Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 10.01.2012


BFH 10.01.2012 - I R 36/11

Keine Arbeitsort-Fiktion für Arbeitnehmer an Bord von Binnenschiffen schweizerischer Unternehmen


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
10.01.2012
Aktenzeichen:
I R 36/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 6. April 2011, Az: 1 K 5515/08, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 15 Abs 3 S 1 DBA CHE
Art 24 Abs 1 Nr 1 S 1 Buchst d DBA CHE
Art 15 Abs 3 S 2 DBA CHE
Art 15 Abs 4 DBA CHE

Leitsätze

NV: Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des DBA-Schweiz 1971/1992 enthält für Arbeitnehmer an Bord von Binnenschiffen schweizerischer Unternehmen keine Fiktion, dass ihre Arbeit ungeachtet des tatsächlichen Aufenthaltsorts des Schiffes stets als im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 "in der Schweiz ausgeübt" gilt .

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob Art. 15 Abs. 3 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) --DBA-Schweiz 1971/1992-- für Arbeitnehmer an Bord von Binnenschiffen schweizerischer Unternehmen eine Fiktion enthält, wonach ihre Arbeit ungeachtet des tatsächlichen Aufenthaltsorts des Schiffes stets als i.S. von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 "in der Schweiz ausgeübt" gilt.

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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für die Streitjahre (2005 und 2006) mit seiner später verstorbenen Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Seinerzeit hatten beide Ehegatten ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Der Kläger war als … auf dem Motorschiff "MS …" (einem sog. Trockengüterschiff) nichtselbständig tätig. Das Schiff stand im Eigentum der Reederei X AG (einer Kapitalgesellschaft nach schweizerischem Recht mit Sitz der Geschäftsleitung in Y/Schweiz) und führte die schweizerische Flagge. Es fuhr im Containerverkehr zwischen dem Binnenhafen A und den Seehäfen an der belgischen und niederländischen Nordseeküste.

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In den Streitjahren befuhr der Kläger ausschließlich den Neckar zwischen A und B und ab B den Rhein flussabwärts bis zu den Häfen C (Belgien) und D (Niederlande) und wieder zurück. Dabei befand er sich an 243 Tagen (2005) bzw. 236 Tagen (2006) an Bord des Schiffes. Für seine Tätigkeit bezog er einen Bruttolohn von … Schweizer Franken --CHF-- (2005) bzw. … CHF (2006). Die Arbeitgeberin nahm einen Quellensteuerabzug nach schweizerischem Recht von … CHF (2005) bzw. … CHF (2006) vor; die Quellensteuer führte sie an die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) ab.

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In den Einkommensteuererklärungen behandelte der Kläger die Vergütungen als Arbeitslohn, der nach dem DBA-Schweiz 1971/ 1992 von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sei. Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass die Vergütung nur insoweit der Freistellungsmethode unterliege, als die Arbeit tatsächlich in der Schweiz ausgeübt worden sei, während für Arbeitstage, an denen die Tätigkeit in Deutschland oder in Drittstaaten erbracht worden sei, eine Doppelbesteuerung nur durch Anrechnung der schweizerischen Abzugsteuer vermieden werden könne. Das FA setzte auf dieser Grundlage die aus der Schweiz bezogenen Einnahmen für die Streitjahre mit … € (2005) und … € (2006) als steuerpflichtige Einnahmen an; den Steuerabzug (… € [2005] bzw. … € [2006]) berücksichtigte es im Wege der Steueranrechnung. Die Klage blieb erfolglos (Finanzgericht --FG-- Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2011  1 K 5515/08, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1624). Dabei hat das FG "im Hinblick auf § 51a Abs. 5 Satz 1 EStG, § 1 Abs. 5 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 ... und § 14 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz ...) vom 15. Juni 1978 ... davon ab(gesehen), die Klage insoweit zu bescheiden, als sie wegen des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer der Streitjahre erhoben worden ist".

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Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2005 und 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern und die Einkommensteuer (sowie die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag) jeweils auf null € herabzusetzen.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger eine Herabsetzung der Festsetzungen zum Solidaritätszuschlag und zur Kirchensteuer beantragt, da das FG insoweit ausdrücklich keine (ihn belastende) Entscheidung getroffen hat. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und damit insgesamt zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die vom Kläger erzielten Einkünfte zu Recht der inländischen Besteuerung --unter Anrechnung der Schweizer Quellensteuer (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/1992)-- unterworfen.

