Entscheidungsdatum: 07.05.2014
NV: Das FG ist im Regelfall (Ermessensreduktion auf "Null") zur Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO verpflichtet, wenn seine Entscheidung mit dem anderen (vorgreiflichen) Verfahren (hier: Einspruchsverfahren), in dem über Bilanzansätze für zurückliegende Wirtschaftsjahre gestritten wird, rechtlich in der Weise verknüpft ist, dass diese -bspw. über den Grundsatz der formellen Bilanzenzusammenhangs - auf die Bilanzierung im (anhängigen) Streitjahr einwirken (Bestätigung der Rechtsprechung).
I. Zwischen den Beteiligten ist die Aktivierung des Vorsteueranspruchs der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer AG, im Zusammenhang mit der Ausgabe neuer Aktien im Streit. Die Wirtschaftsjahre der Klägerin enden jeweils zum 30. September.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte diesen Anspruch erst nach Erlass des --im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (früher: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) vom 26. Mai 2005 C-465/03, Kretztechnik (Slg. 2005, I-4357) ergangenen-- Anwendungsschreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 4. Oktober 2006 (BStBl I 2006, 614) mit geändertem Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 26. April 2007 an. Gleichwohl setzte das FA den Anspruch zuzüglich der bis dahin angefallenen Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) bereits für das Streitjahr (2006) mit dem gleichfalls geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2006 vom 31. Januar 2012 an.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Voraussetzungen für die erfolgswirksame Aktivierung des Vorsteueranspruchs zum Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahres 2005/2006 (30. September 2006) als nicht gegeben angesehen (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 8. Juli 2013 6 K 2874/12, Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 149).
Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 12. November 2013 einen gemäß § 174 Abs. 4 AO geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2005 erlassen, mit dem der Umsatzsteuererstattungsanspruch sowie die bis einschließlich des Wirtschaftsjahres 2004/2005 angefallenen Zinsen gewinnwirksam berücksichtigt wurden. Zur Begründung verweist der Bescheid auf den Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Januar 2013 GrS 1/10 (BFHE 240, 162, BStBl II 2013, 317); da der BFH den subjektiven Fehlerbegriff aufgegeben habe, sei für das erste verfahrensrechtlich noch änderbare Jahr von dem objektiv richtigen Bilanzansatz mit der Folge auszugehen, dass der Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin bereits bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer 2005 anzusetzen sei. Die Klägerin hat hiergegen fristgerecht Einspruch eingelegt. Ihrem Antrag auf Ruhen des Verfahrens hat das FA zugestimmt.
Bereits mit Bescheid vom 4. November 2013 hatte das FA die Körperschaftsteuerfestsetzung 2006 (Streitjahr) in dem Sinne geändert, dass --nach Abzug der gegenläufigen Gewerbesteuerrückstellung-- nur noch der für die Umsatzsteuererstattung 1998 im Wirtschaftsjahr 2005/2006 entstandene Zinsanspruch gewinnwirksam erfasst wird.
Unter Berücksichtigung dieses Änderungsbescheids hat das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das FG wird nach Maßgabe der folgenden Erwägungen über die Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu entscheiden haben.
1. Der Änderungsbescheid (Teilabhilfebescheid) vom 4. November 2013, mit dem das FA bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006 nur noch die auf die Umsatzsteuererstattung 1998 für das Wirtschaftsjahr 2005/2006 entfallenden Zinsen abzüglich der hierdurch bedingten Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung, mithin einen Betrag in Höhe von … € gewinnerhöhend angesetzt hat, ist nach § 68 Satz 1 FGO an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids vom 31. Januar 2012 (in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2012) getreten. Ein solcher Austausch des Verfahrensgegenstands kann auch nach Ergehen einer finanzgerichtlichen Entscheidung stattfinden (§ 121 Satz 1 FGO; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 68 Rz 20, m.w.N.). Er hat des Weiteren zur Folge, dass das vorinstanzliche Urteil zu einem in seinen Rechtswirkungen suspendierten Bescheid ergangen und damit --ohne weitere Sachprüfung-- aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben ist (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 I R 117/08, BFHE 232, 15). Hiervon ist auch im Streitfall auszugehen. Den Erwägungen der Klägerin, dass mit Rücksicht auf den Teilabhilfebescheid (vom 4. November 2013) eine Teilerledigung des Rechtsstreits eingetreten sein könnte, ist nicht zu folgen. Sie lassen unberücksichtigt, dass ein solcher Bescheid --mangels Teilbarkeit des Streitgegenstands-- die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits nicht entfallen lässt (zur Kostenentscheidung s. Gräber/Ratschow, a.a.O., § 138 Rz 56 f., 26).
2. Nach § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens anordnen, wenn die Entscheidung ganz oder teilweise vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist.
a) Mit Rücksicht auf den Zweck der Vorschrift, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden und eine möglichst ökonomische Prozessführung zu gewährleisten, ist das Merkmal des sog. vorgreiflichen Rechtsverhältnisses i.S. von § 74 FGO weit auszulegen. Es erfordert keine rechtliche Bindung der vorgreiflichen Entscheidung; ausreichend ist vielmehr, dass die Entscheidung in dem anderen Verfahren in rechtlicher Hinsicht für das auszusetzende Verfahren von Bedeutung ist (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz 7; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 74 FGO Rz 51; Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz 2 ff., jeweils m.w.N.). Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das dem Gericht in § 74 FGO eingeräumte Ermessen im Regelfall (auf "Null") reduziert und es zur Aussetzung des Klageverfahrens verpflichtet ist, wenn seine Entscheidung mit dem anderen (vorgreiflichen) Verfahren (hier: Einspruchsverfahren betreffend den Körperschaftsteuerbescheid 2005; vgl. dazu Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 5 a.E.), in dem über Bilanzansätze für zurückliegende Wirtschaftsjahre gestritten wird, rechtlich in der Weise verknüpft ist, dass diese --beispielsweise über den Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs-- auf die Bilanzierung im (anhängigen) Streitjahr einwirken (BFH-Urteile vom 16. Mai 1990 X R 72/87, BFHE 161, 451, BStBl II 1990, 1044; vom 20. Mai 2010 IV R 74/07, BFHE 229, 71, BStBl II 2010, 1104; Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz 13). Nichts anderes kann im Streitfall gelten, da die Bilanzierung des Erstattungsanspruchs zum Ende des Wirtschaftsjahres 2004/2005 gemäß dem geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2005 vom 12. November 2013 eine erneute erfolgswirksame Aktivierung dieses Anspruchs im Streitjahr (2006) ausschließen und --wie vom FA vertreten-- einen Zinsanspruch (betreffend das Wirtschaftsjahr 2005/2006) auslösen würde.
b) Die Sache ist demnach an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit diese nach vorheriger Anhörung der Beteiligten (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 16; Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rz 8) über die Verfahrensaussetzung entscheidet.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.