Entscheidungsdatum: 29.01.2015
NV: Wird mit der Nichtigkeitsklage gegen ein BFH-Urteil der Entzug des gesetzlichen Richters gerügt, weil ein Senat entschieden habe, ohne zuvor den Großen Senat des BFH angerufen zu haben, oder weil er die Sache an das FG zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte zurückverweisen müssen, muss ein willkürliches Verhalten des Gerichts substantiiert dargelegt werden (Festhaltung am Senatsurteil vom 12. Januar 1011 I K 1/10).
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
I. Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens unter Aufhebung des Senatsurteils vom 21. Mai 2014 I R 85/12 (BFH/NV 2014, 1588). In diesem Verfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob die Voraussetzungen für eine Hinzurechnung von sog. Dauerschuldentgelten gemäß § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 1999/2002) in den Jahren 1999 bis 2003 (Streitjahre) erfüllt sind.
Die Klägerin, eine GmbH, erwarb im Jahr 1999 Wirtschaftsgüter von der A-KG, um einen Geschäftsbetrieb zu eröffnen. Als Gegenleistung vereinbarten die Parteien einen Barkaufpreis, eine Übernahme von Passiva der A-KG und eine Verpflichtung der Klägerin, die A-KG hinsichtlich der von ihr zu leistenden Aufwendungen aus (dort verbleibenden) Pensionsverpflichtungen gegenüber Pensionären und ausgeschiedenen Mitarbeitern "schadlos zu halten" (Freistellung im Innenverhältnis zwischen der A-KG und der Klägerin). Die A-KG bilanzierte die mit der Freistellungsverpflichtung verbundenen Pensionsrückstellungen nach Maßgabe des § 6a des Einkommensteuergesetzes 1997/2002. In den Bilanzen der Klägerin erfolgte der Ausweis der Freistellungsverpflichtung als sonstige Rückstellung für der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten mit einem Wert entsprechend dem bei der A-KG angesetzten Wert der Pensionsrückstellung. Die monatlichen "Ausgleichszahlungen" leistete die Klägerin an die A-KG jeweils nach Erhalt der entsprechenden Zahlungsbenachrichtigungen.
Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) sah die Zahlungen der Klägerin an die A-KG (in den Streitjahren 2000 bis 2003 abzüglich der jeweiligen stichtagsbezogenen Rückstellungsminderung) als Entgelt i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 an und rechnete zur Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags 50 % dem Gewerbeertrag hinzu. Die Klage gegen die geänderten Festsetzungen der Gewerbesteuermessbeträge hatte Erfolg (Finanzgericht --FG-- Düsseldorf, Urteil vom 15. November 2012 11 K 3626/10 G, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 467). Auf die Revision des FA hat der erkennende Senat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin beantragt, das Senatsurteil vom 21. Mai 2014 I R 85/12 aufzuheben und die Sache nach § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Entscheidung vorzulegen, hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
II. Die Klage (§ 134 FGO i.V.m. §§ 578 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO--) ist als unzulässig zu verwerfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
1. Die als Nichtigkeitsklage bezeichnete Wiederaufnahmeklage (§ 587 ZPO) wurde zwar zutreffend unmittelbar beim BFH (§ 584 Abs. 1 ZPO) und fristgerecht (§ 586 Abs. 1 ZPO) erhoben. Jedoch setzt eine zulässige Wiederaufnahmeklage nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass ein Wiederaufnahmegrund zumindest schlüssig behauptet wird. Auch wenn die Bezeichnung des Nichtigkeitsgrundes nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt der Klageschrift gehört (§ 588 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), folgt daraus nur, dass die Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergeben soll, nicht schon innerhalb der Klagefrist vorgetragen werden müssen; sie können in einem späteren Schriftsatz bis zur mündlichen Verhandlung nachgereicht werden. Dennoch gehört die schlüssige Behauptung eines nach §§ 579, 580 ZPO erheblichen Wiederaufnahmegrundes zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage. Schlüssig ist der Vortrag grundsätzlich nur dann, wenn die vorgebrachten Tatsachen --ihre Richtigkeit unterstellt-- den behaupteten Wiederaufnahmegrund ergeben (Senatsurteil vom 12. Januar 2011 I K 1/10, BFH/NV 2011, 1159, m.w.N.).
2. Wird mit der Wiederaufnahmeklage in Form der Nichtigkeitsklage der Entzug des gesetzlichen Richters gerügt, weil ein Senat des BFH entschieden habe, ohne zuvor den Großen Senat des BFH angerufen zu haben, ist ein Wiederaufnahmegrund nach ständiger BFH-Rechtsprechung nur dann schlüssig vorgetragen, wenn nicht nur die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 oder Abs. 3 FGO, sondern auch ein willkürliches Verhalten des Gerichts substantiiert dargelegt werden (Senatsurteil in BFH/NV 2011, 1159; vgl. auch BFH-Beschluss vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252; BFH-Urteil vom 5. November 1993 VI K 2/92, BFH/NV 1994, 395). Die Klägerin vertritt demgegenüber die Auffassung, dass es zureiche, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 oder 3 FGO (als Grundlage einer das Revisionsgericht verpflichtenden Vorlage an den Großen Senat) darzulegen. Dieser Rechtsansicht ist nicht beizupflichten.
