Entscheidungsdatum: 15.12.2010
Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 56 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 58 EG dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, die für die Berechnung der Erbschaftsteuer auf einen Nachlass vorsieht, dass die zum Privatvermögen gehörende Beteiligung als Alleingesellschafter an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Kanada mit dem vollen Wert angesetzt wird, während beim Erwerb eines derartigen Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland ein gegenstandsbezogener Freibetrag gewährt und der verbliebene Wert lediglich in Höhe von 65 v.H. berücksichtigt wird?
I. Sachverhalt und Streitstand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin ihres im Februar 2007 verstorbenen Vaters (V). Zum Nachlass gehörte u.a. eine Beteiligung des V als Alleingesellschafter an einer kanadischen Kapitalgesellschaft.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 24. November 2008 gegen die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von 299.381,95 € fest. Den Wert der Beteiligung des V an der Kapitalgesellschaft berücksichtigte das FA dabei mit 1.142.115 €.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin für den Erwerb dieser Beteiligung die Berücksichtigung des in § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2007 geltenden Fassung (ErbStG) vorgesehenen Freibetrags von 225.000 € und des verminderten Wertansatzes nach § 13a Abs. 2 ErbStG begehrte, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 66 veröffentlichten Urteil die Auffassung, die in § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG vorgesehene Beschränkung der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG auf den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat, sei nicht am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EG--, jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union --AEUV--), sondern nur am Maßstab der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG, jetzt Art. 49 AEUV) zu prüfen. Wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaates am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Staat eine Beteiligung halte, die es ihm ermögliche, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sei nur der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, nicht aber derjenige der Kapitalverkehrsfreiheit betroffen. So verhalte es sich in den Fällen des § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG. Die in dieser Vorschrift geforderte Mindestbeteiligung des Erblassers oder Schenkers am Nennkapital der Kapitalgesellschaft von mehr als einem Viertel gewähre nämlich solche Einflussmöglichkeiten auf die Kapitalgesellschaft. Die Niederlassungsfreiheit gelte nicht für die Niederlassung in Drittstaaten.
Folge man dieser Auffassung indes nicht und halte eine Prüfung am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit für geboten, verstieße die gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Gewährung der Steuervergünstigungen auf inländische Kapitalgesellschaften gegen Gemeinschaftsrecht. Dies gelte nicht nur für Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, sondern auch im Verhältnis zu Kanada. Dem stünden Schwierigkeiten bei der Ermittlung des für die Besteuerung maßgebenden Sachverhaltes nicht entgegen; denn nach Art. 26 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen (DBA-Kanada 2001) finde ein Informationsaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada auch für Zwecke der Erbschaftsteuer statt.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des Art. 56 EG. Der Sachverhalt sei am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen; diese verlange die Gewährung der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 24. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2009 dahingehend zu ändern, dass für den Erwerb der Anteile des V an der kanadischen Kapitalgesellschaft der Freibetrag gemäß § 13a Abs. 1 ErbStG und der verminderte Wertansatz nach § 13a Abs. 2 ErbStG berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Entscheidungsgründe
Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH; früher Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) die in der Entscheidungsformel bezeichnete Frage zur Auslegung von Art. 56 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 58 EG zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
Der Senat ist nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Ob es mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, dass der Erwerb eines im Privatvermögen befindlichen Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat (hier: Kanada) von der Gewährung der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG ausgeschlossen ist, bedarf der Klärung durch den EuGH. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Fällen der vorliegenden Art ist nicht zweifelsfrei.
1. Rechtslage nach deutschem Recht
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt bei einer Person, die wie die Klägerin zur Zeit der Entstehung der Steuer einen Wohnsitz im Inland hat, der gesamte Vermögensanfall einschließlich des Auslandsvermögens der Erbschaftsteuer.
