Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 27.04.2012


BFH 27.04.2012 - III B 238/11

Umfang der Sachaufklärungspflicht des FG - Rechtliches Gehör - Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten - Antrag auf Tatbestandsberichtigung bei unzutreffender Sachverhaltsfeststellung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
27.04.2012
Aktenzeichen:
III B 238/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Köln, 27. Januar 2011, Az: 11 K 1142/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Das FG muss nur das aufklären, was aus seiner (materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist. Es muss insbesondere keinem "gebündelten" Beweisantrag nachgehen, der einen Zeitraum von etlichen Jahren umfassen soll und hierzu nur allgemeine, nicht weiter substantiierte Behauptungen enthält .

2. NV: Mit dem Einwand, der vom FG festgestellte Sachverhalt sei in einem bestimmten Punkt unzutreffend, kann der Kläger im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren regelmäßig nicht mehr gehört werden. Ein solcher Einwand ist vielmehr im Rahmen eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) vor dem FG zu verfolgen .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe sind jedenfalls nicht gegeben.

2

1. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) durch Übergehen der beantragten Beweiserhebung liegt nicht vor.

3

Die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das Finanzgericht (FG) Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles hätten aufdrängen müssen. Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen. Da die Sachaufklärungspflicht dazu dient, die Spruchreife der Klage herbeizuführen, hat das Gericht jedoch nur das aufzuklären, was aus seiner (materiell-rechtlichen) Sicht entscheidungserheblich ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. September 2009 IV B 133/08, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.).

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Für die Wirksamkeit der --der Festsetzung der Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO--) zugrundeliegenden-- Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1988, 1991 und 1992 hat das FG darauf abgestellt, dass es hinsichtlich der streitigen Gewinne aus der Steuerberatungspraxis des Klägers um die Klärung einer Rechtsfrage ging und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) dabei die erklärten Gewinne für 1988 und 1991 übernommen und lediglich den Gewinn für 1992 geschätzt hat. Letzteren hatte der Kläger entsprechend seiner Rechtsauffassung mit 0 DM angegeben. Da sich das FA nach den Ausführungen im Urteil bei der Schätzung an den (erklärten) Gewinnen der Vorjahre orientierte, konnte das FG ein --eine Nichtigkeit i.S. des § 125 Abs. 1 AO auslösendes-- subjektiv oder objektiv willkürliches Verhalten des FA nicht erkennen. Entsprechendes galt nach den Ausführungen des FG hinsichtlich der in den Jahren 1988 und 1991 erfolgten --und nach dessen Feststellungen auf Angaben des Klägers in anderen Verfahren zurückgehenden-- Zuschätzungen von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (Geschäftsführergehalt). Nach Auffassung des FG musste sich dem FA aus den Bilanzen der X GmbH zudem nicht ohne weitere Erläuterungen aufdrängen, dass der Kläger kein Geschäftsführergehalt bezog.

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Da das FG die --die Grundlage für die Zinsfestsetzung bildenden und infolge der erzielten Einigung der Beteiligten geänderten-- Einkommensteuerbescheide deshalb zwar als rechtswidrig, aber nicht als nichtig beurteilte, kam es nach dessen maßgeblicher materiell-rechtlicher Sicht nicht auf die von dem Kläger beantragten Beweiserhebungen an. Dies ist insbesondere auch deshalb nicht zu beanstanden, da der --wie der Kläger selbst formuliert-- gebündelte Beweisantrag in Bezug auf die unter Beweis gestellten Tatsachen, die einen Zeitraum von "mindestens 28 Jahren" umfassen sollen, nicht substantiiert ist, sondern sich in allgemeinen Behauptungen verliert. Insbesondere hat der Kläger nicht --wie er in seiner Beschwerdebegründung letztlich geltend macht-- substantiierte Tatsachen unter Beweis gestellt, aus denen sich die --nach seiner Ansicht gegebene-- "bewusste und willkürliche Schätzung" zu seinem Nachteil ergeben könnte.

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2. Auch die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Weiterhin hat das Gericht seine Entscheidung zu begründen, wobei aus seiner Begründung erkennbar sein muss, dass eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden hat (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 1980  2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste, da davon auszugehen ist, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Es darf das Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2010 XI B 46/10, BFH/NV 2011, 448).

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b) Die Beschwerdebegründung lässt eine solche Gehörsverletzung im Streitfall nicht erkennen.

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So hat das FG --wie der Kläger selbst einräumt-- seinen Vortrag im Urteil dargelegt und damit ersichtlich zur Kenntnis genommen. Mit seinem --des Klägers-- Kernargument, es seien keine Aussetzungszinsen entstanden, weil die zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen nichtig seien, hat sich das FG zudem ausführlich in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt, dieses aber letztlich als nicht durchgreifend erachtet. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt jedoch nicht vor, wenn das FG den Akteninhalt vollständig zur Kenntnis genommen und in bestimmter Weise bewertet hat (Senatsbeschluss vom 10. Mai 2004 III B 85/03, nicht veröffentlicht). Besondere Anhaltspunkte für einen gleichwohl gegebenen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht dargelegt. So genügt dafür nicht allein der Vortrag, das FG habe sich in seiner Entscheidungsbegründung "mit diesen Gründen" nicht auseinandergesetzt, zumal der Kläger nicht behauptet, die Wiedergabe seines Vortrags im Tatbestand sei unvollständig.

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3. Einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung bereits nicht schlüssig dargelegt.

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a) Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist nur dann ein Zulassungsgrund, wenn er gleichzeitig eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO und damit einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962, unter 3.). Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Vorschrift verpflichtet mithin das FG, den Inhalt der ihm vorgelegten Akten und den Vortrag der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 96 FGO Rz 40, m.w.N.). Das FG verstößt regelmäßig nicht gegen seine Verpflichtung, nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, wenn es sämtliche vom Kläger geltend gemachten Tatsachen in den Tatbestand des Urteils aufnimmt (Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 42).

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b) Einen solchen Verstoß macht der Kläger nicht geltend. Vielmehr wendet er sich gegen die --seiner Ansicht nach unzutreffende-- Feststellung des FG, wonach der Kläger in anderen Verfahren erklärt habe, als Geschäftsführer der X GmbH Zahlungen erhalten, mithin ein Geschäftsführergehalt bezogen zu haben. U.a. aus diesem Grund sah das FG die von dem FA vorgenommenen --und nach den Feststellungen des FG auf die Angaben des Klägers zurückgehenden-- Zuschätzungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht als willkürlich an.

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Soweit der Kläger nun geltend macht, weder habe er "derartiges in anderen Verfahren" gesagt noch habe sich das FA darauf berufen, wendet er sich gegen die Richtigkeit des im FG-Urteil festgestellten Sachverhalts. Derartige Einwendungen sind jedoch nicht als Verfahrensmangel im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu rügen, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines (fristgebundenen) Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 X B 120/08, BFH/NV 2009, 41; vom 7. Mai 1999 IX B 20/99, BFH/NV 1999, 1369).

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4. Soweit der Kläger eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), entspricht die Beschwerdebegründung nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.