Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 19.07.2010


BFH 19.07.2010 - I B 207/09

(Keine Klage im Verfahren wegen AdV - Fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung - Keine Umdeutung der eindeutigen Erklärung eines rechtskundigen Prozessvertreters - Entsprechende Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO im Beschwerdeverfahren)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
19.07.2010
Aktenzeichen:
I B 207/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 28. Oktober 2009, Az: 2 K 1476/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Eine Einspruchsentscheidung im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung kann nicht mit der Klage angefochten werden .

2. NV: Eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung eröffnet nicht eine im Gesetz nicht vorgesehene Klagemöglichkeit .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zur Aussetzung der Vollziehung (AdV).

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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde für die Streitjahre (1998 bis 2005) zur Einkommensteuer veranlagt. Nachdem die Klägerin die dieserhalb erlassenen Steuerbescheide mit einer Klage angefochten hatte, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Vollziehung der Bescheide auf einen Antrag der Klägerin hin aus. Er verfügte dabei, dass die AdV einen Monat nach Zustellung der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ende und unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs stehe. Der Einspruch der Klägerin gegen die Verfügung über die AdV hatte keinen Erfolg; in der Einspruchsentscheidung heißt es u.a., dass diese mit der Klage angefochten werden könne.

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Die durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin erhob daraufhin eine Klage, mit der sie beantragte, den in der AdV-Verfügung enthaltenen Widerrufsvorbehalt aufzuheben sowie jene Verfügung dahin abzuändern, dass die AdV "erst bei Eintritt der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung endet". Das FG wies die Klage ab, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.

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Die Klägerin hat daraufhin eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, mit der sie geltend macht, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

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Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. In diesem Zusammenhang muss auf die Ausführungen der Klägerin zu den ihrer Ansicht nach vorliegenden Zulassungsgründen nicht eingegangen werden. Denn unabhängig davon stellt sich das angefochtene Urteil jedenfalls schon deshalb als richtig dar, weil die von der Klägerin erhobene Klage unzulässig war.

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1. Nach § 361 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) kann die Finanzbehörde die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen. Die Entscheidung über die AdV kann mit einem Einspruch angefochten werden (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Das FG kann jedoch, wenn und soweit die Finanzbehörde eine AdV abgelehnt hat, nur nach § 69 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 3 FGO angerufen werden (§ 361 Abs. 5 AO; § 69 Abs. 7 FGO). Aus dieser Regelungslage folgt, dass eine die AdV betreffende Einspruchsentscheidung nicht mit der Klage zum FG angefochten werden kann (ebenso z.B. Gosch in Beermann/Gosch, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 361 AO Rz 20; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 361 AO Rz 16; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 361 Rz 40). Eine dahin gehende Klage ist mithin unzulässig.

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2. Im Streitfall hat die Klägerin die Einspruchsentscheidung des FA mit einer Klage angefochten. Ihr diesbezügliches Begehren kann nicht als Anrufung des FG nach Maßgabe des § 69 Abs. 3 FGO ausgelegt oder in diesem Sinne umgedeutet werden. Denn der betreffende Schriftsatz ist einerseits durch einen Rechtsanwalt verfasst und kann andererseits sowohl nach seiner Überschrift ("Klage") als auch nach seinem weiteren Inhalt (z.B. Hinweis auf notwendige mündliche Verhandlung) nur im Sinne einer Klageschrift verstanden werden; er enthält keinen Hinweis, auf den sich eine abweichende Deutung stützen ließe. Eine in diesem Sinne eindeutige Erklärung eines rechtskundigen Prozessvertreters kann auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der "rechtsschutzgewährenden Auslegung" (dazu Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 19. April 2007 IV R 28/05, BFHE 218, 75, BStBl II 2007, 704; vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116, m.w.N.) nicht abweichend von ihrem tatsächlichen Inhalt gedeutet werden (BFH-Beschluss vom 4. November 2008 V B 114/08, BFH/NV 2009, 400).

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3. Die hiernach erhobene Klage war nach den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften unzulässig. Das gilt ungeachtet dessen, dass in der Einspruchsentscheidung des FA --fälschlich-- die Klage als zulässiges Rechtsmittel benannt ist; eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung eröffnet nicht einen rechtlich nicht vorgesehenen Rechtsbehelf (Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 55 FGO Rz 14, m.w.N.). Das FG hätte daher die Klage unabhängig davon, wie die zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsfragen inhaltlich zu beurteilen sind, abweisen müssen.

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4. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Abweisung der Klage durch das FG jedenfalls im Ergebnis als richtig dar. Die von der Klägerin angestrebte Durchführung eines Revisionsverfahrens müsste daher zwangsläufig zu einer Zurückweisung des Rechtsmittels führen (§ 126 Abs. 4 FGO). In einer solchen Situation ist eine Nichtzulassungsbeschwerde in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO zurückzuweisen; das gilt jedenfalls dann, wenn das FG --wie im Streitfall-- das Fehlen einer Sachentscheidungsvoraussetzung übersehen und deshalb die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen hat (ebenso Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 32, m.w.N.). In diesem Sinne ist daher hier zu entscheiden.