Der Freibetrag von 225.000 € (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ErbStG) und der verminderte Wertansatz (§ 13a Abs. 2 ErbStG), der sich auf 65 v.H. des nach Abzug des Freibetrags verbleibenden Werts des begünstigten Vermögens beläuft, gelten nach § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG für Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Kapitalgesellschaft zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar beteiligt war. Im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 C-256/06, Jäger (Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120) ordnete die Finanzverwaltung an, die Steuervergünstigungen des § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG u.a. auch auf Anteile an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten anzuwenden (vgl. z.B. Erlass des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 16. Juli 2008 3 - S 3831/4, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 1537).
Diese Regelungen betreffen lediglich Anteile an Kapitalgesellschaften, die sich im Privatvermögen befinden. Gehören die Anteile zu einem inländischen Betriebsvermögen (§ 12 Abs. 5 ErbStG), steht es der Gewährung der für inländisches Betriebsvermögen vorgesehenen Vergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 ErbStG nicht entgegen, wenn die Kapitalgesellschaft Sitz und Geschäftsleitung im Ausland hat und/oder die Beteiligung nicht mehr als 25 v.H. beträgt (vgl. R 51 Abs. 4 Satz 3 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003).
Der bisherige § 13a ErbStG wurde aufgrund Art. 1 Nr. 11 des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 3018) durch §§ 13a und 13b ErbStG n.F. ersetzt. Zum begünstigten Vermögen gehören nunmehr gemäß § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG n.F. im Privatvermögen befindliche Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn sie zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als 25 v.H. unmittelbar beteiligt war. Der Erwerb von im Privatvermögen befindlichen Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in Drittstaaten ist nach wie vor nicht begünstigt.
2. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
Es bedarf der Klärung durch den EuGH, ob es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, dass die Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG auf den Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat (hier: Kanada) nicht anwendbar sind.
a) Die Auffassung des FG, eine Prüfung am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit scheide in Fällen der vorliegenden Art aus, erscheint nicht überzeugend.
aa) Die steuerliche Behandlung von Erbschaften, mit denen das Vermögen eines Erblassers (und damit das Eigentum an verschiedenen Gegenständen, Rechten usw., aus denen dieses Vermögen besteht) auf eine oder mehrere Personen übergeht, fällt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unabhängig davon, ob es sich um Geldbeträge, um bewegliche oder um unbewegliche Güter handelt, unter die Vertragsbestimmungen über den Kapitalverkehr; ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnr. 25; vom 11. September 2008 C 11/07, Eckelkamp, Slg. 2008, I-6845, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2009, 560 Rdnr. 39; vom 11. September 2008 C-43/07, Arens-Sikken, Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnr. 30; vom 12. Februar 2009 C-67/08, Block, Slg. 2009, I-883, DStR 2009, 373 Rdnr. 20; vom 22. April 2010 C-510/08, Mattner, BFH/NV 2010, 1212 Rdnr. 20). Der EuGH verweist dazu darauf, dass Erbschaften, mit denen das Vermögen, das ein Verstorbener hinterlässt, auf eine oder mehrere Personen übergeht, in die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 mit der Überschrift "Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter" fallen. Die Prüfung der Besteuerung grenzüberschreitender Erbschaften anhand von Art. 39 (Arbeitnehmerfreizügigkeit, jetzt Art. 45 AEUV) und 43 EG hat der EuGH im Urteil vom 15. Oktober 2009 C-35/08, Busley und Cibrian (BFH/NV 2009, 2091 Rdnr. 19) als nicht erforderlich angesehen.
bb) Im Hinblick darauf sprechen nach Ansicht des Senats gute Gründe dafür, dass eine Erbschaft auch insoweit in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt, als sich darin Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft befinden, die es deren Inhaber ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Die Niederlassungsfreiheit ist in einem solchen Fall allenfalls mittelbar betroffen und kann daher die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht ausschließen.
Die vom FG zur Begründung seiner hiervon abweichenden Ansicht angeführten Entscheidungen des EuGH betreffen nicht die Besteuerung von Erbschaften, sondern andere Sachverhalte. Im Urteil vom 12. September 2006 C-196/04, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (Slg. 2006, I-7995, BFH/NV Beilage 4 2007, 365) ging es um die Einbeziehung der von einer beherrschten ausländischen Gesellschaft erzielten Gewinne in die ertragsteuerrechtliche Steuerbemessungsgrundlage bei der in einem Mitgliedstaat ansässigen herrschenden Gesellschaft. Gegenstand des Urteils vom 13. März 2007 C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (Slg. 2007, I-2107, Internationales Steuerrecht 2007, 249) war die ertragsteuerrechtliche Behandlung von Darlehenszinsen, die an eine in einem anderen Staat ansässige verbundene Gesellschaft gezahlt werden. Der Beschluss vom 10. Mai 2007 C-492/04, Lasertec (Slg. 2007, I-3775, BFH/NV Beilage 4 2007, 362) betrifft die ertragsteuerrechtliche Behandlung von Darlehenszinsen, die eine gebietsansässige Kapitalgesellschaft an einen gebietsfremden Anteilseigner zahlt.
cc) Eine abschließende Klärung dieser Fragestellung ist dem EuGH vorbehalten.
b) Ist die Kapitalverkehrsfreiheit auch insoweit anwendbar, als sich in einem Nachlass Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft befinden, die es deren Inhaber ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, stellt die Regelung, nach der die Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG auf Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat nicht zu gewähren sind, eine Beschränkung des Kapitalverkehrs nach Art. 56 Abs. 1 EG dar.
aa) Art. 56 Abs. 1 EG bestimmt im Rahmen der Vorschriften des mit "Der Kapital- und Zahlungsverkehr" überschriebenen Kapitels des Vertrags, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind. Art. 56 Abs. 1 EG enthält ein eindeutiges und nicht an Bedingungen geknüpftes Verbot, das keiner Durchführungsmaßnahmen bedarf und das den Einzelnen Rechte verleiht, die sie gerichtlich geltend machen können, und zwar unabhängig von der Kategorie der betroffenen Kapitalbewegungen. Als der Grundsatz des freien Kapitalverkehrs durch Art. 56 Abs. 1 EG auf den Kapitalverkehr zwischen dritten Ländern und den Mitgliedstaaten erstreckt wurde, haben sich die Mitgliedstaaten dafür entschieden, diesen Grundsatz in demselben Artikel und mit den gleichen Worten für den Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft und für den die Beziehungen mit dritten Ländern betreffenden Kapitalverkehr festzulegen (EuGH-Urteil vom 18. Dezember 2007 C-101/05, A, Slg. 2007, I-11531, BFH/NV Beilage 2 2008, 105 Rdnr. 20 ff.).
bb) Zu den grundsätzlich verbotenen Beschränkungen des Kapitalverkehrs gehören Maßnahmen, die dadurch eine Wertminderung des Nachlasses bewirken, dass die Erbschaftsteuer deshalb höher ist, weil in den Nachlass (auch) ausländisches Vermögen fällt und dafür ungünstigere Regelungen als für inländisches Vermögen gelten (EuGH-Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnrn. 31 bis 35; in Slg. 2008, I-6845, DStRE 2009, 560 Rdnrn. 42 bis 47; in Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnr. 37; in Slg. 2009, I-883, DStR 2009, 373 Rdnr. 24).
cc) Es stellt danach eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs dar, dass die Steuervergünstigungen des § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG nach dem Gesetzeswortlaut in Verbindung mit den erwähnten Verwaltungsanweisungen nur auf Anteile an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland und auf Anteile an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten anzuwenden sind, nicht aber auf Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat.
dd) Somit ist zu prüfen, ob die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach den Bestimmungen des Vertrags (Art. 57 und 58 EG) gerechtfertigt werden kann.
aaa) Art. 56 EG berührt nach Art. 57 Abs. 1 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs auf dritte Länder, die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen.
