Entscheidungsdatum: 02.04.2012
1. NV: Eine Bindung der Familienkasse tritt nur im Hinblick auf solche --auch höchstrichterliche-- Urteile ein, die gegen sie als Beteiligte eines Finanzrechtsstreits ergangen sind .
2. NV: Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der Steuerpflichtige --außerhalb des Anwendungsbereichs des § 176 AO-- nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch auf Vertrauensschutz haben kann, wenn sich die Rechtsprechung des BFH verschärft und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat .
3. NV: Aus Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich grundsätzlich kein Anspruch auf eine künftig gleichbleibende Rechtslage ableiten .
Die Beschwerde ist unzulässig. Denn ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO begehrt, dann muss der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellen, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224; vom 27. Dezember 2011 III B 35/11, juris).
Bei dem Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung handelt es sich um eine Konkretisierung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung. Auch eine Zulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO setzt daher unter anderem voraus, dass über eine bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden ist. Ein Klärungsbedarf besteht dann nicht mehr, wenn die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2004 X B 48/04, BFH/NV 2005, 698, m.w.N.; vom 14. Dezember 2011 X B 116/10, BFH/NV 2012, 577; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 41).
b) Die Beschwerdebegründung entspricht den dargestellten Maßstäben nicht. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) setzt sich nicht mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BFH auseinander und legt in Anbetracht dessen auch nicht dar, welche Fragen bislang ungeklärt geblieben sind oder welche Gesichtspunkte eine neuerliche Überprüfung der bestehenden Rechtsgrundsätze gebieten könnten.
aa) Soweit der Kläger die Frage aufwirft, ob die Familienkasse "auf einen steuerrechtlichen Sachverhalt die zum Zeitpunkt des Sachverhalts gültige höchstrichterliche Rechtsprechung" anwenden muss, statt allgemeine Verwaltungsvorschriften in ihrem Sinne zu interpretieren, wird in der Beschwerdeschrift die Klärungsbedürftigkeit nicht näher dargelegt. Es fehlt bereits an der Auseinandersetzung mit den unmittelbaren Aussagen des Gesetzes zu dieser Frage. Nach §§ 121 Satz 1, 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO tritt eine Bindung der Familienkasse nur im Hinblick auf solche --auch höchstrichterliche-- Urteile ein, die gegen sie als Beteiligte eines Finanzrechtsstreits ergangen sind (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 176 AO Rz 160). Wendet die Verwaltung, wie im Streitfall geschehen, bestimmte Urteile des BFH nicht an, weil sie diese in einem dem Steuerpflichtigen ungünstigen Sinne interpretiert hat, dann stehen Letzterem die Rechtsschutzmöglichkeiten der Abgabenordnung und der FGO zur Verfügung. Der Kläger hat von diesen Rechtsschutzmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch gemacht. Dass er mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist, lag daran, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09 (BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982, betr. Berücksichtigung von vollzeiterwerbstätigen Kindern während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz) während des Klageverfahrens im Sinne der zuvor bereits von der Verwaltung vertretenen Auffassung geändert hat (vgl. Schreiben des Bundeszentralamts für Steuern vom 4. Juli 2008 St II 2-S 2282-138/2008, BStBl I 2008, 716, betr. BFH-Urteil vom 16. November 2006 III R 15/06, BFHE 216, 74, BStBl II 2008, 56).
bb) Mit der weiteren vom Kläger aufgeworfenen Frage, "ob eine unrichtige Anwendung der bestehenden Rechtsprechung einen Vertrauenstatbestand verhindern" könne, will er wohl dahin verstanden werden, dass er in den Genuss von Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) gekommen wäre, wenn die Verwaltung die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung gültige höchstrichterliche Rechtsprechung angewendet haben würde. Die unterbliebene Anwendung einer ihm günstigen Rechtsprechung dürfe das Entstehen eines Vertrauenstatbestands nicht verhindern.
Der Kläger hat sich in seiner Beschwerde mit den bereits vorliegenden höchstrichterlichen Aussagen zum Vertrauensschutz bei Änderungen der Rechtsprechung nicht näher befasst. So folgt aus § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO und der hierzu ergangenen Judikatur, dass diese Vorschrift das Vertrauen des Steuerpflichtigen in eine ihm günstige Rechtsprechung als solches nicht schützt. Geschützt wird allein das Vertrauen in die Bestandskraft eines Bescheids, soweit dieser auf einer günstigen Rechtsprechung beruht (vgl. BFH-Urteile vom 11. Oktober 1988 VIII R 419/83, BFHE 155, 298, BStBl II 1989, 284; vom 28. Mai 2002 IX R 86/00, BFHE 199, 1, BStBl II 2002, 840). Der Kläger konzediert, dass das Finanzgericht in der angegriffenen Entscheidung § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zutreffend verneint hat, weil die Familienkasse zu keinem Zeitpunkt die ihm günstige BFH-Rechtsprechung zu vollzeiterwerbstätigen Kindern in einem Bescheid angewandt hat. Der BFH hat des Weiteren bereits mehrfach entschieden, dass der Steuerpflichtige --außerhalb des Anwendungsbereichs des § 176 AO-- nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch auf Vertrauensschutz haben kann, wenn sich die Rechtsprechung des BFH verschärft und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V B 8/06, BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405, m.w.N.; BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, m.w.N.). Schließlich hat der BFH auch dahin erkannt, dass bei der Änderung einer langjährigen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung das Rechtsstaatsprinzip es gebieten kann, dass die Gerichte aus Vertrauensschutzgründen typisierende Übergangsregelungen treffen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608). Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist demnach auch hinreichend geklärt, dass es --darauf zielen die Ausführungen des Klägers wohl ab-- keinen generellen Schutz vor belastenden Rechtsprechungsänderungen gibt.
cc) Im Hinblick auf die weitere Frage, "ob ein Vertrauen auf durch den BFH differenzierte Auslegungen von Gesetzen durch den BFH geschützt werden kann oder geschützt werden muss, um finanzielle Dispositionen der Bürger ..., die auf die Gültigkeit dieser Auslegungen vertrauen, zu ermöglichen", ist auf die soeben (unter Ziffer 1.b bb der Gründe dieses Beschlusses) wiedergegebene Rechtsprechung zum Vertrauensschutz zu verweisen.
dd) Zuletzt rechtfertigt auch der vom Kläger gerügte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes (GG) die Zulassung der Revision nicht. Mit der Rüge soll wohl die allgemein bei Änderungen der Gesetzgebung oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung auftretende Problematik der "Gleichbehandlung in der Zeit" angesprochen werden, wonach bei gleichem Sachverhalt Steuerpflichtige zeitlich vor und nach Änderung des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterschiedlich behandelt werden. Abgesehen davon, dass es sich hierbei wiederum nur um einen Aspekt des Vertrauens- und Dispositionsschutzes handelt, lässt die Beschwerdebegründung die gebotene verfassungsrechtliche Erörterung vermissen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erkennt einen ggf. aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitbaren Anspruch auf eine künftig gleichbleibende Rechtslage grundsätzlich nicht an (z.B. BVerfG-Beschluss vom 12. Mai 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, BFH/NV 2009, 1382).