Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 25.08.2010


BFH 25.08.2010 - I R 95/09

Umfang der Steuerbefreiung von Zinseinnahmen einer Wohnungsgenossenschaft - Partielle sachliche Steuerpflicht


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
25.08.2010
Aktenzeichen:
I R 95/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 2. September 2009, Az: 2 K 298/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Zinsen, die eine gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 Buchst. a KStG und § 3 Nr. 15 GewStG steuerbefreite Wohnungsgenossenschaft vereinnahmt, sind jedenfalls insoweit nicht steuerfrei, als sie aus (zurückgelegtem) Kapital erzielt werden, das das mittelfristig benötigte Kapital für Instandhaltungsarbeiten und Investitionen an den im Mitgliedergeschäft zur Nutzung überlassenen Wohnungen übersteigt .

Tatbestand

1

I. Zwischen den Beteiligten ist die Steuerpflicht von Zinseinkünften einer Wohnungsgenossenschaft streitig.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine eingetragene Genossenschaft. Ihr alleiniger Geschäftszweck bestand in den Streitjahren (2001 bis 2004, 2006 sowie 2008 und 2009) in der Vermietung und Erhaltung von zwölf Wohnhäusern mit 268 Wohnungen.

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Die Klägerin erzielte in den Streitjahren aus der Hausbewirtschaftung Umsatzerlöse in Höhe von 1.725.568 DM (2001), 890.105,84 € (2002), 686.908,74 € (2003), 871.138,88 € (2004) und 905.628,53 € (2006).

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Des Weiteren hatte sie in den Streitjahren finanzielle Mittel in Höhe von 2.046.403 DM (2001), 1.333.197 € (2002), 1.468.900 € (2003), 1.661.916 € (2004) und 1.335.494,82 € (2006) bei Kreditinstituten angelegt. Daraus erzielte sie Zinsen in Höhe von 104.716 DM (2001), 65.739 € (2002), 59.831 € (2003), 57.804 € (2004) und 47.131,93 € (2006). Im Jahr 2006 hatte sie außerdem sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 4.211,34 €.

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Die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Kreditinstituten betrugen 9.223.212,04 DM (2001, anteilige Zinsaufwendungen 445.537,12 DM), 4.672.707,57 € (2002, anteilige Zinsaufwendungen 223.609,44 €), 4.607.311,46 € (2003, anteilige Zinsaufwendungen 217.755,10 €), 4.420.143,59 € (2004, anteilige Zinsaufwendungen 210.582,41 €) und 3.906.470,53 € (2005, anteilige Zinsaufwendungen 172.554,58 €).

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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Klägerin in den Jahren 2001 bis 2004 erklärungsgemäß gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer; die entsprechenden Bescheide lauteten jeweils auf null. Ihre Einnahmen blieben gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 10 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) bzw. § 3 Nr. 15 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) steuerfrei.

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Eine im Jahr 2006 durchgeführte Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Klägerin teilweise steuerpflichtige Einnahmen aus Zinsen zuzurechnen seien, die sich aus der Anlage der finanziellen Mittel bei Kreditinstituten ergäben. Von den Zinseinnahmen sei der Teil steuerpflichtig, der die geplanten Investitionssummen übersteige:

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2001 2002 2003 2004
Geplante Investitionssumme DM 1.853.335 € 920.000 € 1.050.000 € 1.080.000
Angelegte finanzielle Mittel DM 2.046.403 € 1.333.197 € 1.468.900 € 1.661.916
Nicht steuerfreier An-teil 9,434% 30,993%  28,518% 35,015%
Guthabenzins DM 104.716 € 65.739 € 59.831 € 57.804
Steuerpflichtige Einnahmen DM 9.879 € 20.374 € 17.063 € 20.240

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          

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Das FA schloss sich dem an und erließ entsprechend geänderte (2001 bis 2004) bzw. erstmalige (2006, 2008 und 2009) Steuer- und Feststellungsbescheide. Dabei ging es davon aus, dass die Klägerin bis zum Jahr 2011 insgesamt 1.090.000 € investieren wollte und 1.335.494,82 € finanzielle Mittel angelegt habe, so dass 82 % der Zinsen steuerfrei und 18 % steuerpflichtig seien. Daraus folgten für den Veranlagungs- und Erhebungszeitraum 2006 steuerpflichtige Zinsen in Höhe von 8.483,76 €.

