Entscheidungsdatum: 20.08.2012
1. NV: Eine Behörde braucht das Verschulden eines Mitarbeiters in der Poststelle nicht gegen sich gelten lassen, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstückes ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407; vom 10. Juli 1996 II R 12/96, BFH/NV 1997, 47) .
2. NV: Eine wirksame Ausgangskontrolle im Sinne einer Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist ist nicht gewährleistet, wenn die zuständige Sachbearbeiterin in den Akten lediglich die Übergabe des Poststücks an die Poststelle vermerkt .
3. NV: Eine allgemeine Anweisung der Amtsleitung, die Ausgangspost unverzüglich abzusenden, vermag eine konkrete Einzelanweisung hinsichtlich der Weiterleitung der Postsendung nicht zu ersetzen .
I. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer in Liquidation befindlichen GmbH, mit Urteil vom 2. Januar 2012 weitgehend stattgegeben und den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) unter Aufhebung des Bescheids über die Ablehnung des Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 der Abgabenordnung verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Revision wurde vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Das Urteil des FG wurde dem FA laut Empfangsbekenntnis am 9. Januar 2012 zugestellt. Das FA legte am 2. Februar 2012 fristgerecht Revision ein. Am 15. März 2012 --also nach Ablauf der Begründungsfrist-- ging, nachdem der Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 12. März 2012 auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist hingewiesen hatte, die Revisionsbegründung des FA dem Bundesfinanzhof (BFH) zu. Mit Schreiben vom 16. März 2012 beantragte das FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es trug vor, die Revisionsbegründung vom 29. Februar 2012 sei am 1. März 2012 von der Sachbearbeiterin in das Ausgangspostfach der Poststelle des FA gegeben worden. Dies sei auf dem Entwurf der Revisionsbegründungsschrift handschriftlich vermerkt worden. Die Revisionsbegründung sei nebst den Akten noch an diesem Tag von den Mitarbeitern der Poststelle des FA im Rahmen der täglichen Leerung dem Ausgangspostfach entnommen und zur Versendung in die Poststelle verbracht worden. Entgegen der generellen Anweisung der Amtsleitung, die Ausgangspost unverzüglich abzusenden, hätten die Mitarbeiter der Poststelle die Revisionsbegründung nebst Akten erst am 12. März 2012 an die Deutsche Post AG, die das FA werktäglich zum Bringen und Abholen von Post anfährt, zur Versendung weitergereicht. Die beiden Mitarbeiter der Poststelle hätten dieses für sie untypische und rational nicht zu erklärende grobe Fehlverhalten eingeräumt und entsprechende dienstliche Erklärungen abgegeben. Unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten seien die Sachbearbeiterin und der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle im FA davon ausgegangen, dass die Begründung der Revision fristgerecht bis zum 9. März 2012 beim BFH eingehen würde. Mit der geschilderten Nachlässigkeit der Mitarbeiter der Poststelle und dem damit einhergehenden Verstoß gegen die Anweisung der Amtsleitung sei für die Mitarbeiter der Rechtsbehelfsstelle nicht zu rechnen gewesen. Eine Verpflichtung des Vorstehers, Sachgebietsleiters oder Sachbearbeiters zur persönlichen Überwachung der Absendung der Post durch die Poststelle sei nicht gegeben.
Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als die Klage nicht abgewiesen worden ist.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FA hat die Revision nicht rechtzeitig begründet.
Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Da das FG-Urteil dem FA am 9. Januar 2012 zugestellt wurde, lief die Frist für die Begründung der Revision am 9. März 2012 ab (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 der Zivilprozessordnung). Die Revisionsbegründung ist aber erst am 15. März 2012 beim BFH eingegangen.
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumung liegen nicht vor.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision nur zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war, er den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von einem Monat nach Kenntnisnahme von der Fristversäumnis gestellt und die zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).
Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2010 IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809; vom 16. Januar 2007 IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508, jeweils m.w.N.). Eine Behörde braucht deshalb das Verschulden eines Mitarbeiters in der Absendestelle nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks ausdrücklich hingewiesen wurde (BFH-Beschlüsse vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407; vom 10. Juli 1996 II R 12/96, BFH/NV 1997, 47).
aa) Eine wirksame Postausgangskontrolle setzt voraus, dass die Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes, d.h. die Übergabe des Schriftstücks an die Post, durch eine Person kontrolliert wird, die den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt. Vielmehr ist erforderlich, dass die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festgehalten wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1508, m.w.N.).
bb) Ist eine solche zentrale Ausgangskontrolle nicht vorgesehen, muss zumindest derjenige, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war, die mit der Absendung beauftragte Poststelle auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstücks hinweisen; die tatsächliche Übergabe der Briefsendung an die Post muss in der Akte vermerkt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 47). Denn aus den der Poststelle zugeleiteten Schriftsätzen ist für die Mitarbeiter der Poststelle in der Regel nicht erkennbar, ob es sich um einen fristwahrenden Schriftsatz handelt, auf dessen pünktliche Absendung besonders zu achten ist.
b) Nach diesen Grundsätzen hat das FA nicht glaubhaft gemacht, dass es die Revisionsbegründungsfrist schuldlos versäumt hat.
aa) Nach den Ausführungen des FA zur Organisation der Postausgangsstelle ist eine wirksame Ausgangskontrolle nicht gewährleistet. Denn beim FA war durch organisatorische Maßnahmen nicht ausreichend sichergestellt, dass die Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist gewährleistet war. Es wurde gerade nicht die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festgehalten. Das FA trägt vielmehr insoweit nur vor, die zuständige Sachbearbeiterin habe in den Akten lediglich die Übergabe des Poststücks an die zur Weiterleitung auf den Postweg zuständige Stelle vermerkt. Danach wird beim FA an keiner Stelle die tatsächliche Übergabe solcher Schriftstücke an die Post überwacht und vermerkt. Die allgemeine Anweisung der Amtsleitung, die Ausgangspost unverzüglich abzusenden, reicht demgegenüber nicht aus, um den rechtzeitigen Eingang bei Gericht sicherzustellen. Eine wirksame Postausgangskontrolle lag mithin nicht vor.
bb) Es fehlte auch an einer konkreten Einzelanweisung der für die Bearbeitung des Vorgangs zuständigen Sachbearbeiterin hinsichtlich der Weiterleitung der Postsendung. Wie das FA selbst vorgetragen hat, hat die Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle die Mitarbeiter der Poststelle nicht auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks hingewiesen. Die Sachbearbeiterin war zwar --wie übrigens auch der Sachgebietsleiter bzw. die Amtsleiterin-- nicht verpflichtet, die Durchführung der Anordnung über die Absendung des Poststücks persönlich zu überwachen bzw. sich von der Beachtung der Anweisung zu überzeugen (BFH-Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, 88, BStBl II 1969, 548), sie musste aber --soweit dies nicht durch allgemeine Anweisungen hinsichtlich der Verfahrensweise bei besonders eilbedürftigen Schriftstücken sichergestellt war-- den Mitarbeitern in der Poststelle eine ausreichend konkrete Anweisung hinsichtlich der Weiterleitung der Postsendung geben, bei deren Befolgung --unter Beachtung der gewöhnlichen Postlaufzeiten-- der rechtzeitige Zugang gewährleistet gewesen wäre. Lediglich die Nichtbeachtung solcher Anweisungen durch die Mitarbeiter der Poststelle braucht das FA nicht gegen sich gelten zu lassen.
Anhaltspunkte dafür, dass es beim FA allgemeine Anweisungen an die Poststelle gab, wie mit besonders eilbedürftigen Postsendungen zu verfahren ist (z.B. unmittelbare Übergabe der Sendung an die Post durch einen Mitarbeiter des FA), bestehen nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht. Eine allgemeine Anweisung der Amtsleitung, die Ausgangspost unverzüglich abzusenden, reicht wiederum nicht aus, um den rechtzeitigen Eingang bei Gericht sicherzustellen.