Entscheidungsdatum: 23.05.2016
1. NV: Für die Besteuerungszeiträume 2010 und 2011 bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.2015 XI B 84/15) .
2. NV: Darüber hinaus ist für die Besteuerungszeiträume 2010 und 2011 ernstlich zweifelhaft, ob der in der Person des Bauleistenden begründete Steueranspruch entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG bereits in diesen Jahren uneinbringlich geworden sein könnte. Zumindest zweifelhaft ist, ob das Finanzamt zu einer Erstattung an den Bauträger auch dann verpflichtet ist, wenn der Bauträger den auf den Leistungsbezug entfallenden Steueranteil nicht an seinen Vertragspartner gezahlt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 27.01.2016 V B 87/15) .
3. NV: Es ist nicht danach zu unterscheiden, ob der Leistungsempfänger die vom Bauleistenden bezogenen Leistungen für Bauträgertätigkeiten oder für Bestandsimmobilien verwendet hat. Auch bei einer Verwendung für Bestandsimmobilien ist ernstlich zweifelhaft, ob das Finanzamt entgegen der früheren Verwaltungsauffassung in Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2008 und Abschn. 13b.3. Abs. 8 UStAE 2011/2012/2013 eine Besteuerung der Leistung beim Bauleistenden verlangen kann .
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sächsischen Finanzgerichts vom 30. November 2015 3 V 774/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) erbrachte in den Streitjahren 2010 und 2011 Bauleistungen an eine Bauträger-GmbH (B-GmbH), die Organgesellschaft der A-GbR als Organträger war. Die B-GmbH verwendete die bezogenen Leistungen für Bauträgertätigkeiten und für Bestandsimmobilien. Die Antragstellerin und die B-GmbH gingen von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 5 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) aus. Dementsprechend versteuerte die A-GbR als Steuerschuldner die Leistungsbezüge von der Antragstellerin.
Unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2013 V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128) verlangte die A-GbR die Erstattung der von ihr nach § 13b UStG entrichteten Steuer. Daraufhin änderte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen 2010 und 2011 der Antragstellerin durch die Änderungsbescheide vom 17. April 2015 gemäß § 164 der Abgabenordnung. Dabei ging das FA davon aus, dass die Antragstellerin die steuerpflichtig an die B-GmbH erbrachten Leistungen als Steuerschuldner zu versteuern habe. Zur Begründung wies das FA auf die Neuregelung in § 27 Abs. 19 UStG hin. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab.
Demgegenüber gewährte das Finanzgericht (FG) die beantragte Vollziehungsaussetzung. Es sah die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide insbesondere im Hinblick auf den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit als ernstlich zweifelhaft an.
Hiergegen wendet sich das FA mit Beschwerde. § 27 Abs. 19 UStG sei anzuwenden. Es bestehe ein vorrangiges Interesse am Vollzug eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes. Zu beachten seien die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte.
Das FA beantragt,
unter Aufhebung des FG-Beschlusses den Antrag auf Vollziehungsaussetzung zur Umsatzsteuer 2010 und 2011 abzulehnen.
Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung des FG.
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des FA ist unbegründet; sie ist daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO).
1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, und vom 28. Mai 2015 V B 15/15, BFH/NV 2015, 1117, Rz 11, m.w.N.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1117, Rz 11, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 9, m.w.N., und in BFH/NV 2015, 1117, Rz 11, m.w.N.).
2. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass nach Maßgabe des BFH-Urteils in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 die Antragstellerin anstelle der A-GbR Steuerschuldner ist (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15, BFHE 252, 187, Rz 13).
3. Es bestehen für die beiden Streitjahre aber ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG, wie sich aus dem BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2015 XI B 84/15 (BFHE 252, 181, BStBl II 2016, 192) ergibt, auf den der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist.
4. Darüber hinaus ist für die beiden Streitjahre auch ernstlich zweifelhaft, ob der in der Person der Antragstellerin begründete Steueranspruch entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG bereits in den Streitjahren uneinbringlich geworden sein könnte. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seinen Beschluss in BFHE 252, 187, Rz 16 ff.
5. Soweit das FA die Beschwerde mit haushälterischen Erwägungen begründet, weist der Senat darauf hin, dass es zumindest zweifelhaft ist, ob das FA zu einer Erstattung an den Bauträger auch dann verpflichtet ist, wenn der Bauträger den auf den Leistungsbezug entfallenden Steueranteil nicht an seinen Vertragspartner gezahlt hat (BFH-Beschluss in BFHE 252, 187, Rz 25).
6. Es ist nicht danach zu unterscheiden, ob die B-GmbH die von der Antragstellerin bezogenen Leistungen für Bauträgertätigkeiten oder für Bestandsimmobilien verwendet hat. Auch bei einer Verwendung für Bestandsimmobilien besteht nach dem Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 keine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, da der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, nicht seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Auch insoweit ist ernstlich zweifelhaft, ob das FA entgegen der früheren Verwaltungsauffassung in Abschn. 182a Abs. 11 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008 und Abschn. 13b.3. Abs. 8 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses 2011/2012/2013 eine Besteuerung der Leistung bei der Antragstellerin verlangen kann.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.