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Der dagegen gerichteten Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrte, gab das Sächsische Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 2. September 2009  2 K 298/09 statt.

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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die von der Klägerin erzielten Zinserträge vollen Umfangs steuerfrei sind.

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1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 Buchst. a KStG ist die Klägerin als eine im Genossenschaftsregister eingetragene Vermietungsgenossenschaft von der Körperschaftsteuer befreit, soweit sie Wohnungen herstellt oder erwirbt und ihren Mitgliedern zum Gebrauch überlässt. Diese Befreiung erstreckt sich auch auf die Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 15 GewStG). Einkünfte aus anderen, nicht begünstigten Tätigkeiten werden von der Befreiungsnorm nicht erfasst und führen nach § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 KStG zum Ausschluss der Steuerbefreiung auch der begünstigten Geschäfte, wenn die Einnahmen aus den nicht begünstigten Geschäften die Geringfügigkeitsgrenze von 10 % der Gesamteinnahmen überschreiten.

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a) Zu den von der Steuerbefreiung erfassten Tätigkeiten gehören nach allgemeiner Auffassung in der Literatur und nach der Verwaltungspraxis --der sich der Senat im Grundsatz anschließt-- auch Geschäfte, die als Ausfluss der steuerbegünstigten Tätigkeiten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KStG anfallen und die der Geschäftsbetrieb der Vermietungsgenossenschaften mit sich bringt, die also zur Abwicklung der steuerbegünstigten Tätigkeiten notwendig sind und im Rahmen der begünstigten Tätigkeiten erfolgen (vgl. Jost in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 5 KStG nF Abs. 1 Nr. 10-13 Rz 32; Bott in Ernst & Young, KStG, § 5 Rz 681; Blümich/von Twickel, EStG/KStG/GewStG, § 5 KStG Rz 222; Pel in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 5 KStG Rz 357; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 22. November 1991, BStBl I 1991, 1014, Tz. 38). Der erkennende Senat hält es unter Heranziehung dieser Maßstäbe zum Zwecke der Gebrauchsüberlassung von Wohnungen an Genossenschaftsmitglieder für erforderlich, dass eine Vermietungsgenossenschaft die Wohnungen instand hält und in sie investiert. Dies bedingt, dass sie finanzielle Mittel für eine zeitnahe Instandhaltungs- und Investitionsplanung zurücklegt.

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Davon abzugrenzen ist jedoch die Frage der Notwendigkeit einer verzinslichen Anlage dieser finanziellen Mittel. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gehört zu den begünstigten Geschäften auch die Anlage liquider Mittel, die entsprechend der Instandhaltungs- und Investitionsplanung mittelfristig (bis zu fünf Jahren) bereitgehalten werden müssen und die aus der begünstigten Vermietung von Wohnungen stammen. Die daraus erzielten Einnahmen fielen nicht unter die 10 %-Grenze des § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 KStG (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1991, 1014, Rn. 39, 41; zustimmend FG Köln, Urteil vom 28. Juli 1999  13 K 2452/98, Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 33). Der Senat kann --angesichts des Verböserungsverbots (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 11. Februar 2009 I R 25/08, BFHE 224, 498, BStBl II 2010, 536)-- offenlassen, ob er dem zustimmt. Jedenfalls in Höhe der streitigen Zinseinnahmen, die auf zurückgelegtem Kapital beruhen, das das mittelfristige Instandhaltungs- und Investitionsvolumen übersteigt, hat das FA die Steuerbefreiung zu Recht nicht gewährt.

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Das Vorhalten von (Eigen-)Kapital für Instandhaltungsarbeiten und Investitionen, die selbst mittelfristig nicht geplant sind, und die damit einhergehende Erzielung von Zinseinnahmen sind nicht notwendigerweise mit der Überlassung von Wohnungen zur Nutzung durch die Genossenschaftsmitglieder verbunden. Insoweit ist die Erzielung von Zinsen einerseits keine Voraussetzung, die die Wohnungsüberlassung sinnvoll und wettbewerbsgerecht ermöglicht. Auch bringt andererseits die Wohnungsüberlassung eine verzinsliche Kapitalanlage in dieser Höhe nicht zwangsläufig mit sich. Könnte eine Vermietungsgenossenschaft uneingeschränkt Zinsen aus Rücklagen steuerfrei vereinnahmen, würde sie vielmehr im Vergleich zu steuerpflichtigen Vermietern und Eigentümern selbstgenutzter Wohnungen einen unberechtigten Vorteil erlangen, der nicht durch den Gesetzeszweck gedeckt wäre.

