Entscheidungsdatum: 28.04.2010
1. NV: Hat das BVerfG die befristete weitere Anwendung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift zugelassen, ist dies für die Fachgerichte verbindlich .
2. NV: Um die grundsätzliche Bedeutung einer vom BFH bereits entschiedenen Rechtsfrage darzulegen, muss ausgeführt werden, welche neuen und gewichtigen Argumente in der Rechtsprechung und/oder Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht werden .
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt in Hamburg eine Spielhalle mit Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, für die sie gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes (SpStG) in der jeweils geltenden Fassung Spielgerätesteuer von monatlich 600 DM je Gerät für die Zeit ab Januar 1995 und von monatlich 300 € je Gerät für die Zeit ab Januar 2002 anmeldete. Die Einsprüche und die auf den Zeitraum ab Januar 1997 beschränkten Klagen, mit denen die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des SpStG geltend gemacht hatte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht verwies zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. Februar 2009 1 BvL 8/05 (BVerfGE 123, 1), durch den das BVerfG zwar § 4 Abs. 1 SpStG wegen der Unvereinbarkeit des verwendeten Stückzahlmaßstabs mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt, aber im Tenor weiter ausgeführt hatte, die Vorschrift bleibe für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des SpStG am 1. Oktober 2005 weiter anwendbar.
Die Klägerin bringt zur Begründung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vor, die Rechtsfrage, ob die vom BVerfG getroffene Weitergeltungsregelung wirksam ist, habe grundsätzliche Bedeutung. Zudem sei die Frage der kalkulatorischen Abwälzbarkeit bei Vergnügungsteuern auf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit nach wie vor offen und bedürfe einer grundsätzlichen Entscheidung.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.
1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt von --vorliegend nicht gegebener-- Offenkundigkeit abgesehen substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 2007 V B 66/06, BFH/NV 2007, 2067; vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; vom 30. Januar 2008 V B 57/07, BFH/NV 2008, 611; vom 27. Oktober 2009 VI B 160/08, BFH/NV 2010, 204, und vom 17. November 2009 VI B 73/09, BFH/NV 2010, 452). Es sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (BFH-Beschlüsse vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; vom 18. April 2005 II B 98/04, BFH/NV 2005, 1310; vom 24. Januar 2008 X B 87/07, BFH/NV 2008, 605; vom 14. September 2009 III B 119/08, BFH/NV 2010, 34, und in BFH/NV 2010, 204). Hat der BFH die vom Beschwerdeführer herausgestellte Rechtsfrage bereits entschieden, muss in der Beschwerdebegründung eingehend dargelegt werden, weshalb trotzdem weiterhin Klärungsbedarf bestehe. Insbesondere ist darzustellen, welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und/oder in der Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden seien (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2009 X B 100/09, BFH/NV 2010, 205, m.w.N.).
2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Soweit die Klägerin die Frage, ob die vom BVerfG ausgesprochene Zulassung der befristeten weiteren Anwendung einer von ihm für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift bindende Wirkung für die Fachgerichte entfaltet, als klärungsbedürftig ansieht, fehlt es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH, nach der derartige Weitergeltungsregelungen für die Gerichte nach § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) verbindlich sind (BFH-Urteile vom 30. Juli 1997 II R 9/95, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635; vom 24. Juni 1998 II R 104/97, BFH/NV 1998, 1276, und vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378; BFH-Beschlüsse vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515; vom 15. Oktober 1997 II B 54/97, BFH/NV 1998, 502; vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom 8. Mai 2003 IV R 95/99, BFH/NV 2003, 1054, und vom 23. Februar 2006 III B 44/05, BFH/NV 2006, 1297), und zwar unabhängig davon, ob das BVerfG zu derartigen Weitergeltungsregelungen befugt ist (BFH-Beschluss vom 30. Juli 1997 II B 7/97, BFH/NV 1998, 351). Für die Überprüfung einer Entscheidung des BVerfG zur vorläufigen Weitergeltung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift durch die Fachgerichte gibt es keine verfahrensrechtliche Handhabe. Vor allem ist es dem Fachgericht materiell-rechtlich nicht möglich, hinsichtlich einer vom BVerfG als Verfassungsorgan getroffenen Abwägung --hier: Bestimmung eines das Gemeinwohl schonenden Übergangs von der verfassungswidrigen zu einer verfassungsgemäßen Rechtslage-- eine "übergeordnete Rechtsnorm" (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) als Prüfungsmaßstab zu finden. Das Dogma der Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze gilt nicht uneingeschränkt und ausnahmslos. Das BVerfG kann in seine die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bestimmende Ermessensentscheidung unter dem systematischen Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung abwägungsfähige Rechtsgüter einbeziehen. Diese Ermessensentscheidung ist kompetenzrechtlich dem BVerfG als Verfassungsorgan vorbehalten und einer justizförmigen Erörterung und Prüfung durch die Fachgerichte entzogen (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513).
