Entscheidungsdatum: 20.02.2012
1. NV: Die Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG ein nicht als aussichtlos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung hat.
2. NV: Setzt ein FG ein Verfahren, in dem es um die Zusammenveranlagung homosexueller Lebenspartner geht, im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen einschlägigen Verfassungsbeschwerden entsprechend § 74 FGO aus, so ist dies ermessensgerecht.
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für das Jahr 2009 zusammen mit Herrn X, mit dem er in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, zur Einkommensteuer veranlagt zu werden. Das FA lehnte dies ab und führte für den Kläger eine Einzelveranlagung durch. Dagegen wendet sich dieser mit Einspruch und Klage. Das Finanzgericht (FG) setzte das Verfahren durch Beschluss vom 20. Oktober 2011 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die dort anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06 und 2 BvR 288/07 aus.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Zur Begründung trägt er vor, das BVerfG habe die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits beantwortet, so dass die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, derentwegen das FG das Verfahren ausgesetzt habe, nicht vorgreiflich sei. Die Frage, ob die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft einen Anspruch darauf hätten, im Steuerrecht wie Ehegatten behandelt zu werden, habe das BVerfG im Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 (BVerfGE 126, 400, BGBl I 2010, 1295) bereits mit bindender Wirkung bejaht (vgl. § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Diese Bindungswirkung dürfe von einem Fachgericht nicht durch eine Verfahrensaussetzung unterlaufen werden. Auch habe das FG seine Verpflichtung verletzt, wegen der Verfassungswidrigkeit der §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an das BVerfG zu richten.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 FGO). Das FG hat ermessensfehlerfrei das Verfahren entsprechend § 74 FGO ausgesetzt.
1. Nach § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung über die Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend § 74 FGO ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986). Eine Verfahrensaussetzung kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (z.B. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom 10. Februar 1995 III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415; vom 16. Juli 2011 III B 217/10, BFH/NV 2011, 1901).
2. Ermessensfehlerfrei hat das FG die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung bejaht. Beim BVerfG sind die --nicht aussichtslosen-- (Muster-)Verfahren 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 anhängig, die Verfassungsbeschwerden gegen die Senatsurteile vom 26. Januar 2006 III R 51/05 (BFHE 212, 236, BStBl II 2006, 515), vom 20. Juli 2006 III R 8/04 (BFHE 214, 347, BStBl II 2006, 883) und vom 19. Oktober 2006 III R 29/06 (BFH/NV 2007, 663) betreffen. In diesen Entscheidungen hatte der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung mit Splittingtarif wählen können, sondern einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagen sind und die Einkommensteuer nach der Grundtabelle zu berechnen ist. Nach den Feststellungen des FG liegen hierzu zahlreiche Parallelverfahren vor. Ein besonderes berechtigtes Interesse an einer vorzeitigen Entscheidung des FG trotz der beim BVerfG anhängigen Verfahren wurde vom Kläger nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
3. Die Ermessensentscheidung des FG, das Verfahren auszusetzen, ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers nicht deshalb fehlerhaft, weil der zur Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ergangene Beschluss des BVerfG in BVerfGE 126, 400, BGBl I 2010, 1295 möglicherweise Gesichtspunkte enthält, die auch für ein Verfahren, in dem es um die Ungleichbehandlung von Ehen und Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht geht, von Bedeutung sein können. Eine Bindung des FG an tragende Entscheidungsgründe des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 126, 400, BGBl I 2010, 1295 nach § 31 BVerfGG ist zu verneinen. Die Bindungswirkung ist auf das überprüfte Gesetz beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1999 XI R 77/97, BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771). Aus diesem Grund bestand auch keine Verpflichtung zu einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG.