Entscheidungsdatum: 19.09.2018
1. NV: Die Heranziehung eines auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 aufgestellten Mietspiegels für die Schätzung der üblichen Miete im Ertragswertverfahren der Einheitsbewertung ist zulässig, wenn vergleichbare vermietete Objekte nicht vorhanden waren und der Mietspiegel in seinen Aufgliederungen den vom Gesetz gestellten Anforderungen entspricht .
2. NV: Der Mietspiegel soll mit einer gewissen Datenbreite nur einen Anhalt für die vorzunehmende Schätzung bieten, so dass Fehler in einzelnen Datengrundlagen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Besteuerung haben .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 20. August 2014 4 K 2970/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist seit 1985 Eigentümerin eines Grundstücks in X, auf dem 1966 ein Einfamilienhaus errichtet worden war. Im Jahr 1996 wurde das Gebäude durch einen Anbau erweitert und zu einem Zweifamilienhaus umgebaut.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ am 15. März 1996 einen Bescheid über die Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 1997 und stellte den Einheitswert auf 82.500 DM fest. Die Jahresrohmiete ermittelte das FA aufgrund eines von ihm erstellten "Mietspiegels auf den 1.1.1964 für Ein- und Zweifamilienhäuser zum Zwecke von Nachfeststellungen und Wertfortschreibungen" (Mietspiegel). Grundlage dieses Mitspiegels, der Angaben über Quadratmeterpreise enthält, waren vom FA geführte Listen bzw. Kontrollmitteilungen der Ertragsteuerstellen über Mieten. Die Originalunterlagen hierzu hat das FA nicht aufbewahrt. Der Mietspiegel ist aufgeteilt in einzelne Gemeindegebiete. Hinsichtlich der Ausstattung der Häuser wird zwischen den Standards "einfach", "mittel" und "gut" differenziert. Für die Gemeinde X ist bei einem Ausstattungsstandard "gut" ein Wert von 5,20 DM vermerkt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) ging das FA wegen der Ortsrandlage des streitgegenständlichen Grundstücks und eines ungünstigen Zuschnitts nur von einer üblichen Miete pro Quadratmeter in Höhe von 3,20 DM aus. Das FA folgte damit auch einem Vorschlag des Prozessbevollmächtigten.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2010 beantragte die Klägerin beim FA, den Einheitswertbescheid "soweit rückwirkend wie möglich" zu korrigieren. Die im Bescheid angesetzte Miete von 3,20 DM pro Quadratmeter sei um 30 % bis 50 % zu hoch.
Am 15. Februar 2011 führte das FA eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung auf den 1. Januar 2011 durch und erhöhte den Einheitswert auf 51.589 €. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG hat den Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung antragsgemäß aufgehoben. Soweit die Klägerin begehrte, das FA zu verpflichten, unter Änderung des Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1997 den Einheitswert auf 39.300 DM festzustellen sowie den Grundsteuermessbescheid entsprechend abzuändern, hat das FG die Klage abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 969 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin den nach ihrer Auffassung zu hohen Ansatz der üblichen Miete bei der Bewertung eines Zweifamilienhauses aufgrund eines fehlerhaften Mietspiegels.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2015 hat der Senat das Ruhen des Revisionsverfahrens angeordnet, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Verfahren 1 BvL 11/14 entschieden hat. Diese Entscheidung ist durch Urteil vom 10. April 2018 (BGBl I 2018, 531, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2018, 403) erfolgt. Das BVerfG hat entschieden, dass die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76, 79 Abs. 5, § 93 Abs. 1 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I 1970, 1118), soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 1. Januar 2002 unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sind. Der Gesetzgeber ist nach dem Urteil verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 2019 zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024 angewandt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben, soweit das FG die Klage abgewiesen hat, und
das FA zu verpflichten, den Einheitswert auf den 1. Januar 2010 auf 39.300 DM festzustellen.
Das FA soll weiter verpflichtet werden, Unterlagen zu dem von ihm verwendeten Mietspiegel vorzulegen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der im Revisionsverfahren erstmals gestellte Antrag der Klägerin, das FA zu verpflichten, Unterlagen zu dem von ihm verwendeten Mietspiegel vorzulegen, scheitert bereits an § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO, worauf der Prozessbevollmächtigte bei Antragstellung hingewiesen wurde. Nach dieser Vorschrift sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig; hierzu zählen auch Klageerweiterungen.