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist ebenfalls der Ansicht, dass vom BVerfG getroffene Weitergeltungsanordnungen wirksam und für die Fachgerichte verbindlich seien. Selbst eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung sei für die vom BVerfG bestimmte Übergangszeit trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Steuergesetzes möglich (BGH-Beschluss vom 7. November 2001 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138, BStBl II 2002, 259).
Die Klägerin macht in der Beschwerdebegründung nicht geltend, dass die Frage der auf § 31 BVerfGG beruhenden bindenden Wirkung der vom BVerfG getroffenen Weitergeltungsanordnungen in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der Literatur anders beurteilt werde. Dass die Klägerin unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Dezember 1970 (BGBl I 1970, 1765) die Wirksamkeit der Weitergeltungsregelungen anders als die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung verneint, genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. Die Bundesregierung hatte zur Lösung des Problems, dass sich verfassungsgerichtliche Nichtigkeitserkenntnisse dahin auswirken können, dass Regelungen, die für die Gemeinschaft unabdingbar notwendig sind, als in der Vergangenheit nicht gültig zu behandeln sind, vorgeschlagen, durch eine Änderung des § 79 Abs. 1 BVerfGG dem BVerfG die Befugnis zu geben, aus schwerwiegenden Gründen des öffentlichen Wohles zu bestimmen, dass ein für nichtig erklärtes Gesetz erst zu einem vom Gericht festzusetzenden Zeitpunkt als außer Kraft getreten gilt. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags hatte diesen Vorschlag abgelehnt und zur Begründung zum einen auf rechtliche Bedenken und zum anderen darauf hingewiesen, dass das BVerfG in solchen Fällen bisher jeweils praktikable Lösungen gefunden habe. Das BVerfG habe verfassungsrechtlich beanstandete Rechtsvorschriften nicht für nichtig erklärt, sondern jeweils eine Verpflichtung des Gesetzgebers festgestellt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums tätig zu werden und verfassungsrechtliche Mängel zu beseitigen (BTDrucks VI/1471, S. 5 f.). Warum sich aus diesen Ausführungen des Rechtsausschusses dessen Meinung ergeben soll, von ihm ausdrücklich als praktikable Lösung angesehene Regelungen, mit denen das BVerfG die vorläufige weitere Anwendung eines zwar für verfassungswidrig, nicht aber für nichtig erklärten Gesetzes zulässt, seien unwirksam und entfalteten deshalb keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Verwaltung gehen im Übrigen in ständiger Praxis von der Wirksamkeit und bindenden Wirkung derartiger Regelungen aus. Auch dies hat die Klägerin nicht berücksichtigt.
b) Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung auch nicht substantiiert dargelegt, warum es möglich und erforderlich sein soll, die Frage der kalkulatorischen Abwälzbarkeit bei Vergnügungsteuern auf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit in einem Revisionsverfahren zu klären. Das BVerfG hat im Beschluss in BVerfGE 123, 1 unter C.II.3. entschieden, dass § 4 Abs. 1 SpStG wegen der Unzulässigkeit des Stückzahlmaßstabs verfassungswidrig sei, nicht aber zusätzlich deshalb, weil die Steuer nicht auf die Spieler abwälzbar wäre. Die Abwälzbarkeit sei nämlich aus näher dargelegten Gründen gegeben (ebenso bereits BFH-Urteil vom 29. März 2006 II R 59/04, BFH/NV 2006, 1354).