Nach der Rechtsprechung des Senats reicht der Hinweis auf einen (vermeintlichen) Verfahrensfehler bei der Besetzung für die Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes nicht aus (Senatsurteil in BFH/NV 2011, 1159, m.w.N.). Daran ist festzuhalten. Zwar rügt die Klägerin im Streitfall nicht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), bei dessen Prüfung das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nur einen im besonderen Maße "qualifizierten" (die Zuständigkeit des Gerichts berührenden) Verfahrensfehler korrigiert, d.h. die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur beanstandet, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (z.B. BVerfG-Beschluss vom 16. Februar 2005 2 BvR 581/03, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 2689). Für die Anwendung der dem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dienenden Regelung des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 73. Aufl., § 579 Rz 3) kann aber --und dies ist Ausgangspunkt der Senatsrechtsprechung-- nichts anderes gelten.
Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg den (Vorlage-)Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) an die Vereinigten Großen Senate des BGH vom 30. März 1993 X ZR 51/92 (NJW 1993, 1596) entgegenhalten. Zwar heißt es dort (zu IV.3. der Gründe/Rz 33 des juris-Nachweises), dass eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts "durch die Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO mit Erfolg gerügt werden kann, ohne dass es darauf ankäme, ob die Regeln des § 21g Abs. 2 GVG bei der Aufstellung des Mitwirkungsplanes willkürlich oder sonst missbräuchlich nicht beachtet worden sind oder der Besetzungsmangel gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt". Allerdings hat derselbe Senat unter Hinweis auf den daraufhin ergangenen Beschluss der Vereinigten Großen Senate des BGH vom 5. Mai 1994 VGS 1-4/93 (BGHZ 126, 63, NJW 1994, 1735) in seinem Urteil vom 22. November 1994 X ZR 51/92 (NJW 1995, 332) unter Hinweis auf die schwerwiegenden Folgen eines Besetzungsmangels seine früher geäußerte Auffassung "überdacht und revidiert" (zu II.5. der Gründe/Rz 36 des juris-Nachweises): Ein Verfahrensverstoß müsse, um beachtlich zu sein, auf einer klar zutage tretenden Gesetzesverletzung beruhen, er müsse schwer oder "qualifiziert" sein, "also auf einer nicht mehr hinnehmbaren Rechtsansicht und damit letztlich auf objektiver Willkür" beruhen (Rz 37 des juris-Nachweises). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss ein "qualifizierter Mangel" vorliegen (z.B. Beschluss vom 9. Juni 2011 2 ABR 35/10, NJW 2011, 3053). Dem wird in der Literatur überwiegend zugestimmt (z.B. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 579 ZPO Rz 2 [s.a. dort Heßler, § 547 ZPO Rz 2 und dort Lückemann, § 16 GVG Rz 2, m.w.N.]; Hartmann, a.a.O., § 579 Rz 3).
3. Den vorstehenden Maßgaben werden die Darlegungen der Klägerin nicht gerecht. Sie hat schon nicht substantiiert dargelegt, dass der Senat dazu verpflichtet gewesen wäre, den Großen Senat des BFH auf der Grundlage des § 11 Abs. 2 (i.V.m. Abs. 3) FGO anzurufen.
a) Die angefochtene Entscheidung hat die im Zuge der Übertragung der Wirtschaftsgüter eingegangene Freistellungsverpflichtung als eine das Betriebskapital der Klägerin dauerhaft verstärkende Verbindlichkeit gegenüber der A-KG gewertet. Zwar handele es sich in formaler Hinsicht nicht um eine Kapitalüberlassung durch die A-KG. Der Wert der Freistellungsverpflichtung sei aber --als Teil der Vereinbarung zur Tilgung des Kaufpreises-- als Anschaffungskosten in die Bewertung der erworbenen Wirtschaftsgüter eingeflossen. Das Eingehen einer Freistellungsverpflichtung sei für den Erwerber im Vergleich zu einem fremdfinanzierten Erwerb oder einer befreienden Schuldübernahme nur ein alternatives Finanzierungsinstrument der Anschaffung. Solange Zahlungen auf die Freistellungsverpflichtung zu leisten seien, werde wirtschaftlich die Anschaffung der Wirtschaftsgüter entgolten. Dies stehe einer ratenweisen Tilgung einer noch offenen Kaufpreisverbindlichkeit durch den Käufer gleich, was im Streitfall zur Qualifizierung als sog. Dauerschuld i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 führe.
