Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 13.04.2010


BFH 13.04.2010 - IX R 43/09

Gleichzeitige Festsetzung von Steuer und Verspätungszuschlag im Regelfall - Festsetzung des Verspätungszuschlages "mit der Steuer" - Zeitlicher Rahmen als Konkretisierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
13.04.2010
Aktenzeichen:
IX R 43/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 24. Februar 2009, Az: 12 K 249/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

§ 152 Abs. 3 AO erlaubt der Finanzbehörde nur in begründeten Ausnahmefällen, von einer Festsetzung des Verspätungszuschlags mit der Steuer abzusehen .

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) forderte die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden, am 18. Juli 2006 auf, ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2005) bis zum 30. November 2006 einzureichen. Nachdem die Einkommensteuererklärung zunächst nicht beim FA eingegangen war, erinnerte dieses am 8. Dezember 2006 an deren Abgabe und drohte ferner am 31. Januar 2007 für den Fall der Nichtabgabe bis zum 22. Februar 2007 die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen an.

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Aufgrund der alsdann am 6. März 2007 beim FA eingereichten Einkommensteuererklärung setzte dieses die Einkommensteuer für das Streitjahr im Einkommensteuerbescheid vom 30. April 2007 auf 68.710 € fest. Dies führte zu einer Nachzahlung von Einkommensteuer in Höhe von 14.535 €. Einen Verspätungszuschlag setzte das FA zunächst nicht fest.

3

Mit geändertem Einkommensteuerbescheid von 28. Juni 2007 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 67.598 € herabgesetzt. Auch dieser Bescheid enthielt keine Festsetzung eines Verspätungszuschlags. Erst mit Bescheid vom 2. Mai 2008 setzte das FA einen Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer des Streitjahres von 800 € fest. Zu diesem Zeitpunkt war auch die bis zum 31. Dezember 2007 abzugebende Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 bereits eingereicht (nämlich am 10. Januar 2008). Aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 vom 9. Mai 2008 kam es zu einer Erstattung von Einkommensteuer.

4

Der gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags gerichtete Einspruch der Kläger blieb erfolglos. Auch ihre Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. Es bejahte die Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Die Kläger hätten die Einkommensteuererklärung unstreitig verspätet abgegeben. Dieses Versäumnis sei auch nicht entschuldbar. Das FA habe auch ermessensgerecht gehandelt. Es habe das Erklärungsverhalten des Vorjahres (2004: Einkommensteuererklärung verspätetet abgegeben) ebenso zutreffend in seine Überlegungen einbezogen wie den Umstand, dass die Kläger auch die Erklärung für das Jahr 2006 verspätet abgegeben hätten. Der Rechtmäßigkeit stehe auch nicht entgegen, dass das FA den Verspätungszuschlag entgegen dem Verbindungsgebot des § 152 Abs. 3 AO festgesetzt habe. Diese bloße Ordnungsvorschrift sei nicht verletzt, wenn die Festsetzung des Verspätungszuschlags binnen Jahresfrist nachgeholt werde. Diese Frist stelle aber keine absolute zeitliche Grenze dar. Deshalb halte es das FG für unbedeutend, wenn --wie vorliegend-- die Jahresfrist um zwei Tage überschritten werde.

5

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, die sie auf die Verletzung von § 152 Abs. 3 AO stützen. Verspätungszuschläge könnten nicht für Vorjahre erhoben werden, obwohl die Steuererklärung des Folgejahres bereits eingereicht und abschließend bearbeitet worden sei.

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Die Kläger beantragen,

die angefochtene Entscheidung und die Festsetzung des Verspätungszuschlags vom 2. Mai 2008 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2008 aufzuheben.

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Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

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1. Das FG hat unzutreffend die Festsetzung des Verspätungszuschlags gebilligt. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 2005 ist rechtswidrig, weil sie --ohne einen Grund anzuführen-- von der Regel des § 152 Abs. 3 AO abgewichen ist (§ 102 FGO, § 5 AO).

