Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 25.03.2015


BFH 25.03.2015 - V B 163/14

Bekanntgabe unter Einschaltung eines Postserviceunternehmens


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
25.03.2015
Aktenzeichen:
V B 163/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Düsseldorf, 14. November 2014, Az: 11 K 484/13 U, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Bedient sich die Finanzverwaltung zur Bekanntgabe von Verwaltungsentscheidungen eines privaten Postserviceunternehmens und weist der Steuerpflichtige nach, dass die für die Übermittlung mit einfacher Briefpost bestimmte Sendung trotz des in den Akten des FA als Tag der "Aufgabe zur Post" vermerkten Zeitpunkts durch das private Postserviceunternehmen erst am ersten Werktag der Folgewoche von dem privaten Postserviceunternehmen sortiert und der Weiterleitung an den Adressaten zugeführt worden ist, gilt die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als widerlegt, da ein (vermuteter) Zugang am gleichen Tag schlechthin nicht möglich ist .

2. NV: Eine zum Nachweis erstellte Bescheinigung des Postserviceunternehmens muss der BFH auch im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzung der fristgerechten Klageerhebung ohne Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz beachten .

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 14. November 2014  11 K 484/13 U aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

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1. Weist das FG eine Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig ab, statt zur Sache zu entscheiden, liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor (BFH-Beschlüsse vom 1. März 2013 IX B 144/12, BFH/NV 2013, 952, und vom 15. Juli 2013 IX B 28/13, BFH/NV 2013, 1537). Ein derartiger Mangel ist insbesondere gegeben, wenn das Gericht deshalb nicht zur Sache entscheidet, weil es zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt ist (BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080 und in BFH/NV 2013, 1537).

3

2. Im Streitfall hat das FG die Klage zu Unrecht wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen.

4

Mit der Behauptung, die Klagefrist sei bei Klageerhebung nicht abgelaufen gewesen und das FG habe in diesem Zusammenhang § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) unrichtig angewandt, da die Einspruchsentscheidung nicht, wie vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) behauptet, als am 14. Januar 2013 zugegangen gilt, da sie erst am 15. Januar 2013 tatsächlich zugegangen ist, hat der Kläger einen Verfahrensfehler geltend gemacht und auch hinreichend dargelegt. Er liegt auch vor: Bedient sich --wie im Streitfall-- die Finanzverwaltung zur Bekanntgabe von Verwaltungsentscheidungen eines privaten Postserviceunternehmens und weist der Steuerpflichtige --wie im Streitfall durch die Bestätigung der Firma P-- nach, dass die für die Übermittlung mit einfacher Briefpost bestimmte Sendung trotz des in den Akten des FA als Tag der "Aufgabe zur Post" vermerkten Zeitpunkts (hier: Freitag, den 11. Januar 2013) durch das private Postserviceunternehmen erst am ersten Werktag der Folgewoche (d.h. hier: am Montag, den 14. Januar 2013) von dem privaten Postserviceunternehmen sortiert und der Weiterleitung an den Adressaten zugeführt worden ist, gilt die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als widerlegt, da ein (vermuteter) Zugang am gleichen Tag --dem 14. Januar 2013-- schlechthin nicht möglich ist. Die Bescheinigung der Firma P musste der BFH berücksichtigen, auch wenn sie erst nach Verkündung der angefochtenen Entscheidung vorgelegt wurde. Die Sachentscheidungsvoraussetzung der fristgerechten Klageerhebung ist vom BFH von Amts wegen und ohne Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des FG zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 40/98, BFHE 188, 523, BStBl II 1999, 563).

5

Daher ist im Streitfall von einer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erst am 15. Januar 2013 auszugehen, so dass die Klageerhebung am 15. Februar 2013 noch fristgerecht war.

6

3. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Diesem wird auch die Kostenentscheidung nach § 143 Abs. 2 FGO übertragen.