Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 09.11.2011


BFH 09.11.2011 - IV B 130/10

Auslegung eines Bevollmächtigtenschreibens kann regelmäßig nicht zum Verstoß gegen den Akteninhalt führen


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
09.11.2011
Aktenzeichen:
IV B 130/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 22. Oktober 2010, Az: 10 K 1542/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Durch den Hinweis, das FG habe ein Bevollmächtigtenschreiben rechtsfehlerhaft statt als Betriebsaufgabeerklärung als Wiedergabe einer Rechtsmeinung ausgelegt, wird lediglich eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend gemacht, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

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1. Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), wonach das Finanzgericht (FG) gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen habe (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO), liegt nicht vor.

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a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. März 2010 X B 95/09, BFH/NV 2010, 1827; vom 8. Juni 2011 X B 245/10, BFH/NV 2011, 1710).

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b) Nach diesem Maßstab hat die Klägerin durch ihren Hinweis, das FG habe das Schreiben des Steuerberaters von Herrn X vom 11. März 1976 rechtsfehlerhaft statt als Betriebsaufgabeerklärung als Wiedergabe einer Rechtsmeinung verstanden, lediglich eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend gemacht, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

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aa) Das FG hat das vorgenannte Schreiben zunächst vollständig im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegeben. In dem Schreiben vom 11. März 1976 heißt es, "namens und im Auftrag von Herrn X teilen wir mit, dass die früher betriebene Landwirtschaft am 1.7.1970 altershalber aufgegeben wurde. Herr X hat am … 6.1970 das 65. Lebensjahr vollendet. Seit diesem Zeitpunkt bezieht Herr X Altersruhegeld von der landwirtschaftlichen Alterskasse. Über die am 1.7.1970 vorhandenen Teile des Betriebsvermögens des landwirtschaftlichen Betriebs wurde wie folgt verfügt: ..." Nach der Auflistung der einzelnen Verfügungen in Form der unentgeltlichen Übertragung des lebenden und toten Inventars auf Herrn Z, die Verpachtung der Felder an ihn sowie der Feststellung, dass das Anwesen A-Straße weiter von den Eheleuten X bewohnt werde, folgt dann der Satz "Durch diese Vorgänge ist der landwirtschaftliche Betrieb aufgelöst."

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bb) Das FG hat das Schreiben inhaltlich dahingehend gewürdigt, dass es sich insgesamt um die Wiedergabe der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten handelte. Es mag insoweit zwar sein, dass man dem Schreiben auch den Inhalt einer Betriebsaufgabeerklärung hätte beimessen können. Abgesehen davon, dass dagegen spricht, dass der erste Satz des Schreibens im Imperfekt formuliert ist und darüber hinaus zusammenfassend festgestellt wird, dass durch die einzelnen Verfügungen des X der Betrieb aufgelöst worden sei, führt die vermeintlich fehlerhafte Interpretation einer Erklärung durch das FG als solche nicht zu einem Verfahrensfehler (vgl. BFH-Beschluss vom 14. September 2010 IV B 60/09, BFH/NV 2011, 439). Das FG hat den Inhalt des Schreibens vom 11. März 1976 in seinem Urteil gewürdigt und ist nach Auslegung zu dem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt, dass nur eine Rechtsmeinung wiedergegeben worden sei. Diese rechtliche Würdigung des Sachverhaltes unterfällt dem materiellen Recht. Etwaige Fehler in der Sachverhaltswürdigung können deshalb regelmäßig keinen Verfahrensmangel begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 2010 IV B 25/09, BFH/NV 2010, 1116).

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cc) Mit Blick auf die im Schreiben vom 11. März 1976 im Einzelnen aufgeführten Verfügungen kann sich schon deshalb kein Verstoß gegen den Inhalt der Akten ergeben, weil es auf die dort dargestellte Nutzungsänderung nicht ankommt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 12. Mai 2010 IV B 137/08, BFH/NV 2010, 1850). Dies folgt daraus, dass der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, dass bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstücke bei einer Nutzungsänderung, durch die sie nicht zu notwendigem Privatvermögen werden, ohne ausdrückliche Entnahmehandlung landwirtschaftliches Betriebsvermögen bleiben (u.a. BFH-Beschlüsse vom 27. August 2004 IV B 173/03, BFH/NV 2005, 334; in BFH/NV 2010, 1850).

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dd) Auch ein schwerwiegender Rechtsfehler, der die Rechtsanwendung durch das FG als objektiv willkürlich erscheinen ließe und deshalb ausnahmsweise die Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gebieten würde (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. Juli 2010 VIII B 83/09, BFH/NV 2010, 1848), liegt allein wegen der möglichen Fehlinterpretation von Einlassungen der Beteiligten nicht vor (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 439).

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2. Darauf, ob der von der Klägerin "auf einer zweiten Stufe" geltend gemachte Revisionszulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO --wonach das FG zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf das BFH-Urteil vom 26. März 1991 VIII R 104/87 (BFH/NV 1991, 671) abgestellt habe, obwohl es zum Streitfall keine Aussagekraft habe-- vorliegen kann, kommt es nicht an, weil sich das FG nur für den Fall hilfsweise auf dieses Urteil gestützt hat, dass --entgegen seiner eigenen Auffassung-- eine Betriebsaufgabe erfolgt wäre. Hat das FG sein Urteil aber kumulativ auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich allein das Entscheidungsergebnis trägt, so ist hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Form geltend zu machen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1996 VIII B 15/96, BFH/NV 1997, 500; vom 3. Dezember 1997 VIII B 38/97, BFH/NV 1998, 613; vom 28. April 1998 IX B 120-121/97, BFH/NV 1998, 1497). Um eine kumulative Begründung handelt es sich auch dann, wenn das FG seine Entscheidung auf eine Hauptbegründung sowie auf eine Hilfsbegründung stützt (BFH-Beschluss vom 18. März 1999 VIII B 60/98, BFH/NV 1999, 1233).