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1. Der Kläger war --ebenso seine Ehefrau-- in den Streitjahren gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes unbeschränkt steuerpflichtig; nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hatten beide einen Wohnsitz im Inland. Die Eheleute unterlagen daher mit allen in den Streitjahren erzielten Einkünften der Einkommensteuer. Ferner ist das FG ersichtlich davon ausgegangen, dass der Kläger aus abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig war (Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/1992); diese Einschätzung wird von den Verfahrensbeteiligten geteilt.

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2. Die Ausübung des hiernach bestehenden Besteuerungsrechts ist, soweit es um die streitgegenständlichen Einkünfte des Klägers geht, nicht durch Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 ausgeschlossen.

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a) Gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person die aus der Schweiz stammenden Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992 --mit Ausnahme der im Streitfall nicht in Betracht kommenden Einkünfte i.S. des Art. 17 DBA-Schweiz 1971/1992-- von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ausgenommen, wenn sie nach den dem Art. 24 voranstehenden Artikeln des Doppelbesteuerungsabkommens in der Schweiz besteuert werden können und die unselbständige Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird.

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aa) Ob die Einkünfte in der Schweiz besteuert werden können, regelt Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992. Nach seinem Abs. 1 Satz 1 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Bezieher der Vergütungen ansässig ist (Ansässigkeitsstaat). Gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 dürfen, wenn eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte aus einer im anderen Vertragsstaat ausgeübten unselbständigen Arbeit bezieht, diese Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen auch in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Ergänzend bestimmt Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992, dass ungeachtet der Abs. 1 und 2 der Norm u.a. Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Binnenschiffes ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des (Schifffahrts-)Unternehmens befindet (Unternehmensstaat); werden die Vergütungen im Unternehmensstaat nicht besteuert, können sie im Ansässigkeitsstaat besteuert werden (Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992).

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bb) Im Streitfall ergibt sich ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht der Schweiz aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindend sind, erfüllten die dem Kläger gezahlten Vergütungen die danach bestehenden Voraussetzungen; die Schweiz war der Unternehmens- und Deutschland der Ansässigkeitsstaat.

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cc) Entgegen der Auffassung des Klägers steht der Schweiz abkommensrechtlich kein ausschließliches Besteuerungsrecht zu.

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aaa) Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 "können" die Vergütungen im Unternehmensstaat besteuert werden. Eine Einschränkung, dass sie "nur" in diesem Staat besteuert werden dürfen, lässt sich dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 nicht entnehmen. Er spricht allein das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats an. Er ist auch nur hinsichtlich derjenigen Regelungen in Abs. 1 und 2 lex specialis, die das Besteuerungsrecht des Vertragsstaats regeln, der der Unternehmensstaat ist. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wird von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 nicht berührt. An diesem Grundsatz (s. Senatsurteil vom 22. Oktober 2003 I R 53/02, BFHE 204, 102, BStBl II 2004, 704) ist festzuhalten.

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bbb) Ebenfalls ist daran festzuhalten, dass sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 kein ausschließliches Besteuerungsrecht der Schweiz ergibt. Die Regelung lässt nicht den Umkehrschluss zu, dass die Vergütungen nur dann im Ansässigkeitsstaat besteuert werden dürfen, wenn sie im Unternehmensstaat nicht besteuert werden. Da Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 das Entstehen sog. weißer Einkünfte verhindern soll, bestünde ohne diese Regelung eine Besteuerungslücke, falls der Vertragsstaat, der Unternehmensstaat ist, von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch macht und der Ansässigkeitsstaat die Einkünfte ganz oder teilweise nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 freistellen müsste. Gewollte Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 ist somit eine Ausweitung des Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaats. Dies und die Tatsache, dass Art. 15 Abs. 3 Satz 2 an Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 anknüpft und dieser das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats nicht berührt, sprechen dafür, auch aus Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 keine Einschränkung des Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaats abzuleiten.

