Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 09.01.2014


BFH 09.01.2014 - I B 5/13

Anspruch auf rechtliches Gehör - Antrag auf Terminverlegung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
09.01.2014
Aktenzeichen:
I B 5/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 4. Dezember 2012, Az: 6 K 6268/12, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Zwar wird der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) grundsätzlich verletzt, wenn das FG den Antrag auf Aufhebung oder Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung ablehnt, obgleich der Kläger hierfür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 ZPO). Bei einem erst "in letzter Minute" gestellten Antrag auf Terminänderung ist der Kläger jedoch auch ohne besondere Aufforderung verpflichtet, die Gründe für seine Verhinderung so anzugeben und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob ein für die Änderung des Termins erheblicher Grund vorliegt oder nicht, selbst beurteilen kann (ständige Rechtsprechung).

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hat mit Schriftsatz vom 3. August 2012 Klage gegen die Schätzungsbescheide zur Festsetzung der Körperschaftsteuer 2010 und des Gewerbesteuermessbetrags 2010 sowie die entsprechenden Verspätungszuschläge erhoben. Die Klage richtete sich zudem gegen den wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung 2010 festgesetzten Verspätungszuschlag. Da der Klageschrift weder die Steuerbescheide noch die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) beigefügt waren, wurde der Klägerin mit Schriftsatz vom 7. August 2012 eine Ausschlussfrist nach § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Angabe der Tatsachen bis 14. September 2012 gesetzt, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühle. Nachdem die Klägerin hierauf nicht reagiert hatte, wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung auf den 4. Dezember 2012 geladen. Am 3. Dezember 2012 ging dem Finanzgericht (FG) per FAX ein Schreiben zu, mit dem die Klägerin sich zum einen gegen die Ausschlussfrist gewendet und hierbei darauf hingewiesen hat, dass ihre Geschäftsführerin (M) von Mai 2012 bis 17. August 2012 arbeitsunfähig gewesen sei; zum anderen hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Schätzung des Gewinns, der Umsätze und der Vorsteuern ebenso wie die Festsetzung der Verspätungszuschläge willkürlich sei. Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin gleichfalls per FAX, das dem FG am 4. Dezember 2012 um 9:50 Uhr zuging, die Aufhebung des Termins beantragt und hierzu vorgetragen, dass M "den heutigen Termin wegen eines technischen Defekts (Ausfall der Elektronik) nicht wahrnehmen könne". Ein Beleg werde nachgereicht. "Zudem habe (M) wegen dieses unerwarteten Ärgers einen schweren Anfall ihrer chronischen Migräne."

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Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht habe wahrnehmen können. Auch habe sie die wirksam gesetzte Ausschlussfrist ungenutzt verstreichen lassen. Der Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 werde --so die Vorinstanz-- als verspätet zurückgewiesen, weil ohne weitere Sachaufklärung nicht geprüft werden könne, ob das FA den ihm zustehenden Schätzungsrahmen (§ 162 der Abgabenordnung --AO--) überschritten habe. Auch habe die Klägerin die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Ein verwendbarer Nachweis für die behauptete Arbeitsunfähigkeit (bis 17. August 2012) von M sei nicht erbracht worden. Darüber hinaus habe sie auch in den bis zum Fristablauf (14. September 2012) verbliebenen vier Wochen nicht reagiert. Die Revision ist vom FG nicht zugelassen worden (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Dezember 2012  6 K 6268/12).

Entscheidungsgründe

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II. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist zu verwerfen, weil sie nicht den Anforderungen an die Darlegung der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe für die Zulassung der Revision genügt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

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1. Der Vortrag, die Revision sei wegen eines greifbaren Gesetzesverstoßes (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, weil § 79b FGO nur die Aufforderung zur Angabe von Tatsachen gestatte, die Klägerin sich aber --wie ihrem Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 zu entnehmen-- dagegen wehre, dass die Schätzungen des FA nicht nachvollziehbar seien, und sie deshalb nur eine fehlerhafte Gesetzesauslegung geltend mache, ist unschlüssig. Er ist deshalb auch nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darzulegen.

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a) Zwar ist der Klägerin im Ausgangspunkt darin zu folgen, dass nach § 79b FGO dem Beteiligten keine Rechtsausführungen abverlangt werden können (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79b FGO Rz 43). Die Klägerin hat jedoch außer Acht gelassen, dass zu den Tatsachen i.S. von § 79b FGO der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt (Thürmer in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 79b FGO Rz 41) gehört und damit den von der Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 3. Dezember 2012 gerügten Umstand erfasst, dass nach ihrer Auffassung die Schätzungsbescheide ohne nachvollziehbare Angabe der Schätzungsgrundlagen ergangen sind. Hinzu kommt, dass der Senat nicht nachvollziehen kann, weshalb die Ausführungen der Klagebegründung vom 3. Dezember 2012 geeignet sein sollten, die Rechtswidrigkeit der im Anschluss an die nicht begründete Klageschrift vom 3. August 2012 gesetzten Ausschlussfrist zu begründen.