Art. 57 Abs. 1 EG ist hinsichtlich der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Vergünstigungen für den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nicht anwendbar. Solche Vergünstigungen gab es nämlich am 31. Dezember 1993 noch nicht. Steuervergünstigungen für den Erwerb von Betriebsvermögen waren erstmals in dem durch Art. 13 Nr. 2 Buchst. b des Standortsicherungsgesetzes vom 13. September 1993 (BGBl I 1993, 1569) eingefügten § 13 Abs. 2a ErbStG vorgesehen, und zwar nach § 37 Abs. 10 ErbStG mit Wirkung für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 1993 entstanden ist. Der Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften von Todes wegen oder durch freigebige Zuwendung in bestimmten Fällen wurde erst durch § 13a ErbStG, der durch Art. 2 Nr. 5 des Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 (BGBl I 1996, 2049) in das ErbStG eingefügt wurde, in die Steuervergünstigungen einbezogen, und zwar nach § 37 Abs. 1 und 3 ErbStG i.d.F. des Art. 2 Nr. 14 JStG 1997 mit Wirkung für Erwerbe, für die Steuer nach dem 31. Dezember 1995 entstanden ist. Die ursprünglich in Art. 24 Nr. 2 Buchst. b und Nr. 5 Buchst. b JStG 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) vorgesehene Änderung des § 13 Abs. 2a i.V.m. § 37 Abs. 15 ErbStG, durch die unter bestimmten Voraussetzungen der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in die Steuervergünstigungen einbezogen werden sollte, und zwar mit Wirkung für Erwerbe, für die Steuer nach dem 31. Dezember 1995 entstanden ist, war dadurch überholt.
bbb) Nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG berührt Art. 56 EG "nicht das Recht der Mitgliedstaaten, ... die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln".
Diese Bestimmung ist eng auszulegen, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs darstellt. Sie kann nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (EuGH-Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnr. 40; in Slg. 2008, I-6845, DStRE 2009, 560 Rdnr. 57; in Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnr. 51; in BFH/NV 2010, 1212 Rdnr. 32). Die in Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Art. 58 Abs. 3 EG eingeschränkt, wonach die in Art. 58 Abs. 1 EG genannten nationalen Vorschriften weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs i.S. des Art. 56 EG darstellen dürfen (EuGH-Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnr. 41; in Slg. 2008, I-6845, DStRE 2009, 560 Rdnr. 58; in Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnr. 52; in BFH/NV 2010, 1212 Rdnr. 33).
Daher ist zwischen einer nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG erlaubten Ungleichbehandlung und einer nach Art. 58 Abs. 3 EG verbotenen willkürlichen Diskriminierung zu unterscheiden. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass eine nationale Steuerregelung, die --wie die hier streitige-- für die Festsetzung der Erbschaftsteuer beim Erwerb eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Drittstaat die für den Erwerb eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland vorgesehenen Steuervergünstigungen ausschließt, nur dann mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar sein kann, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Ferner ist die unterschiedliche Behandlung nur gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit der Regelung verfolgten Ziels erforderlich ist (EuGH-Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnr. 42; in Slg. 2008, I-6845, DStRE 2009, 560 Rdnr. 58; in Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnr. 52; in BFH/NV 2010, 1212 Rdnr. 34).
Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Urteile in Slg. 2008, I-123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120 Rdnr. 43 ff.; in Slg. 2008, I-6845, DStRE 2009, 560 Rdnr. 60 bis 63; in Slg. 2008, I-6887, DStRE 2009, 731 Rdnrn. 53 bis 57) kann nicht angenommen werden, dass es an der objektiven Vergleichbarkeit der Situation schon wegen des unterschiedlichen Orts von Sitz und Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaften fehlt. Entscheidend ist vielmehr, dass in den Nachlass fallende Anteile an Kapitalgesellschaften bei unbeschränkter Steuerpflicht, wie sie im Streitfall nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegeben ist, unabhängig davon der Erbschaftsteuer unterliegen, wo die Gesellschaften Sitz und Geschäftsleitung haben; denn die Steuerpflicht bezieht sich nach dieser Vorschrift auf den gesamten Vermögensanfall.
