Entscheidungsdatum: 05.02.2014
1. NV: Das Finanzgericht erlässt keine Überraschungsentscheidung, wenn der Beklagte einen Abhilfevorschlag des Gerichtes unter Hinweis auf die fehlende Nachweiserbringung durch den Kläger zurückweist und das Gericht unter Würdigung dieses Vorbringens von seiner im Hinweis vertretenen vorläufigen Einschätzung abrückt.
2. NV: Beantragt ein Beteiligter eine Zeugeneinvernahme, ist in dem in einem späteren Schriftsatz erfolgten Verzicht auf mündliche Verhandlung auch ein Verzicht auf die zuvor beantragte Beweiserhebung zu sehen.
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater eines im August 1999 geborenen Sohnes (S).
Mit nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 9. Oktober 2008 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die zugunsten des Klägers erfolgte Kindergeldfestsetzung ab Januar 2007 mit der Begründung auf, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass S seinem Haushalt angehört habe. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 8. April 2009 als unbegründet zurück. Die Entscheidung wurde öffentlich zugestellt.
Am 23. März 2011 beantragte der Kläger unter Hinweis darauf, dass S "vorübergehend wegen laufender Betreuung" im Haushalt seiner, des Klägers, Schwester lebe, erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. April 2011 mit der Begründung ab, S lebe nicht im Haushalt des Klägers. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. August 2011).
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate November 2008 bis Mai 2009 stehe dem Begehren die Bestandskraft der vorangehenden, den Zeitraum bis Mai 2009 regelnden Einspruchsentscheidung vom 8. April 2009 entgegen. Für die Monate Juni 2009 bis Juli 2010 seien die Eltern des Klägers vorrangig kindergeldberechtigt, da S in deren Haushalt gelebt, der Kläger indessen keinen gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern geführt habe. Für die Monate August 2010 bis August 2011 habe S bei der Schwester des Klägers gelebt, während der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er eine Unterhaltsrente für S gezahlt habe. Für den Zeitraum ab September 2011 sei die Klage bereits unzulässig, da die angegriffenen Bescheide diesen Zeitraum nicht geregelt hätten.
Mit seiner auf das Kindergeld für den Zeitraum Juni 2009 bis August 2011 beschränkten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe in Bezug auf den für den Zeitraum Juni 2009 bis Juli 2010 geltend gemachten Kindergeldanspruch eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO), liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.
a) Eine Überraschungsentscheidung kann gegeben sein, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Juli 2012 IX B 3/12, BFH/NV 2012, 1635). Einer umfassenden Erörterung der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte bedarf es dabei nicht (BFH-Beschluss vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235). Auch obliegt dem FG keine allgemeine Hinweispflicht in dem Sinne, dass es seine mögliche Beurteilung andeuten müsste (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 III B 68/12, BFH/NV 2013, 362).
b) Im Streitfall hat das FG zwar --worauf der Kläger zu Recht hinweist-- im Schreiben vom 15. Februar 2013 die Familienkasse darauf hingewiesen, dass die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in den Schreiben vom 3. Dezember 2011 (richtig 3. Dezember 2012) und 3. Januar 2013 dem Gericht nachvollziehbar und glaubwürdig zu sein schienen und daher angeregt werde, der Klage entweder abzuhelfen oder erneut Stellung zu nehmen.
Zu Unrecht führt der Kläger jedoch aus, er habe aufgrund dieses Hinweises und der hierauf erfolgten Antwort der Familienkasse davon ausgehen können, dass der Klage stattgegeben werde, weshalb er sich auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt habe. Tatsächlich hat die Familienkasse mit Schreiben vom 25. März 2013 eine Abhilfe abgelehnt und dies hinsichtlich des Zeitraums Juni 2009 bis Juli 2010 damit begründet, dass Nachweise für einen behaupteten gemeinsamen Haushalt mit den Eltern des Klägers fehlten, in den S aufgenommen gewesen sein soll. Zudem monierte die Familienkasse das Fehlen der erforderlichen Berechtigtenbestimmung zwischen den Eltern des Klägers und dem Kläger. Unter Berücksichtigung dieses Prozessverlaufs musste ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter damit rechnen, dass das FG seine in dem Hinweisschreiben vom 15. Februar 2013 gegebene vorläufige Einschätzung --unter Beachtung der sich aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ergebenden Pflicht zur Ausschöpfung des Gesamtergebnisses des Verfahrens-- erneut überprüfen wird. Dass der sach- und fachkundig vertretene Kläger eine erneute Überprüfung durch das FG tatsächlich auch erwartet hat, beweist bereits der Umstand, dass er die ihm vom FG eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme genutzt und mit Schreiben vom 11. April 2013 auf das Bestreiten der Familienkasse reagiert hat. Hierin nahm er auf eine bereits eingereichte Berechtigtenbestimmung Bezug und legte zum Nachweis des gemeinschaftlichen Haushalts mit seinen Eltern eine eidesstattliche Versicherung seiner Eltern vom 10. April 2013 vor.
