Entscheidungsdatum: 01.03.2016
1. NV: Steuerstreitigkeiten unterfallen nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR wie des BFH (z.B. BFH-Beschluss vom 18. März 2013 VII B 134/12, BFH/NV 2013, 1102 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR) ungeachtet der finanziellen Auswirkungen wegen des öffentlichen Charakters der Besteuerung nicht dem Anwendungsbereich "zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen" und damit nicht Art. 6 EMRK .
2. NV: Dass eine Steuerstreitigkeit finanzieller Natur ist, genügt von daher weder, um zu zeigen, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK anzuwenden ist (z.B. EGMR-Urteile vom 12. Juli 2001 44759/98, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3453; vom 13. Januar 2005 62023/00, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2005, 234), noch um eine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO darzulegen .
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. Februar 2015 6 K 300/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, hat als Unternehmensgegenstand die Leitung einer Unternehmensgruppe sowie die Vermögensverwaltung angegeben. Im Jahr 2001 wurde die … Holding GmbH (P) mit Wirkung zum 31. Dezember 2000 auf die Klägerin verschmolzen.
Die P war für das Streitjahr (2000) erklärungsgemäß veranlagt worden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte mit Bescheid vom 1. Juli 2002 die Körperschaftsteuer gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der P in Höhe von 0 € festgesetzt.
Am 20. Oktober 2006 erließ das FA gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der P eine Prüfungsanordnung für das Streitjahr. Die Außenprüfung begann tatsächlich am 17. November 2008. Die Auswertung des Prüfungsberichts vom 17. Dezember 2013 führte zum Erlass eines entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheids am 14. Februar 2014. Die Körperschaftsteuer wurde auf 385.395 € festgesetzt. Zudem wurden in diesem Bescheid Nachforderungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 270.064 € festgesetzt. Dabei wurde vom FA ein Zinslauf vom 1. April 2002 bis zum 17. Februar 2014 (142 Monate) zugrunde gelegt.
Die Klägerin legte gegen den Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist. Zudem beantragte sie den Erlass der Nachforderungszinsen. Sie war der Auffassung, dass die Zinsen aus sachlichen Gründen zu erlassen seien, da die Durchführung der Außenprüfung seitens des FA schuldhaft verzögert worden sei und damit die Liquiditätsvorteile aus der verzögerten Prüfung der Klägerin aufgedrängt worden seien. Das FA war dagegen der Auffassung, dass der Vorwurf einer schuldhaft verspäteten Durchführung der Außenprüfung nicht nachvollziehbar sei und zudem eine "Verschuldensprüfung" über die Umstände, die zu einer verspäteten Festsetzung der Steuern geführt hätten, nach dem eindeutigen Wortlaut von § 233a AO nicht stattfinde. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Niedersächsischen Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 26. Februar 2015 6 K 300/14 abgewiesen. Das FG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision gegen das angefochtene Urteil zuzulassen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.
1. Bei der Rechtsfortbildungsrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) handelt es sich um einen speziellen Tatbestand der Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). In den Fällen, in denen eine Entscheidung des Revisionsgerichts der Rechtsfortbildung dient, liegt deshalb regelmäßig auch eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung vor (z.B. Senatsbeschluss vom 11. September 2013 I B 17/13, BFH/NV 2014, 184, m.w.N.). Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Ein im allgemeinen Interesse liegendes Bedürfnis nach Klärung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, wenn sie nicht bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist oder wenn neue Gesichtspunkte zu Unsicherheiten in der Beantwortung der Rechtsfrage führen und eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage aber nicht schon dann, wenn sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist; vielmehr ist erforderlich, dass ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (z.B. BFH-Beschluss vom 1. September 2010 IV B 132/09, BFH/NV 2011, 27, m.w.N.).
2. Nach diesen Maßstäben kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.
Soweit die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur überlangen Verfahrensdauer und einem daraus abgeleiteten Verstoß gegen Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob Zinsen nach § 233a AO zu erlassen sind, ist es der Klägerin nicht gelungen, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommen soll (Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N. zur Rechtsprechung).
Sinngemäß will die Beschwerde den zivilrechtlichen Charakter des Zinsanspruches nach § 233a AO und damit die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK daraus ableiten, dass es sich laut der Gesetzesbegründung zu § 233a AO (BTDrucks 11/2157, S. 194) bei Nachforderungszinsen um eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung und damit "im Hinblick auf den finanziellen Aspekt" um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des EGMR, wonach das "Konzept der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" nicht allein unter Rückgriff auf das innerstaatliche Recht des jeweiligen Staates ausgelegt werden könne. Der Rechtsprechung des EGMR sei damit zu entnehmen, dass allein die "Verortung" der Rechtsgrundlage des Anspruchs im Steuerrecht nicht notwendigerweise gegen den zivilrechtlichen Charakter des Anspruchs angeführt werden könne. Die Klägerin lässt jedoch bei diesem Vortrag unberücksichtigt, dass der Rechtsprechung des EGMR ebenfalls zu entnehmen ist, dass es gleichwohl nicht genügt, zu zeigen, dass eine Streitigkeit finanzieller Natur ist, um die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu bejahen, da Rechte und Pflichten einer Einzelperson nicht notwendigerweise zivilrechtlicher Natur sind (z.B. EGMR-Urteile vom 12. Juli 2001 44759/98, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3453; vom 13. Januar 2005 62023/00, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2005, 234). Steuerstreitigkeiten unterfallen nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR wie des BFH (z.B. BFH-Beschluss vom 18. März 2013 VII B 134/12, BFH/NV 2013, 1102, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR) ungeachtet der finanziellen Auswirkungen wegen des öffentlichen Charakters der Besteuerung nicht dem Anwendungsbereich "zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen" und damit nicht Art. 6 EMRK. Der Beschwerdeschrift ist insoweit eine vertiefte und damit ausreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen. Von daher bestehen bereits Zweifel, ob das Beschwerdevorbringen überhaupt den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt.
Die weiteren Ausführungen der Klägerin, wonach einzelne Entscheidungen des BFH für die im Streitfall zu beurteilende Frage nicht einschlägig seien, lässt unberücksichtigt, dass die Rechtsprechung des BFH sich ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK bezieht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.