Entscheidungsdatum: 05.08.2011
1. NV: Ein von dem vermuteten Zugang eines Verwaltungsakts binnen dreier Tage nach Postaufgabe abweichender Eingangsvermerk reicht zur Begründung von Zweifeln nicht aus, wenn der Steuerpflichtige im Hinblick auf den geltend gemachten atypisch langen Postlauf keine (weitere) Beweisvorsorge getroffen hat .
2. NV: Fällt das Ende der Drei-Tages-Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, verlängert sich die Frist bis zum nächstfolgenden Werktag (§ 108 Abs. 3 AO) .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob nach erfolglosem Einspruch gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September 2008 für seine Tochter mit Schriftsatz vom 9. April 2010 Klage beim Finanzgericht (FG). Die mit einfacher Post übermittelte Klageschrift ging am 13. April 2010 beim FG ein und enthielt den Hinweis, der Einspruchsbescheid vom 3. März 2010 sei am 24. März 2010 "zugestellt" worden. Auf den Hinweis der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse), die Klage sei verfristet, forderte das FG den Kläger auf, durch substantiierte Erklärungen darzulegen, dass er nicht rechtzeitig in den Besitz des Schriftstücks gelangt sei. Dem Kläger werde aufgegeben, mitzuteilen, worauf seine Erinnerung beruhe, die Einspruchsentscheidung erst am 24. März 2010 erhalten zu haben. Ferner solle er den betreffenden Briefumschlag vorlegen. Der Kläger legte daraufhin eine --von ihm selbst verfasste-- eidesstattliche Erklärung vom 18. November 2010 vor, in der es heißt: "Ich ..., geb. ..., erkläre hiermit, dass die Einspruchsentscheidung drei Wochen nach Aufgabe zur Post, bei mir eingegangen ist. Eine schuldhafte Fristversäumung liegt nicht vor." In dem begleitenden Schriftsatz führten die Prozessbevollmächtigten ergänzend aus, der Briefumschlag zu der Einspruchsentscheidung liege bedauerlicherweise nicht mehr vor. Es sei allerdings erinnerlich, dass der Kläger unverzüglich nach Eingang der Einspruchsentscheidung diese beim Unterzeichner vorgelegt habe. Dies sei am 26. März 2010 gewesen. Auf der Einspruchsentscheidung habe der Kläger handschriftlich den Eingang am 24. März 2010 vermerkt.
Das FG wies die Klage am 14. März 2011 als unzulässig ab. Es begründete seine Entscheidung damit, die Einspruchsentscheidung gelte am 6. März 2010 (Samstag) als bekanntgegeben. § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) enthalte eine an den Tag der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post anknüpfende Zugangsvermutung und darüber hinaus eine Zugangsfiktion. Danach sei im Streitfall davon auszugehen, dass die Einspruchsentscheidung mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelte. Der Kläger habe den Zugangszeitpunkt auch nicht substantiiert bestritten. So habe er nicht erklären können, warum es zu einer dreiwöchigen Verzögerung in der Postbeförderung gekommen sein könne. Könne der Adressat einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums erkennen, bestehe eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge, welcher der Kläger nicht nachgekommen sei. So habe er auf Anfrage des FG den Briefumschlag nicht vorlegen können. Dem handschriftlichen Vermerk auf der Einspruchsentscheidung sowie der eidesstattlichen Versicherung komme bei dieser Sach- und Rechtslage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision, weil sein Anspruch auf Wahrung des rechtlichen Gehörs verletzt sei. Darüber hinaus sei, bezogen auf den konkreten Sachverhalt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung sowie zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ein Zulassungsgrund liegt nicht vor oder wurde bereits nicht in der gebotenen Form (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargelegt.