2. Die Revision ist auch nicht wegen des von dem Kläger behaupteten Verfahrensmangels einer Verletzung der sich aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ergebenden Sachaufklärungspflicht des FG zuzulassen.
a) Soweit der Kläger geltend macht, das FG hätte ihm im Hinblick auf die im Schreiben vom 15. Februar 2013 abgegebene vorläufige Beweiswürdigung einen erneuten Hinweis geben müssen, übersieht er, dass er nach dem Bestreiten der Familienkasse mit der Möglichkeit rechnen musste, das FG werde sich der Sachverhaltswürdigung der Familienkasse anschließen. Zudem ist das FG generell nicht verpflichtet, seine vorläufige Beweiswürdigung bzw. das Ergebnis einer Gesamtwürdigung zahlreicher Einzelumstände offen zu legen (z.B. BFH-Beschluss vom 10. September 2003 X B 132/02, BFH/NV 2004, 495, m.w.N.).
b) Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe den von ihm mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 gestellten Beweisantrag auf Zeugeneinvernahme seiner Eltern und seiner Schwester zu Unrecht übergangen, kann er mit diesem Einwand schon deshalb nicht durchdringen, weil er mit Schriftsatz vom 11. April 2013 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 FGO). Damit hat er zugleich den Verzicht auf die in dem früheren Schriftsatz beantragten Zeugeneinvernahmen erklärt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2010 III B 168/09, BFH/NV 2010, 1847; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 237).
c) Kein Zulassungsgrund ergibt sich auch aus dem Vortrag des Klägers, das FG habe im Hinblick auf den streitigen Zeitraum August 2010 bis August 2011 seine Hinweispflicht verletzt, weil es dem Kläger nicht mitgeteilt habe, dass es die mit Schriftsatz vom 17. Mai 2013 eingereichten Unterlagen für nicht ausreichend erachte, um eine Übernahme der Kosten der Ganztagsschule des S für den Streitzeitraum nachzuweisen.
Das FG traf keine Pflicht zu einem weiteren Hinweis an den Kläger. Die Familienkasse wies mit Schreiben vom 25. März 2013 darauf hin, dass für den Zeitraum August 2010 bis November 2011 Nachweise über Unterhaltszahlungen des Klägers für S fehlen. Das FG forderte daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 4. April 2013 auf, geeignete Nachweise vorzulegen. Mit Schreiben vom 11. April 2013 erklärte der Kläger, er habe nie behauptet, Unterhaltszahlungen für den fraglichen Zeitraum erbracht zu haben. Vielmehr habe er Naturalunterhalt erbracht. Mit Schreiben vom 17. April 2013 forderte das FG den Kläger auf, zumindest die mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 behauptete Kostenübernahme für die Ganztagsschule für August 2010 bis Dezember 2011 nachzuweisen. Der Kläger reichte daraufhin Nachweise über Zahlungen aus den Jahren 2012 und 2013 ein. Vor diesem Hintergrund musste der durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertretene Kläger bei gewissenhafter Beachtung der vom FG bereits erteilten Hinweise ohne weiteres damit rechnen, dass nicht den Streitzeitraum betreffende Unterlagen vom FG als ungenügende Nachweise bewertet werden. Dies gilt umso mehr als aus dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht hervorgeht, warum er die nun behaupteten besseren Beweise auf die entsprechende Anforderung des FG nicht sofort vorgelegt bzw. angeboten hat.