollmächtigte am Sitzungstag wegen eines eine ärztliche Behandlung erfordernden schwerwiegenden Hörsturzes, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen und ist auch kein anderer Rechtsanwalt der Sozietät vor Ort, verletzt das Gericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, wenn es dennoch den Termin durchführt , .
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 23. Mai 2017 8 K 19/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreites an das Finanzgericht (FG) nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Das angefochtene Urteil verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), so dass ein Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben ist, da das FG zur Sache mündlich verhandelt und entschieden hat, obwohl die prozessbevollmächtigte Sozietät des Klägers am Tag der mündlichen Verhandlung wegen Erkrankung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts eine Verlegung des Termins beantragt hatte.
a) Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Zu diesen erheblichen Gründen gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, und vom 10. März 2005 IX B 171/03, BFH/NV 2005, 1578).
Die erheblichen Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO sind nur "auf Verlangen" des Vorsitzenden geltend zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Wird der Antrag auf Terminsverlegung --wie im Streitfall am Sitzungstag-- "in letzter Minute" gestellt und verbleibt dem Gericht keine Zeit für Maßnahmen gemäß § 227 Abs. 4 ZPO, müssen die Beteiligten mit einer Prüfung ihres Antrags unter jedem in Frage kommenden Gesichtspunkt rechnen und von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag ggf. auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. Notwendig ist in derartigen eiligen Fällen daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder zumindest eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (BFH-Beschlüsse in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, und in BFH/NV 2005, 1578).
b) Kann der Prozessbevollmächtigte wegen Krankheit einen anberaumten Termin nicht wahrnehmen, so ist das Gericht gleichwohl nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht des Klägers wie im Streitfall auf eine Sozietät ausgestellt ist und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (BFH-Beschlüsse in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, und in BFH/NV 2005, 1578). Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter müssen, sofern sie nicht offenkundig sind, im Einzelnen vorgetragen werden (BFH-Beschlüsse vom 22. Dezember 1997 X B 23/96, BFH/NV 1998, 726; vom 26. Oktober 1998 I B 3/98, BFH/NV 1999, 626, und in BFH/NV 2005, 1578); ohne einen solchen Vortrag darf das Gericht von dem Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen "erheblicher Gründe" für eine Terminsverlegung verneinen (BFH-Beschlüsse vom 7. April 2004 I B 111/03, BFH/NV 2004, 1282, und in BFH/NV 2005, 1578).
Eine kurzfristige Terminsvertretung durch einen Kollegen kann allerdings wegen fehlender Einarbeitungszeit unzumutbar sein, wenn es sich um eine umfangreiche Sache oder um nicht einfache Rechtsfragen handelt (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 626, und vom 25. November 2008 III B 161/07, BFH/NV 2009, 406). Dem Antrag auf Terminsaufhebung ist daher im Zweifel zu folgen, sofern nicht begründeter Anlass für die Absicht einer Prozessverschleppung besteht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 406).
2. Nach diesen Grundsätzen hätte das FG nicht in der Sache entscheiden dürfen, so dass ein Verfahrensmangel durch Versagung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) vorliegt, auf dem das Urteil des FG beruht.
a) Der von den Bevollmächtigten des Klägers -am Sitzungstag- eingereichte schriftliche Antrag auf Terminsverlegung enthielt den Hinweis auf einen "schwerwiegenden Hörsturz" und eine "ärztliche Behandlung".
Damit hat die prozessbevollmächtigte Sozietät die Erkrankung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts durch plausible Angaben, die zudem durch das später eingereichte Attest bestätigt wurden, hinreichend durch eigene Angaben glaubhaft gemacht.
b) Zudem hatte eine Mitarbeiterin der Sozietät dem FG fernmündlich mitgeteilt, dass "keiner der Herren [Rechtsanwälte] vor Ort sei" (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1578). Das FG hat sein Urteil darüber hinaus entscheidungserheblich darauf gestützt, dass der Kläger die Feststellungen des Landgerichts S --einem Urteil von 75 Seiten-- nicht bestritten habe.
Somit lag im Streitfall nicht nur ein Hinderungsgrund für eine Wahrnehmung des Termins durch eine andere Person als den zuständigen Sachbearbeiter vor, sondern war eine kurzfristige Terminsvertretung durch einen Kollegen wegen fehlender Einarbeitungszeit in Bezug auf die vom FG verwerteten Feststellungen auch unzumutbar.
3. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.