2. Auch das Begehren, den Einheitswert auf den 1. Januar 2010 auf 39.300 DM feststellen zu lassen, hat keinen Erfolg. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1997 vom 15. März 1996 rechtmäßig ist. Die Voraussetzungen einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung liegen nicht vor.
a) Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG in der für den streitigen Stichtag geltenden Fassung findet auch eine Wertfortschreibung zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt.
Der Fehlerbegriff des § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG bezieht sich auf alle Rechtsfehler. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese klarliegend, leicht feststellbar und unmittelbar einsichtig sind, sondern nur darauf, dass die getroffene Regelung geltendem Recht widerspricht (vgl. grundlegend Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 1989 II R 53/87, BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149, unter 1.).
b) Im Streitfall scheidet die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung aus.
aa) Eine Rechtswidrigkeit des Einheitswertbescheids wegen eines Verfassungsverstoßes scheidet aus. Die im Streitfall anwendbaren Vorschriften über die Einheitsbewertung waren zwar jedenfalls seit dem 1. Januar 2002 nicht mehr verfassungsgemäß. Sie dürfen aber nach dem BVerfG-Urteil in BGBl I 2018, 531, HFR 2018, 403 im dargestellten Umfang auch im Streitfall weiter angewandt werden.
bb) Der vom FA festgestellte Einheitswert auf den 1. Januar 1997 steht in Einklang mit den maßgebenden Vorschriften.
(1) Die Bewertung bebauter Grundstücke erfolgt abhängig von der Grundstücksart (§ 75 BewG) nach Maßgabe des § 76 BewG im Regelfall im Ertragswertverfahren, in Ausnahmefällen im Sachwertverfahren.
(2) Das Ertragswertverfahren gilt nach § 76 Abs. 1 Nr. 5 BewG für Zweifamilienhäuser. Die Höhe des Einheitswerts basiert gemäß § 78 Satz 1 BewG auf dem Grundstückswert. Der Grundstückswert ergibt sich nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines im Anhang zum BewG enthaltenen Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete unter Berücksichtigung gewisser pauschaler Ermäßigungen und Erhöhungen (§§ 81 und 82 BewG). Durch diese Bewertungsmethode soll in einem vereinfachten, typisierten Verfahren der Bodenwert wie auch der Gebäudewert in einem Rechenschritt ermittelt und so der gemeine Wert, also der Verkehrswert, des jeweiligen Grundstücks annähernd abgebildet werden (BVerfG-Urteil in BGBl I 2018, 531, HFR 2018, 403, Rz 11).
Die maßgebliche Jahresrohmiete richtet sich gemäß § 79 Abs. 1 BewG nach der für das Grundstück aufgrund vertraglicher Vereinbarungen im Hauptfeststellungszeitpunkt gezahlten tatsächlichen Miete. Unmittelbar anwendbar ist diese Vorgabe nur für Grundstücke, die im Hauptfeststellungszeitpunkt am 1. Januar 1964 bereits vermietet waren. Andernfalls bestimmt sich die Jahresrohmiete gemäß § 79 Abs. 2 BewG nach der üblichen Miete (BVerfG-Urteil in BGBl I 2018, 531, HFR 2018, 403, Rz 112). Die übliche Miete ist nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Maßgeblich bleiben für die Höhe der Miete auch bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen immer die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1. Januar 1964 (§§ 27, 79 Abs. 5 BewG).
(3) Zur Ermittlung der üblichen Miete ziehen die Finanzbehörden überwiegend Mietspiegel heran, die regelmäßig nach Baujahren, mietpreisrechtlichen Gegebenheiten, Ausstattungsgruppen und Gemeindegrößen gegliederte Quadratmeter-Mieten zum Stand vom 1. Januar 1964 ausweisen. Im Hinblick auf die Ausstattungsgruppen unterteilen die Mietspiegel meist in einfache, mittlere, gute und sehr gute Ausstattung und legen hierfür Rahmensätze für die anzuwendenden Mietwerte fest (BVerfG-Urteil in BGBl I 2018, 531, HFR 2018, 403, Rz 12, 113).
Die Heranziehung dieser auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 aufgestellten Mietspiegel für die Schätzung der üblichen Miete gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG auf diesen Zeitpunkt ist zulässig, wenn eine Schätzung der üblichen Miete im unmittelbaren Vergleich daran scheitert, dass nach Art, Lage und Ausstattung vergleichbare vermietete Objekte am 1. Januar 1964 nicht oder nicht in hinreichender Zahl vorhanden waren und die Mietspiegel in ihren Aufgliederungen nach Mietpreisregelungen und den anderen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG maßgebenden Kriterien (insbesondere Baujahr und Ausstattung) den vom Gesetz gestellten Anforderungen für die Schätzung der üblichen Miete entsprechen (BFH-Urteil vom 16. Mai 2018 II R 37/14, BFHE 261, 364, BStBl II 2018, 692, Rz 17, m.w.N.).