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a) Nach § 152 Abs. 3 AO ist der Verspätungszuschlag regelmäßig mit der Steuer festzusetzen, was der Fall ist, wenn der Verspätungszuschlag in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Steuerbescheid festgesetzt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642, unter I. 3.). Auch wenn die Verletzung dieser Vorschrift nicht ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Festsetzung des Verspätungszuschlags führt, markiert sie ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Nur in Ausnahmefällen soll von der gleichzeitigen Festsetzung abgewichen werden können. Es handelt sich um eine   Sollvorschrift,   die den   Ermessensspielraum   auf eine Regelanwendung der Norm   einengt   (allgemein zu Sollvorschriften: Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 5 AO Rz 56, m.w.N.). Ihr Zweck liegt darin, den Steuerpflichtigen möglichst nicht nachträglich durch einen Verspätungszuschlag zu überraschen. Deshalb braucht die Finanzbehörde besondere Gründe, wenn sie von einer Verbindung der beiden Bescheide absehen will (Heuermann in HHSp, § 152 AO Rz 35).

11

b) Wenn es der XI. Senat des BFH in Ausfüllung und Konkretisierung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses für unschädlich hält, die Festsetzung des Verspätungszuschlags binnen Jahresfrist nachzuholen (BFH-Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 41/00, BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124, unter II. 4.; so auch die h.M. im Schrifttum, vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz 62; Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 152 Rz 13; Kuhfus in Kühn/v.Wedelstädt, 19. Aufl., AO, § 152 Rz 27), so hat die Frage, ob die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ohne Weiteres nachgeholt werden kann, nicht allein eine zeitliche Dimension. Entscheidend ist vielmehr, ob Gründe vorliegen, eine vom Regelfall des § 152 Abs. 3 AO abweichende Festsetzung zu rechtfertigen. Selbst wenn man den vom XI. Senat vorgegebenen Zeitrahmen von einem Jahr in diesen Zusammenhang stellt und ein Nachholen der Verspätungszuschlags-Festsetzung innerhalb dieses Zeitraums ohne Weiteres --und damit ohne den Ausnahmefall besonders zu begründen-- für möglich hielte, bedürfte es besonderer Gründe für den Ausnahmefall, wenn der Zeitrahmen von einem Jahr überschritten ist. Gründe dafür, den Verspätungszuschlag nicht mit der Steuer festzusetzen, können z.B. gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch ermittelt werden muss, ob die Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 und des Abs. 2 AO vorliegen, oder welche Umstände und Tatsachen in die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind.

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2. Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die "Jahresfrist" war bereits abgelaufen, als das FA den Verspätungszuschlag, um den es hier geht, festsetzte. Der Umstand, dass diese Frist nur zwei Tage überschritten wurde, ist entgegen der Auffassung des FG nicht bedeutungslos. Wenn ein zeitlicher Rahmen als Konkretisierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses vorgegeben wird, kehrt sich das Verhältnis nach dessen Ablauf um. Das bedeutet: Die abweichend vom Regelfall des § 152 Abs. 3 AO durchgeführte Festsetzung des Verspätungszuschlags kann nicht wiederum mit dem nur kurzfristigen Überschreiten der Frist begründet werden, sondern allein dadurch, dass Gründe für den Ausnahmefall ersichtlich sind und vorgebracht werden. Das FG verengt seine Prüfung des § 152 Abs. 3 AO und seine Argumentation unzutreffend auf das zeitliche Element der Verwirkung.

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3. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben, indem die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufgehoben wird. Das FA hat keinerlei Gründe dafür angeführt, warum es den Verspätungszuschlag abweichend vom Normalfall des § 152 Abs. 3 AO erst festgesetzt hat, als die Veranlagung für das nachfolgende Jahr 2006 bereits abgeschlossen war (und mit einer Erstattung endete). Das FA hat die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens verkannt. Es kann diesen Ermessensfehler auch nicht mehr im finanzgerichtlichen Verfahren nachbessern; denn es handelte sich nicht um eine bloße Ergänzung gemäß § 102 Satz 2 FGO (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579). Die Festsetzung ist damit rechtswidrig und aufzuheben.