Entscheidungsdatum: 20.05.2014
NV: Bei der Änderung eines Steuerbescheids wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann der Dienststelle, die für die Bearbeitung der Einkommensteuer zuständig ist, nicht das Wissen der Dienststelle zugerechnet werden, die für die Körperschaftsteuer zuständig ist (BFH-Urteil vom 17.11.1998 VIII R 24/98, BStBl II 1999, 223).
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war als Steuerberater selbständig tätig. Darüber hinaus war er an einer Steuerberatungs-GmbH beteiligt. Mit Wirkung vom 1. Januar 2003 verkaufte der Kläger seine Kanzlei an die GmbH. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2003) war ein Veräußerungsgewinn von 20.805 € angegeben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger im Wesentlichen erklärungsgemäß und setzte durch Bescheid vom 6. Juni 2005 eine Einkommensteuer von … € fest. In der Folgezeit kam es wegen der Beteiligung des Klägers an Schifffahrtsgesellschaften zu Änderungen des Einkommensteuerbescheids 2003, zuletzt unter dem 2. Oktober 2007.
Im August 2007 begann bei der GmbH eine Außenprüfung. Die Prüferin beanstandete die Höhe des von den Klägern angegebenen Gewinns aus der Veräußerung der Einzelkanzlei an die GmbH. Insbesondere der vom Kläger erklärte Firmenwert war nach ihrer Ansicht zu niedrig. Sie ermittelte einen Veräußerungsgewinn von 95.779 €. Das FA erließ unter dem Datum des 15. April 2008 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2003. Dagegen wandten sich die Kläger mit Einspruch. Sie waren der Ansicht, es bestehe keine Änderungsmöglichkeit.
Das Finanzgericht (FG) wies die anschließend erhobene Klage ab. Das FA sei zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 berechtigt gewesen. Der Kläger habe bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns einen zu niedrigen Firmenwert von 11.900 € angesetzt, ohne die wertbegründenden Kriterien zu erläutern. Der Firmenwert habe sich jedoch unstreitig auf 90.110,40 € belaufen. Die zutreffende Höhe sei dem FA erst nachträglich bekannt geworden. Auf etwaige Kenntnisse des für die Besteuerung der GmbH zuständigen Sachgebietsleiters komme es nicht an, ebenso wenig auf die Kenntnisse der Außenprüferin. Unterlagen, aus denen sich möglicherweise die ursprüngliche Ermittlung des Firmenwerts ergeben habe, seien der Einkommensteuererklärung 2003 nicht beigefügt gewesen, insbesondere nicht die von den Klägern als "Anlage 1" und "Anlage 2" bezeichneten Schriftstücke.
Gegen das Urteil des FG wenden sich die Kläger mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend machen.
Zur Begründung tragen sie vor, wegen der Unterlagen, die der Einkommensteuererklärung 2003 als Anlagen beigefügt gewesen seien, habe der Einkommensteuerbescheid 2003 nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden können. Dem Veranlagungsbeamten hätten sich Zweifel aufdrängen müssen, ob die Aufteilung des Kaufpreises auf die einzelnen Wirtschaftsgüter zutreffend sei. Aus einer Anlage habe sich eine Berechnung des Übertragungsvorgangs ergeben. Das FA sei durch die Vorlage der Unterlagen über sämtliche Bewertungsparameter informiert gewesen. Wären hier Zweifel aufgekommen, so hätte das FA den Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO stellen müssen. Auch trete das grundsätzliche Problem auf, "ob die Kenntnis anderer Dienststellen nicht zugleich die Kenntnis des zur Bearbeitung des Steuerfalls zuständigen Dienststelle nicht miteinander verknüpfen ist". In den Stadtstaaten würden natürliche und juristische Personen von unterschiedlichen Finanzämtern besteuert. Daher sei fraglich, ob die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung noch aufrecht erhalten werden könne.
Darüber hinaus sei im Streitfall eine Korrektur des Einkommensteuerbescheids aufgrund der Wertung der Spezialvorschrift des § 32a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) nicht möglich. Im Hinblick auf die eingeschränkte Korrekturmöglichkeit nach § 32a Abs. 2 KStG hätte im Streitfall der Änderungsbescheid nicht mehr ergehen dürfen. Die Ausstrahlungskraft des § 32a Abs. 2 KStG im Rahmen der Korrekturvorschriften bedürfe der höchstrichterlichen Klärung.
Die Revision sei auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Es sei zu prüfen, inwieweit das FG verpflichtet sei, Manipulationen der Steuerakten nachzugehen. Es sei zu klären, ob das FG sämtliche Steuerakten anfordern müsse.
