Entscheidungsdatum: 17.03.2010
1. NV: Die Frist zur Begründung der Revision ist versäumt, wenn ein Revisionskläger innerhalb der Begründungsfrist lediglich auf ein beim BFH anhängiges Parallelverfahren verweist und das Ruhen des Verfahrens beantragt.
2. NV: Die Fristversäumnis ist nicht etwa deshalb unverschuldet, weil der BFH dem fachkundigen Kläger keinen Hinweis auf den Begründungsmangel gegeben hatte.
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater tätig ist, unterlag in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem die Festsetzung von Kindergeld streitig war. Der Gerichtsbescheid des Finanzgerichts (FG) vom 27. Juli 2009 wurde dem Kläger am 30. Juli 2009 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 17. August 2009 legte der Kläger die vom FG zugelassene Revision ein. Er verwies auf ein von der angefochtenen Entscheidung abweichendes Urteil des FG Münster vom 4. Juni 2009 3 K 840/08 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1654), gegen das unter dem Az. III R 46/09 die Revision eingelegt worden sei und beantragte, das Verfahren ruhen zu lassen, bis der Bundesfinanzhof (BFH) darüber entschieden habe.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 machte die Senatsvorsitzende den Kläger darauf aufmerksam, dass die Frist zur Begründung der Revision nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am 30. September 2009 abgelaufen war.
Hierauf entgegnete der Kläger, der Schriftsatz vom 17. August 2009, mit dem die Revision eingelegt worden sei, sei zugleich als Revisionsbegründung zu verstehen. Das angeführte Urteil des FG Münster stimme inhaltlich genau mit dem Fall überein, der dem angefochtenen Urteil zugrunde liege, nur die Beträge seien verschieden. Der Fall des FG Münster solle somit zugleich die Revisionsbegründung sein. Lediglich aus Gründen der Prozessökonomie sollte dem BFH durch den Ruhensantrag die Möglichkeit gegeben werden, zunächst über das Urteil des FG Münster zu entscheiden. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO beantragt. Bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist wären noch ca. sechs Wochen Zeit gewesen, ein kurzer Hinweis des Gerichts hätte genügt, und er, der Kläger, hätte die Revisionsbegründung noch fristgerecht eingereicht. Das Erfordernis eines solchen Hinweises ergebe sich aus der Fürsorgepflicht des Gerichts und aus dem verfassungsrechtlichen Gebot eines fairen Verfahrens. Im Anschluss an dieses Vorbringen begründete der Kläger die Revision.
Er beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und den Kindergeld-Aufhebungsbescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2008 aufzuheben.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Revision ist unzulässig und wird gemäß § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss verworfen.
1. Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Revision, die am 30. September 2009 ablief, versäumt.
a) Nach § 120 Abs. 2 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen finanzgerichtlichen Urteils zu begründen. In der Revisionsbegründung sind die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO). Ein Revisionskläger muss kenntlich machen, welche Norm er für verletzt hält, außerdem muss er die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Ansicht das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Auch ist eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils erforderlich (BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 15/03, BFHE 205, 22, BStBl II 2004, 566, m.w.N.).
b) Diesen Voraussetzungen genügt das Schreiben des Klägers vom 17. August 2009 nicht. Der Hinweis auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren III R 46/09 und darauf, dass dort über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden sei, reicht nicht aus (BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 1985 V R 192/84, BFHE 143, 411, BStBl II 1985, 552; vom 6. Juni 2006 V R 8/06, BFH/NV 2006, 1852), er sollte vielmehr den Antrag auf Ruhen des Verfahrens rechtfertigen. Dementsprechend hat sich der Kläger auch nicht mit dem Urteil des FG Münster inhaltlich auseinandergesetzt.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor. Der Kläger war offensichtlich dem Rechtsirrtum unterlegen, das Ruhen des Verfahrens könne auch ohne eine vorherige Revisionsbegründung angeordnet werden. Insbesondere bei fachkundigen Personen wie dem Kläger kann bei einem solchen Irrtum ein Verschulden nicht verneint werden (s. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1852, m.w.N.). Das Verschulden entfiel nicht deshalb, weil das Gericht keinen Hinweis auf den Begründungsmangel gegeben hatte. Die Grundsätze eines fairen Verfahrens wurden dadurch nicht verletzt. Vielmehr war es Sache des fachkundigen Klägers, sich über die Anforderungen an eine ausreichende Revisionsbegründung Gewissheit zu verschaffen.