Entscheidungsdatum: 20.07.2016
NV: Ein Prozessbevollmächtigter hat den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt. Deshalb obliegt dem Prozessbevollmächtigten bei Fertigung der Revisionsschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung der Revision auch die Prüfung, ob im Fristenkontrollblatt eine Revisionsbegründungsfrist notiert ist (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. April 2008 I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55) .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 4. November 2015 9 K 3478/13 F wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I. Die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, gegen Verlustfeststellungsbescheide bzw. die Ablehnung von Billigkeitsmaßnahmen blieb erfolglos (Finanzgericht --FG-- Münster, Urteil vom 4. November 2015 9 K 3478/13 F, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 412).
Die vom FG zugelassene Revision wurde am 5. Februar 2016 fristgerecht eingelegt (der Schriftsatz trägt die Unterschrift eines Partners der Prozessbevollmächtigten, des Steuerberaters/vereidigten Buchprüfers A); für den Antrag und die Begründung wurde dort auf einen gesonderten Schriftsatz verwiesen. Mit Verfügung vom 16. März 2016 (zugestellt am 19. März 2016) wies die Senatsvorsitzende darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist am 7. März 2016 abgelaufen war. Mit Bezug auf § 124 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie auf § 56 FGO wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine Revisionsbegründung bisher nicht vorliege.
Am 30. März 2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die in der Sache eingesetzte erfahrene Mitarbeiterin der Kanzlei habe zwei die Klägerin betreffende Vorgänge (Einspruchsentscheidung des Finanzamts X gegenüber dem Gesellschafter der Klägerin wegen Ablehnung der Feststellung des Werts der Anteile der Klägerin; das streitgegenständliche Urteil des FG in der Sache der Klägerin wegen Verlustfeststellungen) versehentlich mit lediglich einer Fristenkontroll-Nr. im elektronischen Fristenkalender vermerkt (Hinweis auf ein "Fristenkontrollblatt für Frist Nr: 21401"). Mit dem Ablauf der Frist habe man die Kontroll-Nr. im Fristenkalender gelöscht, da in der anderen Sache (ablehnende Einspruchsentscheidung) nichts zu veranlassen war. Auf diese Weise sei versehentlich gleichzeitig die Frist zur Überwachung der Revision bzw. Revisionsbegründung ausgetragen worden.
Mit weiterem Schriftsatz vom 31. März 2016 hat die Klägerin die Revision unter Einhaltung der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO begründet.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das angefochtene Urteil und die zugrunde liegende (Teil-)Einspruchsentscheidung aufzuheben und den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2008 mit ... € und den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2008 mit ... € festzustellen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat es versäumt, die fristgerecht eingelegte Revision innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist zu begründen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen unverschuldeter Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kommt nicht in Betracht.
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das Urteil des FG wurde am 7. Januar 2016 zugestellt; folglich lief die Frist zur Begründung der Revision am 7. März 2016 ab. Die Revisionsbegründung ging jedoch erst am 31. März 2016 und damit nach Fristablauf beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
2. Da die Klägerin an der fristgerechten Begründung nicht unverschuldet verhindert war, kann ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) nicht gewährt werden.
a) Nach § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 Satz 1 FGO muss sich ein Kläger das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 6. Mai 2013 VI B 167/12, BFH/NV 2013, 1427).
b) Nach dem Verschuldensmaßstab des § 56 Abs. 1 FGO, der auch einfache bzw. leichte Fahrlässigkeit einschließt (z.B. BFH-Beschluss vom 30. April 2013 IV R 38/11, BFH/NV 2013, 1117), liegt im Streitfall eine verschuldete Fristversäumnis vor.
Wenn ein Rechtsanwalt eine Prozessvertretung übernimmt, wird die Wahrung der prozessualen Fristen einer seiner wesentlichen Aufgaben, der er seine besondere Sorgfalt widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Fristen eigenverantwortlich überwacht. Das schließt es zwar nicht aus, dass er die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlässt; zu den Fristen, deren Feststellung und Berechnung gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen werden darf, gehört aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die in Verfahren vor diesem Gericht zu beachtende Rechtsmittelbegründungsfrist grundsätzlich nicht (BVerwG-Beschluss vom 7. März 1995 9 C 390/94, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 2122). Auf die Frage, ob dies auch für die Revisionsbegründungsfrist im Finanzprozess gilt und ob jene Frist nach der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Neuregelung des Fristbeginns gemäß § 120 Abs. 2 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) weiterhin nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört, so dass der Prozessbevollmächtigte bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt gehalten ist (z.B. BFH-Beschluss vom 24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312), kommt es hier nicht an. Denn ein Prozessbevollmächtigter --im Finanzprozess auch ein mit der Prozessführung beauftragter Steuerberater-- hat den Ablauf einer Rechtsmittelbegründungsfrist jedenfalls dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt (Senatsurteil vom 29. April 2008 I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55; s.a. BVerwG-Beschluss in NJW 1995, 2122; Senatsbeschluss vom 3. September 2002 I R 59/01, BFH/NV 2003, 181). Deshalb obliegt dem Prozessbevollmächtigten bei Fertigung der Revisionsschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung der Revision auch die Prüfung, ob im Fristenkontrollblatt eine Revisionsbegründungsfrist notiert ist.
Im Streitfall besteht das Vertreterverschulden mithin darin, dass der Prozessbevollmächtigte bei Vorlage der Akte im Zuge der Erstellung der Revisionsschrift nicht darauf geachtet hat, ob überhaupt eine Revisionsbegründungsfrist im Fristenkontrollblatt eingetragen war (dies konnte mit Blick auf die Zustellung des FG-Urteils am 7. Januar 2016 jedenfalls nicht das "Fristende 08.02.2016" nach dem "Fristenkontrollblatt für Frist Nr.: 21401" sein). Die hier maßgebende (und zu bejahende) Frage, ob eine solche Prüfungspflicht bestanden hat, hat mit der Fristberechnung (hier: für die Revisionsbegründungsfrist) als solcher nichts zu tun und ist deshalb unabhängig von deren Schwierigkeitsgrad zu beurteilen. Hätte der Prozessbevollmächtigte diese Prüfung mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen, hätte er bei Einlegung der Revision erkennen müssen, dass eine Revisionsbegründungsfrist nicht notiert war. Infolge dieser Verletzung seiner Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die unterlassene/falsche Notierung der Revisionsbegründungsfrist und deren Ablauf nicht erkannt und die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Darin ist ein schuldhaftes Verhalten i.S. von § 56 Abs. 1 FGO zu sehen, das es ausschließt, dem Wiedereinsetzungsantrag zu entsprechen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.