Entscheidungsdatum: 30.06.2010
NV: Eine Nachfeststellung und keine Wertfortschreibung ist vorzunehmen, wenn das FA gegen den Grundstückserwerber wegen einer angenommenen Grundsteuerbefreiung zunächst keinen Einheitswert feststellt, später aber erkennt, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vorgelegen haben. Das gilt auch dann, wenn gegenüber dem Rechtsvorgänger ein Einheitswert festgestellt war .
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein rechtsfähiger Verein, der in Deutschland lebenden Menschen islamischen Glaubens die Möglichkeit zu ihrer Religionsausübung bietet. Nach seiner Satzung dient er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken im Sinne der Abgabenordnung (AO).
Der Kläger erwarb im Jahre 2002 ein in X gelegenes und mit einer Gaststätte bebautes Grundstück und baute dieses Objekt zu einem islamischen Kulturzentrum um. Da der Kläger geltend machte, das Grundstück ausschließlich zu gemeinnützigen Zwecken zu nutzen, teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) dem Kläger durch Schreiben vom 9. August 2004 mit, der Grundbesitz sei gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b des Grundsteuergesetzes (GrStG) grundsteuerbefreit; ein Einheitswertbescheid werde deshalb nicht erlassen.
Aufgrund einer Kontrollmitteilung, nach der der Kläger bereits ab 1997 nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig war und deshalb die Voraussetzungen für die Grundsteuerbefreiung nicht mehr erfüllte, stellte das FA für das Grundstück mit Bescheid vom 12. November 2007 im Wege der Nachfeststellung einen Einheitswert auf den 1. Januar 2003 in Höhe von 3.476 € sowie wegen des Fehlens nutzbarer Gebäude die Grundstücksart "unbebautes Grundstück" fest; ferner rechnete das FA das Grundstück dem Kläger zu und berücksichtigte die Steuerbefreiung wegen gemeinnütziger Nutzung des Grundstücks nicht mehr. Schließlich erließ das FA am 28. November 2007 einen Wert- und Artfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 2004, mit dem es den Einheitswert auf 37.273 € sowie die Grundstücksart "Geschäftsgrundstück" feststellte. Eine Steuerbefreiung wurde auch hier nicht mehr berücksichtigt.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger sich gegen beide Feststellungsbescheide wandte und geltend machte, das Grundstück sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrStG von der Grundsteuer befreit, blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung von § 169 Abs. 2 Satz 2 und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrStG.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidungen sowie die Einheitswertbescheide vom 12. und 28. November 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 11. Februar 2008 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Revisionen sind unbegründet und deswegen zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das Finanzgericht (FG) ist bei seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass das FA einen Einheitswert gegen den Kläger nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) auf den 1. Januar 2003 nachträglich feststellen konnte.
a) Nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 BewG ist ein Einheitswert nachträglich festzustellen, wenn eine bereits bestehende wirtschaftliche Einheit erstmals zu einer Steuer herangezogen werden soll. Die Nachfeststellung ist die nachträgliche Feststellung eines Einheitswerts auf einen späteren Zeitpunkt als den Hauptfeststellungszeitpunkt. Sie kommt in Betracht, wenn eine wirtschaftliche Einheit entweder im Hauptfeststellungszeitpunkt oder zu späteren Feststellungszeitpunkten einer Besteuerung nicht unterliegt und deswegen ein Einheitswert nicht vorliegt. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass für eine wirtschaftliche Einheit, die einer Besteuerung (z.B. wegen einer Steuerbefreiung) nicht unterliegt, nach § 19 Abs. 4 BewG solange kein Einheitswert festzustellen ist, wie die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gegeben sind und damit ein Einheitswert für eine Besteuerung nicht von Bedeutung ist. Ist ein Einheitswert rechtswirksam festgestellt, ist nur eine Fortschreibung desselben, nicht jedoch eine Nachfeststellung möglich (zum Unterschied zwischen Fortschreibungs- und Nachfeststellungsbescheid vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 1995 II R 31/92, BFH/NV 1996, 17).
b) Im Streitfall lag im Zeitpunkt der Nachfeststellung keine rechtswirksame Einheitswertfeststellung hinsichtlich des Grundstücks des Klägers auf einen Hauptfeststellungs-, Nachfeststellungs- oder einen Fortschreibungszeitpunkt vor. Das FA hat dem Kläger am 9. August 2004 schriftlich mitgeteilt, der Grundbesitz sei grundsteuerbefreit, ein Einheitswertbescheid werde deshalb ihm, dem Kläger, gegenüber nicht erlassen. Diese Mitteilung schließt es zugleich aus, dass der gegenüber dem Rechtsvorgänger festgestellte Einheitswert gegenüber dem Kläger als Rechtsnachfolger nach § 182 Abs. 2 AO fortwirkte. Denn diese Rechtsfolge hätte seinem Begehren auf vollständige Freistellung von der Grundsteuer, dem das FA in vollem Umfang nachkommen wollte, nicht entsprochen. Vielmehr ist dem an den Kläger ergangenen Schreiben vom 9. August 2004 (auch) die Regelung zu entnehmen, dass der gegen den Voreigentümer festgestellte Einheitswert keine Rechtswirkungen in Bezug auf den Kläger haben sollte.
2. Das FG ist ferner hinsichtlich des Wert- und Artfortschreibungsbescheids vom 28. November 2007 zutreffend davon ausgegangen, dass das FA den Einheitswert für das Grundstück des Klägers nach § 22 BewG auf den 1. Januar 2004 fortschreiben konnte.
a) Nach § 22 Abs. 1 BewG findet wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eine Wertfortschreibung statt, wenn der nach § 30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts in einem näher beschriebenen Ausmaß nach oben oder unten abweicht. Bei einer Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG).
b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, weil sich die für die Einheitswertfeststellung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse nach der Nachfeststellung auf den 1. Januar 2003 geändert haben. Denn zum 1. Januar 2004 waren die Umbauarbeiten abgeschlossen und benutzbare Räumlichkeiten vorhan-den. Das FA hat auch die Regelungen über die Fortschreibungsgrenzen und den Fortschreibungszeitpunkt beachtet.
3. Das FG ist auch hinsichtlich beider streitigen Bescheide ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass § 19 Abs. 4 BewG der Feststellung des Einheitswerts nicht entgegen stand. Danach dürfen Feststellungen nur dann erfolgen, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Feststellung des Einheitswerts im Streitfall für die Grundsteuer von Bedeutung, weil der Grundbesitz des Klägers nicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder § 4 Nr. 1 GrStG grundsteuerbefreit ist. Zur näheren Begründung wird auf die Gründe unter II. 3. des Senatsurteils II R 12/09 (BFHE 230, 93) vom heutigen Tage Bezug genommen.