Als Verfahrensmangel sei ein Verstoß gegen die Pflicht zur Sachaufklärung zu rügen. In der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass sie --die Kläger-- sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit dem Praxisverkauf vorgelegt hätten. Das FA habe offensichtlich die Anlagen aus den Akten entnommen. Das FG habe nicht aufgeklärt, ob die Akten vollständig seien. Das Urteil sei ohne Hinzuziehung der Hinweisakte oder der Beiakte gefällt worden. Dies sei vom Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gerügt worden, auch sei ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt worden. Das Gericht habe jedoch keine Veranlassung gesehen, das "entscheidungsrelevante Sachverhaltsmomentum" aufzuklären.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und wird deshalb durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Begründung der Beschwerde genügt nicht den Darlegungsanforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben, inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärungsfähig ist (z.B. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2010 II B 39/10, BFH/NV 2011, 206, m.w.N.). Die Beschwerde muss sich insbesondere mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46).
a) Zu der von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage, ob die Kenntnis einer Dienststelle, die nicht zugleich die für die Bearbeitung des Steuerfalls zuständige Stelle ist, bei der Prüfung einer Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO von Bedeutung ist, existiert einschlägige Rechtsprechung. Hiernach ist die Kenntnis derjenigen Person oder Stelle innerhalb des FA maßgeblich, die für die Bearbeitung des Streitfalls organisationsmäßig berufen ist (z.B. BFH-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 38, m.w.N.). Der Dienststelle, die für die Bearbeitung der Einkommensteuer zuständig ist, kann somit nicht das Wissen der Dienststelle zugerechnet werden, die für die Körperschaftsteuer zuständig ist (BFH-Urteil vom 17. November 1998 VIII R 24/98, BFHE 187, 292, BStBl II 1999, 223). Das Vorbringen der Kläger gibt keinen Anlass, die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren zu überprüfen.
b) Auch soweit die Kläger --sinngemäß-- vortragen, die spezielle Korrekturvorschrift des § 32a KStG könne im Streitfall die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verdrängen, haben sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO "dargelegt". Insoweit haben sie nicht einmal eine in einem Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage herausgestellt. Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, weshalb § 32a KStG im Streitfall einschlägig sein sollte und weshalb die Vorschrift andere Korrekturvorschriften verdrängen sollte. Auch sind sie nicht darauf eingegangen, dass nach den Intentionen des Gesetzgebers die Vorschriften der AO über den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von Steuerbescheiden von § 32a KStG unberührt bleiben sollen (s. BTDrucks 16/2712, S. 72).
2. Soweit die Kläger meinen, es sei zu prüfen, inwieweit das FG verpflichtet sei, Manipulationen der Steuerakten nachzugehen, machen sie im Kern nicht die Erforderlichkeit einer Entscheidung zur Fortbildung des Rechts geltend, sondern einen Verfahrensmangel, und zwar die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung nach § 76 Abs. 1 FGO.
a) Die schlüssige Darlegung einer unzureichenden Sachaufklärung erfordert Ausführungen dazu, welche Tatsachen das FG hätte aufklären und welche Beweise es hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die weitere Aufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (z.B. Senatsbeschluss vom 24. August 2012 III B 21/12, BFH/NV 2012, 1973, m.w.N.). Darüber hinaus muss ein Beschwerdeführer vortragen, warum er --jedenfalls sofern er im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war-- nicht von sich aus auf eine entsprechende Beweiserhebung hingewirkt hat (z.B. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2010 III B 33/10, BFH/NV 2011, 433).
b) Die Kläger haben nicht vorgetragen, welche Beweise das FG zur Frage einer Aktenmanipulation hätte erheben müssen, ebenso wenig, weshalb sie nicht selbst auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt haben. Der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. September 2013 ist nicht zu entnehmen, dass sie Beweisanträge gestellt hätten.
c) Darüber hinaus geht aus dem Vortrag der Kläger nicht hervor, weshalb eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht möglich gewesen sein sollte, wenn die beiden Anlagen tatsächlich --wie von den Klägern behauptet-- der Einkommensteuererklärung 2003 beigefügt gewesen sein sollten. Aus den im finanzgerichtlichen vorgelegten, als "Anlage 1" und "Anlage 2" bezeichneten Schriftstücken ergibt sich nicht, dass der wahre Geschäftswert der vom Kläger veräußerten Steuerberatungskanzlei höher war als der in der Anlage 2 angegebene Wert von 11.900 €.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.