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b) Der erkennende Senat hat auch entschieden, dass in Fällen des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 die unselbständige Arbeit nicht stets als im Unternehmensstaat ausgeübt gilt, so dass die für diese Arbeit gezahlten Vergütungen im Ansässigkeitsstaat Deutschland nicht stets gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 in vollem Umfang von der Besteuerung freizustellen sind. Daran ist festzuhalten.

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aa) Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 enthält keine derartige Fiktion (Senatsurteil in BFHE 204, 102, BStBl II 2004, 704; Oberfinanzdirektion --OFD-- Karlsruhe, Verfügung aus Juli 2004, Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, Art. 15 Rz B 15.3 Nr. 15; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 15 Rz 102; Vogelgesang in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Art. 15 OECD-MA Rz 261; Neyer, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2005, 514, 516; a.A. EStV vom 24. April 2003, Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, a.a.O., Art. 15 Rz B 15.3 Nr. 12 [s. nun aber auch EStV vom 26. Oktober 2007, ebenda, Nr. 17]; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rz 94, 98; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15 Rz 41, 181; Brandis, ebenda, Art. 15 Schweiz Rz 85; Grotherr in Gosch/ Kroppen/Grotherr, a.a.O., Art. 24 DBA-Schweiz Rz 26; Miessl, IStR 2005, 477, 479 f.; Kolb in Gocke/Gosch/Lang [Hrsg.], Festschrift Wassermeyer, 2005, S. 757, 767 f.). Die Regelung unterscheidet zwischen dem Arbeitsort "an Bord" eines Schiffes oder Luftfahrzeuges, der sich in der Regel geographisch ständig ändert und oft auch außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsstaaten liegt, und dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens. Das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats knüpft gerade nicht an den geographischen Arbeitsort, sondern unabhängig vom Ort der Ausübung der Arbeit an den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens an. Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 ist zwar ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats, das dem Besteuerungsrecht des Vertragsstaats entspricht, in dem die gesamte Arbeit ausgeübt wird; diese Identität der Rechtsfolgen ändert aber nichts daran, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Besteuerungsrechte sich unterscheiden und der Unternehmensstaat nur insoweit Tätigkeitsstaat i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 ist, als die Arbeit in dessen Hoheitsgebiet ausgeübt wird.

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bb) In den Senatsurteilen vom 25. Oktober 2006 I R 81/04 (BFHE 215, 237, BStBl II 2010, 778) und vom 11. November 2009 I R 83/08 (BFHE 227, 402, BStBl II 2010, 781) hat der Senat darauf hingewiesen, dass in der Frage der sog. Arbeitsortfiktion zwischen Art. 15 Abs. 3 und Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 zu unterscheiden ist: Die im Urteil in BFHE 204, 102, BStBl II 2004, 704 getroffene Entscheidung ist für Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nicht maßgebend. Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971/1992 kann mit Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 im Hinblick auf dessen Entstehungsgeschichte und die mit dieser Regelung verbundene Praxis der Vertragsdurchführung nicht verglichen werden. Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971/1992 knüpft für die Zuordnung des Besteuerungsrechts ausschließlich an den Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens an; ein Bezug zu der tatsächlichen Verrichtung der Tätigkeit fehlt und die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist in seinem Anwendungsbereich in aller Regel auch nicht geschäftsleitender Natur. Der Regelungszusammenhang der Vorschrift enthält daher --im Gegensatz zu Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992-- keine Anhaltspunkte dafür, dass der räumliche Anknüpfungspunkt der Besteuerungszuständigkeit zugleich als Tätigkeitsort i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 anzusehen ist.

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cc) Daran ist festzuhalten.

