Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 03.07.2014


BFH 03.07.2014 - III R 52/12

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 53/12 - Erlass von Nachzahlungszinsen nach Verrechnungspreiskorrektur)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
03.07.2014
Aktenzeichen:
III R 52/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend FG Nürnberg, 25. Februar 2011, Az: 7 K 4/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an einer inländischen KG. Infolge einer steuerlichen Betriebsprüfung ergab sich für sie eine Änderung ihres Verlustanteils für 1997; dadurch verminderte sich der bisherige Verlustrücktrag auf das Streitjahr (1995). Die Änderung beruhte auf einer im Rahmen der Betriebsprüfung erzielten tatsächlichen Verständigung über die Frage, in welcher Höhe im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zu einer österreichischen Schwestergesellschaft in der Rechtsform einer GesmbH zu Lasten des inländischen Ergebnisses unangemessene Vermögensvorteile zugewendet worden waren und ob insoweit eine Verrechnungspreiskorrektur durchzuführen sei.

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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ im Februar 2007 einen nach § 10d des Einkommensteuergesetzes geänderten Einkommensteuerbescheid für 1995. Darin wurden Zinsen zur Einkommensteuer auf 108.899 € festgesetzt.

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Die Klägerin beantragte drei Wochen später, einen Teilbetrag der Nachzahlungszinsen in Höhe von 25.208,22 €, der auf die Verrechnungspreiskorrektur zurückzuführen war, aus Billigkeitsgründen (§ 227 der Abgabenordnung --AO--) zu erlassen. Zur Begründung trug sie vor, § 233a AO bezwecke die Abschöpfung von Zins- und Liquiditätsvorteilen. Sie --die Klägerin-- habe aber durch die verspätete Festsetzung keinen Vorteil erlangt, denn die durch die Betriebsprüfung veranlassten Verrechnungspreiskorrekturen hätten nicht zu einem steuerlichen Mehrergebnis geführt, sondern lediglich zu einer Verschiebung des Steuerzugriffs zwischen Deutschland und Österreich. Die Gewinne seien insgesamt in zutreffender Höhe und im richtigen Veranlagungszeitraum der Besteuerung zugrunde gelegt worden. Österreich habe aber eine dem § 233a AO entsprechende Verzinsung erst 2001 eingeführt, so dass den in Deutschland entstandenen Nachzahlungszinsen keine korrespondierenden Erstattungszinsen gegenüberstünden.

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Das FA lehnte den beantragten Teilerlass ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.

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Die Klage hatte keinen Erfolg.

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Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Ablehnungsbescheid vom 19. Juni 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 2009 sowie das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und das FA zu verpflichten, Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1995 wegen sachlicher Unbilligkeit in Höhe von 25.208,22 € zu erlassen.

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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA den Erlass ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

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1. Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

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a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 AO (im Streitzeitraum § 3 Abs. 3 AO) auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie z.B. Zinsen nach den §§ 233 bis 237 AO. Dem Erlass von Zinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO --anders als § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen-- keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaßnahmen enthält (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 233a AO Rz 89).

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b) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde, die gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 26. August 2010 III R 80/07, BFH/NV 2011, 401; vom 16. November 2005 X R 28/04, BFH/NV 2006, 697; vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

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c) Sachlich unbillig ist die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis vor allem dann, wenn sie im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (Senatsurteil in BFH/NV 2011, 401). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (BFH-Urteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt daher keine Billigkeitsmaßnahme; die Billigkeitsprüfung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Diese Grundsätze gelten auch im Zusammenhang mit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO (BFH-Urteil vom 16. November 2005 X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155).

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2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA den Erlass von Nachzahlungszinsen ermessensfehlerfrei abgelehnt hat. Eine Billigkeitsmaßnahme ist nicht geboten, weil die Verrechnungspreiskorrektur dazu geführt hat, dass die Erhöhung der Einkommensteuerschuld der Klägerin zu Nachzahlungszinsen geführt hat, während die österreichische GesmbH keine Erstattungszinsen beanspruchen kann.

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a) Die in § 233a AO angeordnete Verzinsung bezweckt, den möglichen Liquiditätsvorteil abzuschöpfen, der einem einzelnen Steuerpflichtigen durch die verspätete Festsetzung der Steuer entsteht. Auf die Frage, ob dem Steuergläubiger insgesamt ein Schaden entstanden ist, kommt es insoweit nicht an. Deshalb ist bei der Frage, ob die Festsetzung von Zinsen unbillig ist, nur auf die Verhältnisse des jeweiligen Zinsschuldners abzustellen; die Verhältnisse eines anderen Rechtssubjekts bleiben insoweit außer Betracht (BFH-Urteile in BFH/NV 2010, 606; vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178; vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716).

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Die Verrechnungspreiskorrektur hat sich jedoch im Streitfall einerseits --erhöhend-- auf die Besteuerung des zu versteuernden Einkommens der Klägerin und andererseits --mindernd-- auf die Besteuerung der GesmbH ausgewirkt. Die Klägerin ist indessen eine natürliche Person, die österreichische GesmbH ist jedoch eine juristische Person des Privatrechts, die ihr Einkommen selbst der österreichischen Körperschaftsteuer zu unterwerfen hat. Eine Minderung ihres Einkommens wirkt sich mithin nicht unmittelbar auf die Besteuerung ihrer Anteilseigner aus.

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Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob --wie das FG in Übereinstimmung mit dem BFH-Beschluss vom 15. Januar 2008 VIII B 222/06 (BFH/NV 2008, 753) meint-- Auswirkungen im Steuerrechtsverhältnis einer Person zu einem anderen EU-Mitgliedstaat stets außer Betracht zu lassen sind, oder ob die aufgrund der Erhöhung der deutschen Einkommensteuer entstandenen Nachzahlungszinsen (teilweise) zu erlassen gewesen wären, wenn der Klägerin gegen sie festgesetzte österreichische Einkommensteuer infolge der Verrechnungspreiskorrektur erstattet worden wäre, ohne dass sie insoweit Zinsen beanspruchen könnte.

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b) Diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zum BFH-Beschluss vom 28. Juli 2009 I B 42/09 (BFH/NV 2010, 5) und dem diesem zugrunde liegenden Urteil des FG des Saarlandes vom 12. Februar 2009  2 K 2058/04 (juris). In jener Sache hatte das FA eine Zahlung der klagenden GmbH an eine neu eingetretene Gesellschafterin nicht als Gewinnausschüttung, sondern als Darlehensrückzahlung behandelt, wodurch einerseits Kapitalertragsteuer erstattet und andererseits Körperschaftsteuer nachgefordert wurde, die das FA sodann verrechnete (§ 226 AO). Insoweit handelt es sich zwar grundsätzlich um die Steuerrechtsverhältnisse verschiedener Personen, da eine Kapitalgesellschaft Schuldnerin der Körperschaftsteuer, nicht aber der Kapitalertragsteuer ist, die sie als Steuerentrichtungspflichtige für ihre Anteilseigner anzumelden und abzuführen hat. Da sie die Kapitalertragsteuer aber zu Unrecht angemeldet hatte, war die klagende GmbH nach § 37 Abs. 2 Abs. 2 AO erstattungsberechtigt, was den Erlass der Nachzahlungszinsen auf ihre Körperschaftsteuerschuld rechtfertigte.

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c) Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Entscheidung mit Gemeinschaftsrecht bestehen nicht, weil die Klägerin einen Zinserlass auch bei einem reinen Inlandssachverhalt nicht beanspruchen könnte.

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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.