1. Der Kläger rügt sinngemäß, das FG habe die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Hierdurch macht er im Kern einen Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 2004 VII B 181/03, BFH/NV 2004, 1284).
a) Gemäß § 47 Abs. 1 FGO ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Die Vorschrift fingiert den Zugang eines mit der Post übermittelten Verwaltungsakts am dritten Tag nach dessen Aufgabe zur Post. Bestreitet der Steuerpflichtige oder Kindergeldberechtigte nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische --Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post-- ernstlich in Betracht zu ziehen ist (BFH-Urteil vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828; Senatsurteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365; Senatsbeschluss vom 20. April 2011 III B 124/10, BFH/NV 2011, 1110). Es obliegt dann dem Gericht, den Vortrag des Steuerpflichtigen und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO abzuwägen. Auf die Beweislastregel des § 122 Abs. 2 Halbsatz 2 AO kann erst dann zurückgegriffen werden, wenn trotz erfolgter Sachaufklärung noch Zweifel am gesetzlich vermuteten Zugang eines Bescheides verbleiben (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2001, 1365).
b) Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat die tatsächlichen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abgewogen (Senatsbeschluss vom 31. März 2008 III B 151/07, BFH/NV 2008, 1335). Wenn es danach der Behauptung des Klägers über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung nicht folgte und keinen Zweifel am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist hatte, so war dies nicht verfahrensfehlerhaft. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn es den handschriftlichen Eingangsvermerk durch den Kläger nicht als ausreichend angesehen hat, da auch nach der Rechtsprechung des BFH ein abweichender Eingangsvermerk zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist nicht ausreicht (BFH-Beschlüsse vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115, jeweils m.w.N.).
Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das FG bei seiner Würdigung zum Nachteil des Klägers berücksichtigt hat, dass dieser weder erläutern konnte, warum es zu der behaupteten dreiwöchigen Verzögerung bei der Postbeförderung gekommen sein könne, noch dass er die --angesichts der mit dem Datum des 3. März 2010 versehenen Einspruchsentscheidung-- gebotene Beweisvorsorge getroffen habe. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dem Adressaten, der einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums erkennen konnte, diese nicht nur zuzumuten, vielmehr besteht nach der Rechtsprechung in derartigen Situationen eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge (z.B. BFH-Beschluss vom 1. Dezember 2010 VIII B 123/10, BFH/NV 2011, 410, m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, dass das FG der von dem Kläger vorgelegten eidesstattlichen Erklärung keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, zumal sich aus dieser weder die Umstände des behaupteten Zugangs "drei Wochen nach Aufgabe zur Post" noch ein konkretes Datum ergeben. Lediglich im Zusammenhang mit der vom 3. März 2010 (Mittwoch) datierenden Einspruchsentscheidung und dem Eingangsvermerk (Mittwoch, den 24. März 2010) lässt sich der Inhalt der Erklärung in den von dem Kläger behaupteten Zugang am 24. März 2010 spezifizieren. Mit dieser Erklärung hat der Kläger die Aufgabe der Einspruchsentscheidung am 3. März 2010 zur Post allerdings zugleich unstreitig gestellt, so dass die nun im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Rüge, nach dem Vortrag der Familienkasse stehe der 3. März 2010 als Postaufgabetag nicht fest, nicht schlüssig ist. Bei Zweifeln an der Postaufgabe am 3. März 2010 durch die Familienkasse hätte der --durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene-- Kläger dies bereits vor dem FG rügen und ggf. einen entsprechenden Beweisantrag stellen müssen.
c) Unerheblich ist, dass das FG den Ablauf der Drei-Tages-Frist --und damit die Klagefrist-- unzutreffend berechnet hat. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist geklärt, dass sich die Frist bis zum nächstfolgenden Werktag verlängert (§ 108 Abs. 3 AO), wenn das Fristende --wie nach den Feststellungen des FG im Streitfall-- auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt (BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898; vom 11. März 2004 VII R 13/03, BFH/NV 2004, 1065). Bei einer Bekanntgabevermutung der Einspruchsentscheidung am 8. März 2010 (Montag) endete die Klagefrist mithin richtigerweise erst am 8. April 2010 (Donnerstag), wurde jedoch auch in diesem Fall nicht gewahrt.
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) kommt nicht in Betracht. Insoweit entspricht die Beschwerdebegründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, eine konkrete Rechtsfrage zu formulieren und auf ihre Klärungsbedürftigkeit einzugehen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 389). Letztlich setzt der Kläger lediglich seine eigene Rechtsansicht anstelle der des FG, um in der Art einer Revisionsbegründung dessen (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung zu rügen.