Entscheidungsdatum: 11.01.2011
1. NV: Hält das FG den Inhalt eines schriftlichen Vertrages für eindeutig und widerspruchsfrei, während ein Prozessbeteiligter den Vertragsinhalt als widersprüchlich ansieht, ist das FG nicht von Amts wegen gehalten, die am Vertragsausschluss Beteiligten als Zeugen zum gewollten Vertragsinhalt zu vernehmen.
2. NV: Die Rügerechte eines Beteiligten in Bezug auf das Übergehen eines auf Zeugenvernehmung gerichteten Beweisantrags und in Bezug auf die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme können durch rügeloses Verhandeln zur Sache verloren gehen.
3. NV: Eie vGA kann darin zu sehen sein, dass die Kapitalgesellschaft es aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis liegen, unterlässt, eine Forderung gegen ihren Gesellschafter einzuklagen und ggf. zu vollstrecken.
I. Streitpunkt ist, ob das Einkommen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) im Streitjahr 1999 um verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu erhöhen ist.
Die Klägerin ist eine GmbH, die im Immobilienbereich tätig war. Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin war A. A war außerdem zu 40 % an der Grundstücksgemeinschaft AB-GbR beteiligt; die anderen 60 % hielt B. Am 10. Dezember 1997 schlossen die Klägerin und die AB-GbR einen Bauvertrag, nach dessen Wortlaut sich die Klägerin auf der Grundlage einer Baubeschreibung und eines Zahlungsplans gegen einen Festpreis von 1.695.650 DM zzgl. Mehrwertsteuer zur schlüsselfertigen Sanierung und Modernisierung eines belegenen Mehrfamilienhauses verpflichtete. Die ersten drei Abschlagszahlungen gemäß Zahlungsplan in Höhe von zusammen 700.000 DM leistete die AB-GbR am 29. Dezember 1997 an die Klägerin. Das Grundstück mit dem zu sanierenden Gebäude (Grundstück 1) erwarb die AB-GbR mit Kaufvertrag vom 30. Dezember 1997 für 200.000 DM; die Sanierung wurde von einer Subunternehmerin der Klägerin ausgeführt und im September 1999 abgeschlossen. Das benachbarte Grundstück (Grundstück 2) wurde am 29. Dezember 1997 für 350.000 DM von einer weiteren GbR erworben, an der ebenfalls A und B beteiligt waren.
Für die Bauleistungen am Grundstück 1 stellte die Klägerin der AB-GbR insgesamt 2.050.000 DM in Rechnung. Gezahlt wurden lediglich 1.857.343,50 DM. Den Rest behielt die AB-GbR laut Rechnungsvermerken wegen Mängeln ein. Schriftliche Unterlagen zu den Mängeln existieren nicht.
Im Juni 1998 bat B die Klägerin schriftlich, "uns" freundlicherweise vorübergehend 550.000 DM zur Weiterleitung an die Verkäuferin zur Verfügung zu stellen, weil "der Kaufpreis jetzt dringend bezahlt werden" müsse, "unsere Finanzierung aber noch nicht auszahlungsreif" sei. Die Klägerin überwies daraufhin am 6. Juli 1998 550.000 DM auf ein privates Konto der A. Diese leitete davon am gleichen Tag 150.000 DM für Grundstück 1 und 350.000 DM für Grundstück 2 an die Grundstücksverkäuferin weiter; eine weitere Zahlung von 50.000 DM an die Verkäuferin leistete A im Jahr 1999.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gelangte zu der Auffassung, es lägen zum einen in Bezug auf die teilweise nicht geleistete Vergütung für die Bauleistungen und zum anderen hinsichtlich der an A im Juli 1998 überwiesenen 550.000 DM vGA vor, weil die Klägerin insoweit in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1999 keine Forderungen gegen die AB-GbR --ein A nahe stehendes Unternehmen-- aktiviert habe; dies sei als stillschweigender Verzicht auf die Forderungen anzusehen. Es rechnete in ertragsteuerlichen Änderungsbescheiden dem Ertrag der Klägerin für das Streitjahr einen Betrag von insgesamt 632.106 DM als vGA hinzu und stellte die Ausschüttungsbelastung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 her.
Die u.a. deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) München hat sie mit Urteil vom 26. April 2010 7 K 1741/07 abgewiesen.
Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und begründet ihr Begehren mit Verfahrensmängeln sowie mit Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Das Verfahren betreffend den Umsatzsteuerbescheid für 1997 wird gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt und an den nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für 2011 dafür sachlich zuständigen V. Senat des BFH abgegeben.
Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen --soweit sie hinreichend dargetan worden sind-- nicht vor.
1. Die Rüge des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO) ist unbegründet.
a) Das FG war auf der Grundlage seiner --für die Beurteilung von Verfahrensmängeln maßgeblichen-- materiell-rechtlichen Auffassung nicht gehalten, B und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin --Rechtsanwalt (X)-- von Amts wegen als Zeugen zum Inhalt des am 10. Dezember 1997 abgeschlossenen Bauvertrags zu vernehmen. Denn anders als nach Dafürhalten der Klägerin ist ausweislich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nach Auffassung des FG der Vertragsinhalt nicht widersprüchlich, sondern eindeutig und klar. Dass im Zahlungsplan Abschlagszahlungen für die Positionen "Grundstück" und "Grundstück, Planung" vorgesehen waren, hat das FG nicht als Indiz für die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin gewertet, die Klägerin habe sich in dem Vertrag nicht nur zu den Bauleistungen, sondern --über den Vertragswortlaut hinaus und ohne Beachtung der hierfür nach § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs a.F. (BGB) erforderlichen Form der notariellen Beurkundung-- auch zu Erwerb und Übereignung der beiden Grundstücke an die AB-GbR verpflichtet. Aus der Sicht des FG lag mithin ein in sich folgerichtiges und widerspruchsfreies Vertragswerk vor und bestand deshalb kein Anlass, von Amts wegen in eine Beweisaufnahme einzutreten (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2010 I B 130/09, BFH/NV 2010, 2282).
b) Mit der Rüge, das FG habe ihre Beweisanträge auf Vernehmung von B und von X übergangen, kann die Klägerin nicht gehört werden, weil sie ihr Rügerecht verloren hat. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2010 zwar den von der Berichterstatterin vorgetragenen Sachverhalt ergänzt und dazu die Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 20. April 2010 mündlich dargelegt. Aus dem Sitzungsprotokoll ist indes nicht ersichtlich, dass der Klägervertreter Beweisanträge gestellt oder gerügt hätte, dass der Termin ohne Ladung und Vernehmung der in dem genannten Schriftsatz benannten Zeugen stattfinde. Die Behauptung in der Beschwerdebegründung, der Klägervertreter habe in der mündlichen Verhandlung die Beweisanträge aus dem Schriftsatz vom 20. April 2010 wiederholt, findet im Sitzungsprotokoll (zu dessen Beweiskraft: § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--), keine Stütze. Mithin ist davon auszugehen, dass die in der mündlichen Verhandlung vor dem FG rechtskundig vertretene Klägerin rügelos zur Sache verhandelt und damit durch Unterlassen ihr Rügerecht verloren hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2282, m.w.N.).
2. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht mit Erfolg auf den Verfahrensfehler der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) gestützt werden kann. Denn auch insoweit hat die Klägerin rügelos zur Sache verhandelt und dadurch ihr Rügerecht verloren.
Die Klägerin sieht den Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme darin, dass das FG die schriftliche Zeugenaussage des B gegenüber dem FA Z vom 30. November 2007 gewürdigt hat, ohne den Zeugen selbst zu vernehmen. Ob diese Beurteilung zutrifft, kann offenbleiben. Denn auch bei der Regel des § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO handelt es sich um einen Verfahrengrundsatz, auf den die Prozessbeteiligten verzichten können (Senatsbeschluss vom 27. Juli 2009 I B 219/08, BFH/NV 2010, 45, m.w.N.). Und in dem zuvor beschriebenen Verzicht auf die Vernehmung des B durch rügeloses Verhandeln liegt zugleich der Verzicht der Klägerin auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Denn nachdem B nicht als Zeuge zur mündlichen Verhandlung geladen worden und dort auch nicht erschienen war, musste der Klägervertreter damit rechnen, dass das FG den Prozessstoff --zu dem auch die vom FA mit Schriftsatz vom 1. März 2010 zur Akte gereichte schriftliche Zeugenaussage des B gehört-- würdigen würde, ohne B persönlich anzuhören.
