Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 10.11.2010


BFH 10.11.2010 - III B 191/09

Beschwerde gegen einen Scheinbeschluss


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
10.11.2010
Aktenzeichen:
III B 191/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 12. Mai 2009, Az: 4 V 2569/08, Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Wird dem Antragsteller statt des von den Richtern unterzeichneten Beschlusses über die Aussetzung der Vollziehung, der ausführlich begründet, warum diese versagt wird, von der Geschäftsstelle irrtümlich ein sechs Monate alter Entwurf zugestellt, dessen Begründung sich in einem Satz erschöpft, so handelt es sich bei diesem Schriftstück nicht um einen Beschluss i.S.v. § 113 FGO .

2. NV: Damit der unzutreffende Schein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden kann, ist gegen einen "Schein-Beschluss" die Beschwerde als das im Falle einer wirksamen Entscheidung statthafte Rechtsmittel zulässig .

3. NV: Wurde der mögliche Rechtsschein eines wirksamen Beschlusses bereits beseitigt, kann eine Beschwerde nicht mehr zulässig eingelegt werden .

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) bezog für seinen Sohn Kindergeld, das die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) für die Kalenderjahre 2005 und 2006 mit der Begründung zurückforderte, die Einkünfte des Sohnes hätten den Jahresgrenzbetrag überschritten. Der Beschwerdeführer legte dagegen Einspruch ein und beantragte am 17. November 2008 beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung (AdV).

2

Nach dem Wechsel von Schriftsätzen --die letzte Stellungnahme der Familienkasse wurde dem Beschwerdeführer am 19. Mai 2009 zur Kenntnis- und Stellungnahme bis zum 22. Juni 2009 übersandt-- beschloss das FG am 26. Oktober 2009, den Antrag abzulehnen und die Beschwerde nicht zuzulassen.

3

Dem Beschwerdeführer wurde statt dieses von drei Berufsrichtern unterzeichneten Beschlusses, der eine ausführliche Begründung enthält, gemäß § 174 der Zivilprozessordnung ein auf den 12. Mai 2009 datierter Beschluss zugestellt, dessen Begründung sich in dem Satz "Der Antrag ist unzulässig" erschöpft und nach dessen Rechtsmittelbelehrung Beschwerde eingelegt werden konnte, obwohl der Tenor keine Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde enthält.

4

Der Beschwerdeführer sandte das Empfangsbekenntnis für die "Ausfertigung des Beschlusses vom 26.10.2009" am 9. November 2009 mit dem Zusatz zurück: "Nein, die Entscheidung datiert auf den 12.05.2009". Die Geschäftsstelle des FG antwortete am nächsten Tag, durch ein Kanzleiversehen sei an Stelle einer Ausfertigung des Beschlusses vom 26. Oktober 2009 ein im System gespeicherter Entwurf des Beschlusses übersandt worden, der nicht zur Bekanntgabe bestimmt gewesen sei, der Beschluss vom 26. Oktober 2009 werde in den nächsten Tagen zugehen. Dieses Schreiben wurde am 10. November 2009 um 11:00 Uhr vorab per Fax übersandt.

5

Ebenfalls am 10. November 2009 wurde die Zustellung des Beschlusses vom 26. Oktober 2009 veranlasst und der Beschwerdeführer gebeten, den versehentlich übersandten Entwurf nebst Abschrift zu übersenden.

6

Mit seiner am 12. November 2009 beim FG eingegangenen Beschwerde beantragte der Beschwerdeführer, den Beschluss vom 12. Mai 2009 aufzuheben und den FG-Senat zu verpflichten, in verfahrensrechtlich einwandfreier Form erneut über den Antrag auf AdV zu entscheiden. Der Beschluss vom 12. Mai 2009 sei nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der Beschlussfassung begründet worden. Der begründungsbedürftige Beschluss enthalte zudem außer der Entscheidungsformel weder Entscheidungsgründe noch eine Rechtsgrundlage, warum die Angabe von Gründen ausnahmsweise verzichtbar gewesen sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei fehlerhaft, da die Zulassung der Beschwerde durch einen Hinweis in den --hier fehlenden-- Entscheidungsgründen zu erfolgen habe.

7

Der Vorsitzende des FG-Senats führte daraufhin in einem an den Beschwerdeführer gerichteten Schreiben aus, ein Beschluss vom 12. Mai 2009 --dessen Aufhebung mit der Beschwerde begehrt werde-- existiere nicht, es handele sich klar erkennbar um ein "rechtliches Nullum". Der versehentlich übersandte unvollständige Entwurf sei nicht zur Bekanntgabe bestimmt gewesen, dies ergebe sich bereits aus dem Empfangsbekenntnis, nach dem ein Beschluss vom 26. Oktober 2009 übersandt werden sollte. Zudem belege die am 19. Mai 2009 veranlasste Übersendung eines Schriftsatzes der Familienkasse zur Stellungnahme, dass zuvor kein das Verfahren abschließender Beschluss ergangen sei.