(4) Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) sind, soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Dabei ist eine Schätzung nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht. Solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. In einem Streitverfahren müssen die Schätzungsgrundlagen von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfbarkeit möglich ist. Das zahlenmäßige Ergebnis der Schätzung muss auf Schlüssigkeit hin kontrollierbar sein (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Februar 2018 II B 75/16, BFH/NV 2018, 706, Rz 49, m.w.N.).
(5) Die Schätzung ist vom Gericht voll überprüfbar, weil sie keine Ermessensentscheidung darstellt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 706, Rz 50, m.w.N.).
(6) Nach diesen Maßgaben ist die Erkenntnis des FG --das keine eigene Schätzung vorgenommen, sondern die Ermittlung des FA geprüft hat-- nicht zu beanstanden, der mit Bescheid vom 15. März 1996 vom FA auf den 1. Januar 1997 auf 82.500 DM festgestellte Einheitswert für das Grundstück der Klägerin sei zutreffend und das FA habe im Rahmen der angegriffenen Fortschreibung die für den Einheitswert maßgebende Jahresrohmiete richtig ermittelt. Das FA konnte sich bei der Bewertung des Zweifamilienhauses an dem Mietspiegel orientieren, den es bezogen auf den Hauptfeststellungszeitpunkt (1. Januar 1964) für die in seinem Bezirk belegenen Ein- und Zweifamilienhäuser aufgestellt hat.
(a) Die Schätzung der üblichen Miete nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG war zulässig, weil nach den bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) des FG bezogen auf den Stichtag 1. Januar 1964 tatsächlich für das Objekt gezahlte Mieten fehlen.
(b) Das FA durfte als Schätzungshilfe den von ihm erstellten Mietspiegel verwenden. Ein mögliches Abweichen von tatsächlichen Verhältnissen ist unschädlich, da das FA den sich aus dem Mietspiegel ergebenden Schätzungsrahmen nicht überschritten hat. Zur Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Schätzung gehört es auch, dass das FA --wie vom FG festgestellt-- bei der Bewertung des Grundstücks nicht den Wert des Mietspiegels in Höhe von 5,20 DM unverändert übernommen, sondern Abschläge für Ortsrandlage und Grundstückszuschnitt vorgenommen hat. Das FA hat damit seine Möglichkeiten ausgeschöpft, Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auch wurden die Schätzungsgrundlagen --soweit vorhanden-- der Klägerin dargelegt.
(c) Der vom FA als Schätzungsrahmen herangezogene Mietspiegel ist hinsichtlich der Belegenheit der Grundstücke und der Ausstattungsvarianten der Gebäude hinreichend differenziert, um einen Schätzungsrahmen zu gewährleisten. Zwar bestehen offenbar Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Dokumentation einzelner Datenquellen. Das FA hat jedoch nach den Feststellungen des FG Listen über Mietpreise gefertigt, aus denen der Mietspiegel erstellt wurde. Überdies soll der Mietspiegel mit einer gewissen Datenbreite nur einen Anhalt für die vorzunehmende Schätzung bieten, so dass Fehler in einzelnen Datengrundlagen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Besteuerung haben.
Im Übrigen hat die Klägerin im Zusammenhang mit ihrer Kritik am Mietspiegel auch nicht erklären können, warum sie bzw. der Prozessbevollmächtigte im Jahr 1996 einen Mietwert von 3,20 DM selbst vorgeschlagen hat und nunmehr der Meinung ist, dass dieser Wert nicht zutrifft. Auch diese Tatsache stützt das Ergebnis, dass der Mietspiegel zu Recht der Bewertung zugrunde gelegt wurde.
(d) Die Klägerin hat zwar mit dem sinngemäßen Hinweis Recht, das Fehlen von Dokumentationen trage nicht zur Überzeugungskraft des Mietspiegels bei. Diese Einwendungen der Klägerin reichen jedoch nicht aus, den Mietspiegel als ungeeignete Schätzungsgrundlage anzusehen. Angesichts der vielfältigen Erkenntnisquellen des FA kann --wie bereits dargelegt-- nicht davon ausgegangen werden, dass die Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit einzelner Belege den Mietspiegel an sich unbrauchbar macht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.