Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 08.12.2010


BFH 08.12.2010 - IX R 12/10

Unzulässige Revision mangels Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist - Darlegung und Glaubhaftmachung der Überwachung von Fristen durch organisatorische Maßnahmen - Nicht statthafte Restitutionsklage und Anhörungsrüge


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
08.12.2010
Aktenzeichen:
IX R 12/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Nürnberg, 30. September 2009, Az: III 184/2006, Urteil
Zitierte Gesetze
§§ 578ff ZPO

Leitsätze

1. NV: Beantragt ein Prozessbevollmächtigter unter Hinweis auf Fehler seines Büropersonals wegen Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, muss er unter Vorlage von präsenten Beweismitteln darlegen und glaubhaft machen, wie die Fristkontrolle im Büro im Einzelnen organisiert und durch welche organisatorischen Maßnahmen die ordnungsgemäße Überwachung der konkreten Frist unter normalen Umständen gewährleistet ist .

2. NV: Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens sind ebenso wie eine Anhörungsrüge im laufenden Revisionsverfahren nicht statthaft .

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), mit der er nachträgliche Schuldzinsen und Gebühren aus der früheren Beteiligung i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre … geltend machte, abgewiesen.

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Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde die Revision mit dem am 19. März 2010 zugestellten Beschluss des Senats vom 23. Februar 2010 zugelassen. Die Revisionsbegründung ist erst am 25. Mai 2010 und damit verspätet eingegangen (§ 120 Abs. 2 Satz 1, zweiter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

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Seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet der Kläger folgendermaßen: Sein Prozessvertreter habe Ende Januar einen Skiunfall gehabt und sich dabei das Schultergelenk ausgekugelt. Er sei beschränkt arbeitsfähig gewesen und im Büro sei Chaos aufgekommen. Hinzu sei ein Mitarbeiterwechsel gekommen und die elektronische Terminüberwachung sei umgestellt worden, was erhebliche Einarbeitungs- und Umorganisationsschwierigkeiten ausgelöst habe. Die neue Mitarbeiterin habe zwar den Fall eingescannt, dabei aber keinen Termin vorgegeben.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

ihm wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Er beantragt ferner sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung --jedenfalls wegen Verstoßes gegen rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO)-- in der Sache zu entscheiden.

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Der Kläger erhebt ferner Restitutionsklage und beantragt überdies die Fortführung des Verfahrens nach § 133a Abs. 1 Nr. 2 FGO.

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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt,

die Revision wie auch die übrigen Anträge als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Die Revision ist unzulässig und deshalb nach § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen, weil der Kläger die am 19. April 2010 abgelaufene Frist für die Begründung der Revision versäumt hat und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.

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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO kann dem Kläger nicht gewährt werden. Er war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist für die Einlegung der Revision einzuhalten. Der Kläger muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).

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a) Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiligter --wie im Streitfall der Kläger-- auf ein (nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muss er innerhalb der vorgeschriebenen Begründungsfrist (§ 56 Abs. 2 FGO) darlegen, wie die Fristenkontrolle in seinem Büro im Einzelnen organisiert ist und welche organisatorischen Maßnahmen die ordnungsgemäße Überwachung der Frist unter normalen Umständen gewährleisten. Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung von Fristen geführt wird. In diesem Buch muss der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein. Die Einhaltung der laufenden Fristen muss durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden. Die notierte Frist darf frühestens gelöscht werden, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. September 2008 IX R 91/07, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2009, 449, und vom 8. November 2006 VII R 20/06, BFH/NV 2007, 469, m.w.N.; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 56 FGO Rz 135 i.V.m. § 110 AO Rz 265 f.).

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b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat weder dargelegt noch durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht, dass im Streitfall die Überwachung und Einhaltung von Fristen durch strukturelle organisatorische Maßnahmen (z.B. das Führen eines Fristenkontrollbuches oder eine vergleichbare Maßnahme) im Grundsatz gewährleistet war und nur infolge eines Versehens der Mitarbeiterin hiervon abgewichen wurde. Er hat --wie das FA in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend hervorhebt-- nichts dazu vorgetragen, ob der konkrete Termin, der sich aus dem Zulassungsbeschluss des BFH ergab, überhaupt vermerkt, ob er eingetragen oder überwacht wurde. Obschon die Schwierigkeiten bei der offenbar elektronisch gestützten Überwachung bekannt waren, wurde ersichtlich keine andere Vorsorge zur Terminüberwachung getroffen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Schriftsatz vom 12. September 2010, der im Übrigen allenfalls zur Substantiierung des bereits Vorgetragenen herangezogen werden kann (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO), der sich aber auch nicht auf den Termin bezieht, um den es hier geht. Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist damit nicht geeignet, die Fristversäumung mit einem entschuldbaren Büroversehen der Mitarbeiterin zu erklären; als Fehlerursache kommt auch ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten in Betracht.

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2. Die Restitutionsklage ist nicht statthaft und deshalb unzulässig. Nach § 134 FGO kann nur ein rechtskräftig beendetes Verfahren nach den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung, §§ 578 ff. ZPO, wieder aufgenommen werden. Daran fehlt es bereits; denn das Verfahren wird erst nach Ergehen dieses Beschlusses rechtskräftig beendet. Zuständig wäre überdies das FG (§ 584 Abs. 1 ZPO). Ferner wäre eine Wiederaufnahme durch Restitution nach § 582 ZPO subsidiär. Der Kläger war imstande, den von ihm behaupteten Verfahrensmangel im Klage- oder Revisionsverfahren geltend zu machen. In der Tat hat der Kläger den Verfahrensmangel im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde (IX B 197/09) geltend gemacht.

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3. Auch die Anhörungsrüge ist nicht statthaft, schon deshalb, weil ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des FG --nämlich die Revision-- gegeben ist (s. § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO). Überdies ist die Anhörungsrüge bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird (§ 133a Abs. 2 Satz 4 FGO). Das wäre hier wiederum das FG.

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4. Der Antrag auf Änderung des Steuerbescheides gemäß § 101 FGO ist unzulässig. Es fehlt hier schon an einer Verpflichtungsklage.