Entscheidungsdatum: 28.06.2011
1. NV: Die Prozessfähigkeit eines Beteiligten ist als Sachentscheidungsvoraussetzung und zugleich Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.
2. NV: Hinsichtlich der Rechtsfrage der Prozessfähigkeit eines Klägers entscheidet nicht der Sachverständige oder Arzt abschließend, sondern das Gericht nach seiner freien Überzeugung in Würdigung des gesamten Prozessstoffes und unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung. Dabei sind in solchen Fällen gerade die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die generell nicht grundsätzlich bedeutsam sind.
3. NV: Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt nicht vor, wenn angesichts der vorgelegten Unterlagen, der Einvernahme des behandelnden Arztes als (sachverständigen) Zeugen und dem tatsächlichen Verhalten des Klägers in der (ersten) mündlichen Verhandlung eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines --im Gegensatz zu den vorliegenden (zeitnahen) Unterlagen und Aussagen weniger aktuellen--Sachverständigen-Gutachtens für das FG nicht veranlasst und damit entbehrlich war.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es bleibt dahingestellt, ob ihre Begründung den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind jedenfalls nicht gegeben.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Auf die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es im Streitfall nicht an; auch hat das Finanzgericht (FG) die vom Kläger behaupteten Rechtssätze zu einer "bipolaren Persönlichkeitsstörung" bzw. zu einer "psychophysischen Erkrankung" nicht aufgestellt. Vielmehr hat das FG in der mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2010 aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens einschließlich Beweisaufnahme die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) gewonnen, dass der Kläger in der (ersten) mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 verhandlungs- und prozessfähig gewesen war und so für die Streitjahre (1996, 1997) wirksame Erklärungen zur tatsächlichen Verständigung und zur Erledigung der Rechtsstreite hat abgeben können. Im Übrigen entscheidet nicht der Sachverständige oder Arzt (bzw. deren Gutachten) über die Rechtsfrage der Prozessfähigkeit abschließend, sondern das Gericht nach seiner freien Überzeugung in Würdigung des gesamten Prozessstoffes (im Wege des Freibeweises; vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2005 IX B 87/05, BFH/NV 2006, 94) und unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1988 5 B 123/86, Buchholz 310 § 62 VwGO Nr. 20). Dabei sind in solchen Fällen gerade die besonderen Umstände des Einzelfalls --hier in der Person des Klägers (und seinem Verhalten)-- zu berücksichtigen, die generell nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sind.
2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler sind nicht gegeben.
a) Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch das FG als (verzichtbaren) Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt der Nichteinholung eines (aktuellen?) Sachverständigen-Gutachtens greift nicht durch. Der in der (zweiten) mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2010 anwaltlich vertretene Kläger hat eine solche Einholung zwar nicht beantragt, aber zumindest angeregt. Indes kam es darauf nach der maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92, unter 3.b; vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.) nicht an. Denn angesichts der vorgelegten Unterlagen, der Einvernahme des den Kläger behandelnden Arztes als (sachverständigen) Zeugen und dem tatsächlichen Verhalten des Klägers in der (ersten) mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 war eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines --im Gegensatz zu den vorliegenden (zeitnahen) Unterlagen und Aussagen weniger aktuellen-- Sachverständigen-Gutachtens für das FG nicht veranlasst und damit entbehrlich.
b) Auch der weitere geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der fehlenden Feststellung zur Prozessfähigkeit (§ 58 Abs. 1 FGO) des Klägers in der (ersten) mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 ist nicht gegeben.
Nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind alle nach bürgerlichem Recht geschäftsfähigen Personen prozessfähig. Die Prozessfähigkeit eines Beteiligten ist als Sachentscheidungsvoraussetzung und zugleich Prozesshandlungsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 58 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V.m. § 56 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--; vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 1999 III B 22/99, BFH/NV 1999, 1628; in BFH/NV 2006, 94, m.w.N.).
Diese Prüfung war im Streitfall angesichts des Vorlaufs zur mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 entbehrlich; einer ausdrücklichen Feststellung im Sitzungsprotokoll (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 ZPO) bedurfte es daher nicht. Dabei kann dahinstehen, ob die beim Kläger "seit längerem bestehende bipolare Persönlichkeitsstörung" als gerichtsbekannte Tatsache anzusehen ist. Denn die bis zur (ersten) mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 eingereichten ärztlichen Atteste haben jedenfalls zur Verhandlungs- und Prozessfähigkeit des Klägers (für den 15. April 2010) keine Aussage getroffen; darauf wurde der Kläger mit FG-Schreiben vom 29. März 2010, also rechtzeitig vor der ersten mündlichen Verhandlung, hingewiesen. An diesem Status hatte sich auch bis zum Beginn dieser mündlichen Verhandlung und in dessen Verlauf nichts geändert.
Die entsprechende (Über-)Prüfung hat das FG, nachdem der Kläger die Unwirksamkeit seiner Erledigungserklärung geltend gemacht hatte, in der (zweiten) mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2010 durchgeführt. Es ist aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu der Überzeugung und damit der positiven Feststellung gelangt, dass der Kläger in der (ersten) mündlichen Verhandlung am 15. April 2010 verhandlungs- und prozessfähig gewesen war und so für die Streitjahre (1996, 1997) wirksame Erklärungen zur tatsächlichen Verständigung und zur Erledigung der Rechtsstreite hat abgeben können (s. unter 1.). Diese Feststellung wäre auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Im Übrigen ergeht der Beschluss gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.