b) Die Klägerin macht geltend, der Senat sei damit von entscheidungstragenden Rechtssätzen in den BFH-Urteilen vom 18. Januar 1979 IV R 194/74 (BFHE 126, 560, BStBl II 1979, 266) und vom 25. November 1992 X R 21/91 (BFH/NV 1993, 489) abgewichen. Beide Entscheidungen sind allerdings zum Hinzurechnungstatbestand des § 8 Nr. 2 GewStG 1999/2002 ergangen, der sich auf Renten und dauernde Lasten bezieht, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebs (Teilbetriebs) oder Anteils am Betrieb zusammenhängen. In beiden Entscheidungen war auch jeweils entscheidungstragend, dass die dortigen wiederkehrenden Zahlungen bzw. Pensionszahlungen als "nicht im Rechtssinne wirtschaftlich mit der Gründung des Betriebes" zusammenhängend gewertet wurden (s. II.2.b der Gründe des BFH-Urteils in BFHE 126, 560, BStBl II 1979, 266; II.3. der Gründe des BFH-Urteils in BFH/NV 1993, 489). Eine Aussage zu den im Senatsurteil in BFH/NV 2014, 1588 erheblichen Rechtsfragen zur Qualifizierung einer im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wirtschaftsgütern eingegangenen Verpflichtung als sog. Dauerschuld i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 ist den von der Klägerin angeführten Entscheidungen nicht zu entnehmen. Insbesondere war auch eine tatbestandliche Abgrenzung zu "Renten und dauernde Lasten" nicht Gegenstand des Senatsurteils in BFH/NV 2014, 1588.
4. Auch mit ihrem Hilfsantrag, der zum Gegenstand hat, eine Sachentscheidung im Revisionsverfahren bei entscheidungsrelevantem Bedürfnis nach (weiterer) Sachaufklärung als Verstoß gegen § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu werten, kann die Klägerin nicht durchdringen. Es fehlt auch hier an der substantiierten Darlegung eines qualifizierten Verfahrensfehlers. Denn ein Zurückverweisungsgrund lässt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht ableiten.
a) Die Klägerin hat vorgetragen, der Senat sei vom Erwerb von Einzelwirtschaftsgütern ausgegangen, obgleich zwischen den Beteiligten darüber gestritten worden sei, ob ein (Teil-)Betrieb erworben wurde. Das FG habe dazu keine Untersuchungen angestellt, da nach seiner Argumentation die Frage unerheblich gewesen sei. Allerdings sei die (Teil-)Betriebseigenschaft für das Senatsurteil entscheidungsrelevant, was eine Zurückverweisung erforderlich gemacht hätte. Denn bei dem Erwerb eines Teilbetriebs falle die Übernahme von Pensionsverpflichtungen weder unter § 8 Nr. 1 noch unter Nr. 2 GewStG 1999/2002, da ein Passivum zur erworbenen Sachgesamtheit gehöre. Auch wenn es hier um eine neu entstandene Freistellungsverpflichtung gehe (die Pensionsverpflichtung verblieb bei der Verkäuferin), sei jene "wirtschaftlich" (und darauf komme es bei § 8 Nr. 2 GewStG 1999/2002 an) die Pensionsverpflichtung. Wenn daher ein (Teil-)Betrieb erworben worden sei, hätte der Senat einen wirtschaftlichen Zusammenhang (des § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002) verneinen müssen. Angesichts des Streits über dieses Merkmal hätte die Sache zurückverwiesen werden müssen. Damit habe der Senat seine Kompetenz als Revisionsgericht überschritten, da er den Sachverhalt festgestellt habe.
b) Ein Zurückverweisungsgrund (Aufklärung der sachlichen Grundlage des Rechtsbegriffs eines [Teil-]Betriebs) ist damit nicht dargelegt.
Streitig war die Hinzurechnung eines Zinsanteils (Entgelts) aus den auf die Freistellungsverpflichtung gezahlten Beträgen im Zusammenhang mit der Gründung/Errichtung des Betriebs der Klägerin durch den Erwerb der Wirtschaftsgüter. Der Senat hat sich (wie auch das FG) nur auf § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 bezogen, indem er die Freistellungsverpflichtung im Sinne einer Kaufpreisrate eines Anschaffungsgeschäfts qualifiziert hat. Dabei musste er sich in diesem Zusammenhang nicht darauf festlegen, ob ein (Teil-)Betrieb erworben wurde, da er auf einen Zusammenhang mit dem Erwerb von (betriebsnotwendigen) Wirtschaftsgütern (als Grundlage des Geschäftsbetriebs der Klägerin, jener als Besteuerungsgegenstand der Gewerbesteuer) abgestellt hat. Insoweit bestand kein Sachaufklärungsbedarf oder Rechtswürdigungsbedarf zum Tatbestandsmerkmal eines erworbenen (Teil-)Betriebs: § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 zielt auf die Fremdfinanzierung der sachlichen Grundlage der gewerblichen Betätigung des Gewerbetreibenden (des Betriebs), und eine "Gründung ... des Betriebs" liegt bei der Klägerin unstreitig vor, ohne dass es auf die (Teil-)Betriebseigenschaft der Summe der erworbenen Wirtschaftsgüter ankommt. Im Übrigen ist angesichts der längerfristigen Schuld (jedenfalls liegt keine "Kurzfrist-Schuld" mit Jahreslaufzeit vor) auch der Tatbestand der "2. Gruppe" des § 8 Nr. 1 GewStG 1999/2002 ("nicht nur zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals") erfüllt. Damit war die Sache entscheidungsreif.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.