Entscheidungsdatum: 08.10.2012
1. NV: Hat das FG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl ein Beteiligter sein Einverständnis mit dieser Verfahrensweise nicht erklärt hatte, ist das Urteil im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ohne Kausalitätsprüfung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen .
2. NV: Der BFH ist im Hinblick auf das Vorliegen von Einverständniserklärungen der Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht an die Feststellungen im angefochtenen FG-Urteil gebunden .
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wendet sich mit ihren beiden Klagen gegen ertragsteuerliche Bescheide, in denen der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ihrem Gewinn des Streitjahrs 2003 eine verdeckte Gewinnausschüttung hinzugerechnet hat. Das Finanzgericht (FG) Nürnberg hat die Klagen mit Urteilen vom 3. April 2012 1 K 472/11 und 1 K 473/11 als unbegründet abgewiesen. Die Urteile ergingen durch den zum Berichterstatter bestellten Vorsitzenden Richter des zuständigen FG-Senats als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung. In den Urteilstatbeständen heißt es jeweils, beide Beteiligten hätten auf die mündliche Verhandlung verzichtet und seien mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden.
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Revision gegen die FG-Urteile und begründet dies u.a. damit, sie habe gegenüber dem FG nur ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt, nicht aber einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Das FA hat sich in den Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II. Die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Nichtzulassungsbeschwerden sind begründet. Die angefochtenen Urteile sind unter Verletzung des § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO und des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) ohne mündliche Verhandlungen ergangen, obwohl die Klägerin ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise (§ 90 Abs. 2 FGO) nicht erteilt hatte. Diese Verfahrensmängel führen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Eine Kausalitätsprüfung ist nach § 119 Nr. 3 FGO nicht durchzuführen.
Die Darstellung der Klägerin in den Beschwerdebegründungen trifft nach Aktenlage zu. Ihre Prozessbevollmächtigten haben auf die gerichtlichen Anfragen nach Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter und mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 14. Oktober 2011 nur ihre Zustimmung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter erteilt. Zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung haben sie dort ausgeführt, vor einer abschließenden Entscheidung hierzu noch ein Rechtsgespräch mit dem Berichterstatter führen zu wollen. Ein solches Rechtsgespräch hat laut Aktenvermerken des Senatsvorsitzenden am 12. Dezember 2011 fernmündlich stattgefunden; aus dem Akteninhalt ergibt sich indes kein Anhalt dafür, dass die Klägerin im Anschluss daran noch ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt hat.
Der beschließende Senat ist nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die --offenkundig irrtümlichen-- anderslautenden Feststellungen in den angefochtenen Urteilen gebunden. Denn die Nachprüfung von Prozesshandlungen --wie hier der Zustimmungserklärungen der Klägerin-- gehört zu den Aufgaben des Revisionsgerichts (Senatsurteil vom 27. Juli 1977 I R 207/75, BFHE 123, 286, BStBl II 1978, 11; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 48, m.w.N.).