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Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

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1. Gegen Beschlüsse des FG (§ 113 FGO) kann nach Maßgabe des § 128 FGO Beschwerde eingelegt werden. Bei dem auf den 12. Mai 2009 datierten Schriftstück handelt es sich indessen nicht um einen Beschluss.

11

Das am 7. November 2009 beim Beschwerdeführer eingegangene, auf den 12. Mai 2009 datierte Schriftstück weist zwar äußerlich alle Merkmale der Ausfertigung eines Beschlusses auf; ungewöhnlich erscheint nur die aus lediglich einem Satz bestehende Begründung. Das Schriftstück beruht aber nicht auf einer Entscheidung des FG über die AdV (§ 69 Abs. 3 FGO), es handelt sich insbesondere nicht um eine --u.a. hinsichtlich des Datums, der fehlenden Begründung und dem Widerspruch zwischen der Rechtsmittelbelehrung und der fehlenden Beschwerdezulassung im Tenor-- Unrichtigkeiten (vgl. § 107 und § 108 i.V.m. § 113 Abs. 1 FGO) enthaltende Entscheidung (vgl. dagegen z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. November 1998 I R 42/98, BFH/NV 1999, 792, betr. Zustellung des Urtextes der Entscheidung ohne die darin vorgenommenen Berichtigungen aufgrund Computerausfalls). Die Berufsrichter des FG (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO) haben vielmehr den Beschluss vom 26. Oktober 2009 unterzeichnet. Das Schriftstück vom 12. Mai 2009 ist daher ein sog. Schein- oder Nicht-Beschluss, der auch die Beschwerdefrist (§ 129 Abs. 1 FGO) nicht in Gang setzen konnte.

12

2. Hat ein Gericht zwar eine Entscheidung nicht getroffen, aber gleichwohl den äußeren Schein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung gesetzt, so ist das im Falle einer wirksamen Absetzung der Entscheidung statthafte Rechtsmittel --hier also die Beschwerde--, zulässig, um den unzutreffenden Schein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 16. Oktober 1984 VI ZR 25/83, Zeitschrift für Versicherungsrecht --VersR-- 1984, 1192, und BGH-Beschluss vom 3. November 1994 LwZB 5/94, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 404, beide betr. äußerlich gesetzmäßige Zustellung eines nicht verkündeten Urteils; Oberlandesgericht --OLG-- Rostock, Urteil vom 24. März 2004  6 U 124/02, OLG-Rechtsprechung Neue Länder 2005, 279, betr. ein am Schluss der mündlichen Verhandlung trotz fehlender schriftlicher Urteilsformel verkündetes Urteil; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. April 2008 L 4 R 23/07, juris, betr. "Urteil" mit Tatbestand und Entscheidungsgründen, aber ohne Urteilstenor). Die sonstigen Voraussetzungen des Rechtsmittels brauchen dann nicht erfüllt zu sein (BGH-Urteil in VersR 1984, 1192).

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3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Zustellung des auf den 12. Mai 2009 datierten Schriftstücks den Rechtsschein einer darin getroffenen gerichtlichen Entscheidung erzeugte, weil es die Form eines Beschlusses aufwies, oder ob es sich wegen der unterschiedlichen Daten des übersandten Schriftstücks und des nach dem Empfangsbekenntnis zuzustellenden Beschlusses sowie der dem "Beschlussdatum" nachfolgenden gerichtlichen Aufforderung oder wegen offenkundiger Mängel des "Beschlusses" erkennbar um ein "rechtliches Nullum" handelte. Denn ein etwaiger durch die Zustellung erzeugter Rechtsschein bestand jedenfalls im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde nicht mehr, da die Geschäftsstelle dem Klägervertreter bereits zwei Tage zuvor mitgeteilt hatte, dass aufgrund eines Kanzleiversehens ein nicht zur Bekanntgabe bestimmter Entwurf anstelle des Beschlusses vom 26. Oktober 2009 übersandt worden sei. War ein etwaiger unzutreffender Rechtsschein mithin bereits vor dem Eingang der Beschwerde vom FG beseitigt worden, so bedurfte es nicht der Zulässigkeit eines Rechtsmittels, um den Schein-Beschluss zu beseitigen.

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4. Da es sich bei dem Schriftstück vom 12. Mai 2009 nicht um einen aufzuhebenden Beschluss handelte, geht der Antrag auf erneute Entscheidung ins Leere.