Rein fiskalische Interessen an der Höhe des Steueraufkommens können Eingriffe in die Kapitalverkehrsfreiheit nicht rechtfertigen. Sie stellen keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses dar.
ccc) Nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. b EG berührt Art. 56 EG nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts, zu verhindern. Die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten, ist danach ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der eine Beschränkung der vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten rechtfertigen kann (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-11531, BFH/NV Beilage 2 2008, 105 Rdnr. 55).
Wenn die Regelung eines Mitgliedstaates die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Verpflichtungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittlandes eingeholt werden, ist es folglich grundsätzlich gerechtfertigt, dass dieser Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung dieses Drittlandes zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, diese Auskünfte von diesem Land zu erhalten (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-11531, BFH/NV Beilage 2 2008, 105 Rdnr. 63).
Bei der Gewährung der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG für den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ergibt sich ein Überprüfungsbedarf aus § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG. Danach fallen der Freibetrag oder Freibetragsanteil (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und der verminderte Wertansatz (§ 13a Abs. 2 ErbStG) mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb Anteile an der Kapitalgesellschaft ganz oder teilweise veräußert; eine verdeckte Einlage der Anteile in eine Kapitalgesellschaft steht der Veräußerung der Anteile gleich. Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb der Frist aufgelöst oder ihr Nennkapital herabgesetzt wird, wenn diese wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert und das Vermögen an die Gesellschafter verteilt wird oder wenn Vermögen der Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft, eine natürliche Person oder eine andere Körperschaft (§§ 3 bis 16 des Umwandlungssteuergesetzes) übertragen wird.
Treten solche Umstände ein, hat sie der Steuerpflichtige dem Finanzamt nach § 153 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) anzuzeigen. Hat die Kapitalgesellschaft Sitz und Geschäftsleitung im Ausland, trifft den Steuerpflichtigen gemäß § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Er hat Unterlagen vorzulegen, die eine ordnungsgemäße Überprüfung ermöglichen. Geschieht dies trotz Aufforderung durch das FA nicht, kann die Gewährung des Freibetrages und des verminderten Wertansatzes rückgängig gemacht werden (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-11531, BFH/NV Beilage 2 2008, 105 Rdnr. 58, m.w.N.).
Soweit sich darüber hinaus eine weitere Prüfung als erforderlich erweist, kann dann, wenn wie im vorliegenden Streitfall die Kapitalgesellschaft in Kanada ansässig ist, der Informationsaustausch nach Art. 26 DBA-Kanada 2001 in Anspruch genommen werden. Der Informationsaustausch bezieht sich nach Abs. 4 dieser Vorschrift nicht nur auf die in Art. 2 DBA-Kanada 2001 genannten Steuern, sondern auf alle in einem Vertragsstaat erhobenen Steuern (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Kanada Art. 26 Rz 36, sowie in Debatin/Wassermeyer MA Art. 24 Rz 104).
Nr. 11 des Protokolls zum DBA-Kanada 2001 (BGBl II 2002, 703) trifft zu Art. 26 DBA-Kanada 2001 folgende Regelung: "Es wird davon ausgegangen, dass der andere Vertragsstaat sich bei Auskunftsersuchen durch einen Vertragsstaat nach diesem Artikel bemüht, die Auskünfte, die Gegenstand dieses Ersuchens sind, so zu beschaffen, als handele es sich um eigene Besteuerungsfälle, ungeachtet der Tatsache, dass der andere Staat solche Auskünfte zu diesem Zeitpunkt nicht benötigt." Dass es bei diesem Informationsaustausch zu Schwierigkeiten komme, hat das FG nicht festgestellt und trägt das FA auch nicht vor.
Nach Auffassung des Senats kann danach der Ausschluss des Erwerbs von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Kanada von den in § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen nicht möglich sei.
ddd) Andere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
3. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.