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aaa) Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 lässt sich die nahtlose Fortführung einer bereits unter dem DBA-Schweiz 1931/1959 geltenden Fiktion des Tätigkeitsorts im Unternehmensstaat nicht entnehmen: Denn der Wortlaut sieht --abweichend von der 1957 vereinbarten und 1959 ratifizierten Vorgängerregelung des Schlussprotokolls zu Art. 4 (dort Abs. 2 Satz 1) DBA-Schweiz 1931-- gerade keine Formulierung vor, nach der die "Personen, die ständig oder vorwiegend an Bord von Schiffen oder Flugzeugen eines Unternehmens der Schiff- und Luftfahrt Dienst leisten ..., ... als in demjenigen der beiden Staaten erwerbstätig (gelten), in dem sich der Ort der Leitung des Unternehmens befindet". Vielmehr unterscheidet der Wortlaut zwischen dem Arbeitsort "an Bord" eines Schiffes oder Luftfahrzeuges (der sich in der Regel räumlich ständig ändert und oft auch außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsstaaten liegt) und dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Schifffahrtsunternehmens (vgl. Senatsurteil in BFHE 204, 102, BStBl II 2004, 704, unter II.4.). Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992, demzufolge die Anwendung der Freistellungsmethode voraussetzt, dass "die Arbeit (...) in der Schweiz ausgeübt" wird, kommt auf dieser Grundlage die Bedeutung zu, die Freistellungsmethode auf die Situation zu beschränken, dass sich der in Deutschland ansässige Arbeitnehmer zugleich "an Bord eines Schiffes ..." und "in der Schweiz" befindet.

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bbb) Dem Umstand, dass die Steuerverwaltungen der beiden Abkommensstaaten offenbar bis in das Jahr 1995 hinein übereinstimmend in der Praxis der Vertragsdurchführung für die in Rede stehenden Tätigkeitsvergütungen in Deutschland ansässiger Binnenschiffer für Arbeit an Bord schweizerischer Binnenschiffe von einem alleinigen Besteuerungsrecht der Schweiz ausgegangen sind (s. aus deutscher Sicht z.B. OFD Karlsruhe, Verfügung vom 3. Juli 2000, Recht der Internationalen Wirtschaft 2000, 808 ["geänderte Verwaltungsauffassung" anzuwenden frühestens ab Veranlagungszeitraum 1996]; aus schweizerischer Sicht EStV vom 19. Dezember 1975 und vom 11. November 1977, Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, a.a.O., Art. 15 Rz B 15.3 Nr. 2, 3; s.a. Kolb in Festschrift Wassermeyer, a.a.O., S. 757, 768), kommt für die Auslegung der Norm keine entscheidende Bedeutung zu. Denn die dieser Praxis zugrunde liegende Rechtsauffassung hat keinen ausreichenden Rückhalt im Abkommenswortlaut (Senatsurteil in BFHE 204, 102, BStBl II 2004, 704). Eine übereinstimmende spätere Übung bei der Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages ist aber nur dann gemäß Art. 31 Abs. 3 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl II 1985, 926) bei der Vertragsauslegung als gewichtiges Indiz zu berücksichtigen, wenn sie im Abkommenswortlaut einen ausreichenden Anhalt findet. Darüber hinaus wird man dem Umstand der Änderung des Wortlauts gegenüber der Vorgängerregelung in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 des Schlussprotokolls zu Art. 4 DBA-Schweiz 1931/1959 entnehmen können, dass sich die deutsche Seite hinsichtlich der dort behandelten Einkünfte der (Binnen-)Schiffer bereits 1971 von der bisherigen Rechtslage lösen wollte.

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ccc) Der vom Kläger angeführte Vereinfachungsnutzen kann eine abweichende Lösung nicht rechtfertigen. Auch wenn sich auf der Grundlage einer auf den Unternehmenssitz abstellenden Arbeitsortfiktion erübrigen würde, den jeweiligen Standort des Schiffes bzw. Luftfahrzeuges zu ermitteln und zu dokumentieren (s. insoweit auch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., MA Art. 15 Rz 181; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., Art. 15 Rz 87, 98; Schmidt in Haase, AStG/DBA, MA Art. 15 Rz 168), ist eine solche Aufgabe jedenfalls nicht außerhalb der tatsächlichen Möglichkeiten eines Betroffenen (a.A. wohl Kempermann, ebenda). Ein solcher Nutzen, wenn er Zielpunkt der Vertragsstaaten gewesen sein sollte, wäre deutlicher im Wortlaut des Abkommens anzuführen gewesen. Das ist nicht geschehen.

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3. Dass der Kläger seine Tätigkeit in den Streitjahren jedenfalls in dem dem Ansatz anteiliger Einnahmen entsprechenden Umfang ausschließlich in Deutschland bzw. in Drittstaaten ausgeübt hat, ist Gegenstand der tatrichterlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) und unter den Beteiligten nicht in Streit.