3. Die Rüge, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um ein Überraschungsurteil (Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, § 96 Abs. 2 FGO), weil der Klägervertreter damit gerechnet habe, das FG werde ihn vor Erlass eines Urteils noch als Zeugen vernehmen, ist unbegründet. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Vorsitzende Richter des FG die mündliche Verhandlung geschlossen, nachdem die Anträge gestellt und die Beteiligten das Wort zu weiteren Ausführungen nicht mehr gewünscht hatten. Aufgrund welcher Umstände der Klägervertreter Grund zu der Annahme gehabt haben soll, das FG werde die mündliche Verhandlung wieder eröffnen und in eine Beweisaufnahme eintreten, ist nicht zu ersehen.
4. Nicht schlüssig dargelegt hat die Klägerin, dass eine Revisionszulassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, weil das FG-Urteil von der BFH-Rechtsprechung abweicht.
a) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe entgegen der BFH-Rechtsprechung die Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen einer vGA der Klägerin auferlegt, ist solches dem FG-Urteil nicht zu entnehmen. Die dafür von der Klägerin herangezogene Formulierung im FG-Urteil, die Darstellung der Klägerin könne "nicht überzeugen", bezieht sich auf die von der Klägerin behauptete Abweichung des zivilrechtlich tatsächlich Vereinbarten vom klaren Vertragswortlaut und hat nichts mit der grundsätzlichen Beweislastverteilung in Bezug auf die Voraussetzungen der vGA zu tun.
b) Nicht nachvollziehbar ist die von der Klägerin behauptete Divergenz zum BFH-Urteil vom 18. April 2002 III R 43/00 (BFHE 199, 140, BStBl II 2003, 149), weil das FG eine vGA in einem bloßen Buchungsfehler gesehen habe. Anders als in der Beschwerdebegründung dargestellt, hat das FG die Annahme der vGA nicht damit begründet, dass die Klägerin die im Dezember 1997 erhaltenen Anzahlungen des B in Höhe von 700.000 DM nicht als umsatzsteuerpflichtig verbucht und behandelt habe.
c) Unzutreffend gibt die Klägerin das FG-Urteil auch insoweit wieder, als es angeblich einen die vGA begründenden Verzicht der Klägerin darin gesehen habe, dass die Forderung gegen die AB-GbR nicht aktiviert worden sei, weshalb eine Abweichung von den Senatsurteilen vom 18. Dezember 1996 I R 26/95 (BFHE 182, 190) und vom 24. März 1998 I R 93/96 (BFHE 186, 61) vorliege. Bei der zitierten Passage aus dem FG-Urteil (Urteilsumdruck S. 7 oben) handelt es sich jedoch lediglich um die Wiedergabe des Betriebsprüfungsberichts im Urteilstatbestand und nicht um die eigene Begründung des FG. Nach Auffassung des FG ist die vGA in Form der verhinderten Vermögensmehrung nicht in der unterlassenen Aktivierung, sondern in der unterlassenen Einziehung (Realisierung) der Forderung durch die Klägerin zu sehen (Urteilsumdruck S. 12 oben, S. 13 unten). Mit dieser Begründung befasst sich die Beschwerdebegründung indes nicht. Soweit die Klägerin auf die Senatsurteile in BFHE 182, 190 und in BFHE 186, 61 verweist, denen zufolge der bloßen Nichtgeltendmachung einer Forderung gegen den Gesellschafter nicht die Erfüllungswirkung eines Verzichts (§ 397 BGB) zukommt, lässt sie unbeachtet, dass das FG nicht von einem Verzicht auf die Forderung ausgegangen ist und dass nach der Senatsrechtsprechung eine Gewinnminderung in Form der verhinderten Vermögensmehrung auch darin liegen kann, dass die Kapitalgesellschaft es aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis liegen, unterlässt, eine Forderung gegen ihren Gesellschafter einzuklagen und ggf. zu vollstrecken (vgl. Senatsurteil vom 14. September 1994 I R 6/94, BFHE 175, 412, BStBl II 1997, 89; Gosch, Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 8 Rz 780).
5. Soweit die Klägerin wiederholt die Beweiswürdigung des FG kritisiert, legt sie damit keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dar.