Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 11.05.2012


BFH 11.05.2012 - II B 63/11

(Feststellung einer Steuerhinterziehung durch das FG - Keine Prüfung materiellen Rechts im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde - Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 31 Abs. 5 ErbStG)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
11.05.2012
Aktenzeichen:
II B 63/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 9. Mai 2011, Az: 9 K 3714/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Für die nach § 76 Abs. 1 S. 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffende Feststellung der Steuerhinterziehung ist kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen .

2. NV: Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und der Prüfung durch den BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen .

3. NV: Die Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 31 Abs. 5 ErbStG ist im Regelfall auf den Erwerb von Todes wegen seitens des/der Erben beschränkt .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit sie überhaupt die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllen, nicht vor.

2

1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), zuzulassen.

3

a) Die Rüge, das Finanzgericht (FG) habe verfahrensfehlerhaft die beantragte Beweiserhebung des Testamentsvollstreckers X unterlassen, ist unbegründet. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dabei ist für die Feststellung der Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570). Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises ist nur dann ein Verfahrensmangel, wenn das voraussichtliche Beweisergebnis nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG entscheidungserheblich sein kann (z.B. BFH-Beschluss vom 23. März 2005 VI B 137/04, BFH/NV 2005, 1296). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf hingegen unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. April 2008 VI B 131/07, BFH/NV 2008, 1475; vom 13. November 2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 81 FGO Rz 46, m.w.N.).

4

Nach diesen Grundsätzen war das FG nicht gehalten, den von der Klägerin benannten X als Zeugen zu vernehmen. Nach der --zutreffenden-- materiell-rechtlichen Auffassung des FG ist für die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung darauf abzustellen, ob der Vater (V) der Klägerin (als deren seinerzeitiger gesetzlicher Vertreter) seine Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) vorsätzlich nicht erfüllt hat. Dabei ist das FG --ebenfalls rechtlich zutreffend-- davon ausgegangen, dass diese Anzeigepflicht allein für V und nicht für den Testamentsvollstrecker bestand und dass V von seiner Anzeigepflicht auch nicht durch die Erklärungspflicht des Testamentsvollstreckers (§ 31 Abs. 5 ErbStG) befreit wurde. Hiervon ausgehend ist das FG mit eingehender Begründung zu der Überzeugung gelangt, dass V seine Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG vorsätzlich nicht erfüllt habe. V habe das Bestehen seiner Anzeigepflicht für möglich gehalten und ihre Verletzung ebenso billigend in Kauf genommen wie die daraus erwachsende Verkürzung der Erbschaftsteuer. Hiernach erweist sich das Vorbringen der Klägerin, ihr wäre durch die Vernehmung des X der Beweis gelungen, dass X von ihrem Aufenthalt in Deutschland keine Kenntnis gehabt, seine Pflichten ordentlich erfüllt und auch V darauf hätte vertrauen können, als unerheblich. Denn auch bei einem solchen Beweisergebnis hätte das Urteil nicht anders ausfallen können, weil dem Kenntnisstand des X über den seinerzeitigen Aufenthaltsort der Klägerin keine den Vorsatz des V ausschließende Bedeutung zukommen konnte.

5

b) Mit der Rüge, dem FG seien hinsichtlich des von ihm bejahten Vorsatzes des V sowie der unterlassenen Vernehmung des X "objektive Fehler" unterlaufen und das FG habe gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen, wird kein Verfahrensmangel geltend gemacht.

6

Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung durch den BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (BFH-Beschlüsse vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; vom 31. März 2009 X B 146/08, BFH/NV 2009, 1134; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 76, 82, m.w.N.). Die Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers liegt insbesondere in dem Vorbringen, die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge sei nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 81, m.w.N.). Entsprechendes gilt auch dann, wenn --wie hier-- geltend gemacht wird, die Beweiswürdigung des FG verstoße gegen allgemeine Erfahrungssätze (BFH-Beschlüsse vom 8. Juni 2010 X B 126/09, BFH/NV 2010, 1628; vom 25. September 2007 IX B 199/06, BFH/NV 2008, 26; vom 7. Juli 2005 XI B 13/03, BFH/NV 2005, 1858; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 83 und § 118 Rz 28). Ein Verfahrensmangel ergibt sich demgemäß auch nicht aus der Rüge der Klägerin, das FG sei aufgrund einer unzureichenden Tatsachengrundlage zu der Überzeugung gelangt, V habe von dem in seinem Besitz befindlichen Schreiben vom 5. April 1993 auch inhaltlich Kenntnis genommen.

7

2. Eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) ist nicht erforderlich; denn die gerügte Divergenz zum BFH-Urteil vom 16. Januar 1973 VIII R 52/69, BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273) liegt nicht vor.

8

a) Eine Divergenz kann nur vorliegen, wenn das FG bei einem gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalt in ein und derselben Rechtsfrage eine von einer Entscheidung des BFH oder des Bundesverfassungsgerichts oder eines FG abweichende Rechtsauffassung vertreten hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 2007 IV B 163/06, BFH/NV 2008, 212; vom 23. Januar 2007 VI B 17/06, BFH/NV 2007, 950; vom 15. Dezember 2005 IX B 98/05, BFH/NV 2006, 768; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 48).

9

b) Hieran fehlt es im Streitfall. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273 ist der für die Bejahung einer Steuerhinterziehung ausreichende bedingte Vorsatz in der Regel dann nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe mit der Erledigung seiner Steuerangelegenheiten und damit auch mit der Fertigung der (Einkommensteuer-)Erklärung beauftragt hat. Das FG hat keinerlei tatsächliche Feststellungen dazu getroffen, dass V in Bezug auf den Erwerb der Klägerin durch Vermächtnis einen Steuerberater mit der Fertigung der Erbschaftsteuererklärung beauftragt hatte. Sollte das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen sein, dass X seitens des V mit der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung beauftragt worden sei, so fehlt es ebenfalls an entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des FG. Im Übrigen ist die Pflicht des Testamentsvollstreckers zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 31 Abs. 5 ErbStG im Regelfall auf den Erwerb von Todes wegen seitens des/der Erben beschränkt (BFH-Beschluss vom 9. Juni 1999 II B 101/98, BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529).