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b) Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Ausführungen der Beschwerde dahin versteht, dass das FG angesichts der Erläuterungen der Klagebegründung nicht mehr nach § 79b Abs. 3 FGO habe verfahren und damit das Vorbringen der Klägerin nicht mehr habe zurückweisen dürfen. Der Vortrag ist auch insoweit unschlüssig, da die Klägerin es versäumt hat, sich substantiiert mit den Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils auseinanderzusetzen, nach denen die Klägerin keine Unterlagen vorgelegt habe und deshalb nicht ohne weitere Sachaufklärung hätte geprüft werden können, ob das FA sein Schätzermessen fehlerhaft ausgeübt und den Schätzrahmen des § 162 AO überschritten habe.

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2. Unsubstantiiert ist ferner die Rüge, das FG habe das Verfahrensrecht willkürlich gehandhabt, weil es --ohne vorherige eigene Aufklärungsbemühungen-- die Präklusionsfrist des § 79b FGO gesetzt habe. Auch insoweit hat es die Klägerin versäumt, sich mit den tragenden Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils auseinanderzusetzen, nach denen die Ausschlussfrist insbesondere dann nach Eingang der Klage aufgegeben werden kann, wenn mit der Klageerhebung weder die angefochtenen Bescheide noch die Einspruchsentscheidung eingereicht werden. Zudem fehlt jede Auseinandersetzung mit der Ansicht des Schrifttums, derzufolge die Fristsetzung nach § 79b FGO nicht erfordert, dass das Gericht zuvor die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst erarbeitet, und demgemäß das FG befugt ist, alsbald nach Klageerhebung gemäß § 79b FGO zu verfahren (Stalbold in Beermann/Gosch, § 79b FGO Rz 43, m.w.N.).

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3. Unschlüssig ist des Weiteren der Vortrag, das FG habe dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, dass es dem Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt habe. Letzteres ist zwar grundsätzlich dann zu bejahen, wenn erhebliche Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung des Termins geltend gemacht worden sind (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Der Beschwerdeschrift kann dies jedoch nicht entnommen werden.

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Dabei hat der Senat nicht darauf einzugehen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Ablehnung einer Terminänderung selbst bei Vorliegen erheblicher Gründe ermessensgerecht sein kann (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Mai 2007 V B 153/05, juris, betreffend offensichtliche Prozessverschleppungsabsicht sowie die Verletzung von Mitwirkungspflichten bereits im Veranlagungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren). Hierauf ist deshalb nicht einzugehen, weil jedenfalls bei einem "in letzter Minute" gestellten Antrag auf Terminänderung der Beteiligte auch ohne besondere Aufforderung verpflichtet ist, die Gründe für die Verhinderung so anzugeben und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob ein für die Änderung des Termins erheblicher Grund vorliegt oder nicht, selbst beurteilen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Mai 2000 IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353, betreffend plötzliche Erkrankung). Hieran fehlt es vorliegend erkennbar. Die Begründung des FAX vom 4. Dezember 2012, M könne den "heutigen Termin wegen eines technischen Defekts (Ausfall Elektronik) nicht wahrnehmen", ist aus sich heraus nicht verständlich. Er lässt nicht nur offen, an welchem Gegenstand der genannte technische Defekt aufgetreten ist; selbst wenn man ihn auf ein Kraftfahrzeug beziehen wollte, wird der Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht konkret genannt, sondern im folgenden Absatz nur mit den Worten "unerwartetes Ärgernis" umschrieben. Nimmt man hinzu, dass der Antrag auch nicht erläutert, welche Fahrzeuge M zur Verfügung gestanden haben, so war das Schreiben weder geeignet, einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen ("technischer Defekt" einerseits und "schwerer Anfall (einer) chronischen Migräne" andererseits) herzustellen, noch konnte ihm --mangels aussagekräftiger und substantiierter Aussagen (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 91 FGO Rz 15 f., m.w.N.)-- ein erheblicher Grund i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO (i.V.m. § 155 Satz 1 FGO) entnommen werden. Demgemäß ist auch nicht darauf einzugehen, in welchem Umfang die in einem kurz vor Verhandlungsbeginn gestellten Antrag auf Terminänderung genannten (erheblichen) Gründe glaubhaft zu machen sind (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1353).

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4. Unsubstantiiert ist schließlich der Vortrag der Klägerin, das vorinstanzliche Urteil beruhe deshalb auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das FG das Verfahren betreffend den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer nicht gemäß § 73 FGO abgetrennt und nach § 74 FGO ausgesetzt habe, obwohl im Zeitpunkt des Urteilserlasses eine auf die Feststellung der Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids 2010 gerichtete Klage anhängig gewesen sei. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen. An einer solchen Abhängigkeit fehlt es jedoch, wenn --wovon vorliegend auszugehen ist-- die Klage gegen den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer unzulässig ist und der hierauf gründende Urteilsspruch durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag (betreffend die Umsatzsteuer 2010) nicht beeinflusst werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2011 II B 152/10, BFH/NV 2011, 1008; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO Rz 7, m.w.N.).