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Mit der Neuregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 10 KStG durch das Steuerreformgesetz 1990 beabsichtigte der Gesetzgeber, die vormals gewährte umfassende Steuerbefreiung zur Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber nicht steuerbefreiten Wohnungsunternehmen abzuschaffen (so ausdrücklich die Begründung zum Fraktionsentwurf des Steuerreformgesetzes 1990, BTDrucks 11/2157, S. 122). Dieser Gesetzeszweck rechtfertigt es, steuerbegünstigte Hilfsgeschäfte nur in den zwingend notwendigen Ausnahmefällen anzuerkennen. Ansonsten könnte der Wettbewerb mit steuerpflichtigen Vermietern verzerrt werden. Darüber hinaus beruht die Steuerbefreiung für die Nutzungsüberlassung auf der gesetzgeberischen Entscheidung, den Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus nicht mehr zu versteuern, so dass es --so die Gesetzesbegründung-- nicht überzeugend sei, nur deshalb eine Steuer auf das Einkommen zu erheben, weil sich mehrere Interessenten zu einer Wohnungsbaugenossenschaft zusammenschlössen (vgl. BTDrucks 11/2157, S. 122). Dann ist es aber auch konsequent, wie beim Eigentümer selbstgenutzten Wohnraums, Zinsen aus zurückgelegtem Kapital grundsätzlich zu besteuern.

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b) Soweit die Klägerin schließlich begehrt, die streitigen Zinseinnahmen seien mit ihren Zinsaufwendungen zu verrechnen, kann dem nicht gefolgt werden. Dazu müssten die Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben durch die Erzielung der Zinseinnahmen veranlasst sein. Dies wurde von der Klägerin nicht geltend gemacht; eine bloße Verrechnung von Zinseinnahmen und Zinsaufwendungen aus anderweitigen Verbindlichkeiten ist nicht möglich.

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2. Der Besteuerung steht nicht entgegen, dass die Zinseinnahmen in allen Streitjahren unterhalb der 10 %-Grenze des § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 KStG liegen und damit die Steuerbefreiung der Einnahmen aus den begünstigten Tätigkeiten im Übrigen nicht berühren. Der erkennende Senat teilt nicht die vom FG vertretene Auffassung, zulässige, aber nicht begünstigte Einnahmen seien bis zur Höhe von 10 % der Gesamteinnahmen steuerfrei.

21

Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KStG sind Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften steuerbefreit, "soweit" sie Wohnungen herstellen oder erwerben und sie den Mitgliedern auf Grund eines Mietvertrags oder auf Grund eines genossenschaftlichen Nutzungsvertrags zum Gebrauch überlassen. Daraus folgt, dass sie außerhalb dieser Tätigkeitsbereiche als nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften den allgemeinen Vorschriften der Besteuerung gemäß §§ 7 ff. KStG unterliegen. § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 KStG schließt nur die Steuerbefreiung nach Satz 1 insgesamt aus, wenn die nicht begünstigten Einnahmen 10 % der gesamten Einnahmen übersteigen.

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Für die ohnehin nicht nach Satz 1 begünstigten Einnahmen ergibt sich daher die (partielle) sachliche Steuerpflicht aus allgemeinen Grundsätzen (vgl. Gosch/Heger, KStG, 2. Aufl., § 5 Rz 261; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 5 KStG Rz 87a; Bott in Ernst & Young, a.a.O., § 5 Rz 695; Blümich/von Twickel, a.a.O., § 5 KStG Rz 224; ebenso --im Ergebnis-- Jost in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 5 KStG nF Abs. 1 Nr. 10-13 Rz 68). Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen (vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 21. Juni 1988, BTDrucks 11/2536, S. 88; zweifelnd zur partiellen Steuerpflicht bei zulässigen, aber nicht begünstigten Tätigkeiten Streck, KStG, 7. Aufl., § 5 Rz 116, allerdings unter Hinweis darauf, dass auch der Gesetzgeber bei Einfügung des Satzes 11 in § 13 Abs. 3 KStG von einer Steuerpflicht ausgegangen ist, vgl. BTDrucks 12/7945, S. 66).

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3. Die Vorinstanz hat eine abweichende Rechtsauffassung vertreten. Ihr Urteil ist aufzuheben und die Klage ist abzuweisen.