Entscheidungsdatum: 30.05.2014
1. NV: Unterlässt das FG infolge unrichtiger Auslegung des Klageantrags eine Entscheidung über einen Teil des Rechtsstreits, ist dies nicht im Verfahren der Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO geltend zu machen, sondern kann als Verfahrensmangel im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.
2. NV: Der BFH ist in der Auslegung des Klageantrags nicht an die Auffassung des FG gebunden.
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft (S.L.) mit Sitz in Spanien. Sie hat gegen den vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für das Streitjahr (2010) erlassenen Körperschaftsteuerbescheid Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie habe keine Einkünfte erzielt, die der inländischen Besteuerung unterlägen. Sie hat --vertreten durch ihre damalige Bevollmächtigte, die X-Ltd.-- in der Klageschrift u.a. beantragt, den Körperschaftsteuerbescheid aufzuheben. Nach gerichtlicher Aufforderung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), den Gegenstand ihres Klagebegehrens zu bezeichnen, hat sie mit Schriftsatz vom 7. März 2013 erklärt, der Gegenstand des Klagebegehrens bestehe darin, die Nichtigkeit und Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bescheids festzustellen. Die Klägerin habe keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Es werde nochmals ausdrücklich beantragt, "den angefochtenen Bescheid insgesamt aufzuheben".
Das Finanzgericht (FG) Köln hat die Klage mit Urteil vom 8. Mai 2013 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klageantrag sei ausdrücklich als Nichtigkeitsfeststellungsklage formuliert worden und könne nicht in eine Anfechtungsklage umgedeutet werden.
Die Nichtigkeitsfeststellungsklage sei unbegründet, weil nicht ersichtlich sei, dass der angegriffene Bescheid an einem schwerwiegenden und offenkundigen Fehler leide. Die Klägerin habe inländischen Grundbesitz gehabt, aus dem sie Vermietungseinkünfte erzielt habe.
Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und stützt ihr Begehren u.a. darauf, dass das FG ihren Klageantrag unzutreffend ausgelegt und verkannt habe, dass sie ausweislich des auf "Aufhebung" lautenden Antrags auch Anfechtungsklage habe erheben wollen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist teilweise begründet und führt gemäß § 116 Abs. 6 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, soweit dieses infolge unrichtiger Auslegung des Klageantrags eine Entscheidung über das Anfechtungsbegehren der Klägerin nicht getroffen hat. Im Übrigen (Abweisung der Nichtigkeitsfeststellungsklage) ist das Rechtsmittel unzulässig.
1. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das FG ihren Klageantrag unzutreffend ausgelegt und in der Folge über ihr Anfechtungsbegehren nicht entschieden hat. Damit hat das FG gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) verstoßen. Ein solcher Verstoß ist nicht im Verfahren der Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO geltend zu machen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juli 1999 V B 71/99, BFH/NV 2000, 66; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, § 109 FGO Rz 2), sondern kann als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (Brandt in Beermann/ Gosch, FGO § 109 Rz 24).
2. In der Auslegung prozessualer Willenserklärungen, die im erstinstanzlichen Klageverfahren abgegeben worden sind, ist das Revisionsgericht frei; es ist insoweit nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die Auslegung durch die Vorinstanz gebunden (Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2012 I B 76, 77/12, BFH/NV 2013, 219, m.w.N.). Für die Einordnung und Würdigung einer Klageart kommt es nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den Inhalt des Klagebegehrens, d.h. auf den Charakter des begehrten Urteilsausspruchs an, der ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 20. September 1996 VI R 43/93, BFH/NV 1997, 249, m.w.N.). Nach dem Gebot der rechtsschutzwahrenden Auslegung ist derjenige Rechtsbehelf als eingelegt anzusehen, der nach Lage der Sache in Betracht kommt und sachlich den Belangen des Rechtsschutzsuchenden entspricht (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 1999 2 BvR 184/99, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 649).
3. Das FG hat den Klageantrag dahin ausgelegt, die Klägerin beantrage ausschließlich die gerichtliche Feststellung, dass der angegriffene Körperschaftsteuerbescheid des FA nichtig sei. Diese Auslegung ist nach den vorstehenden Maßgaben unzutreffend. Bei verständiger Würdigung des Klageantrags ist der Antrag dahin zu verstehen, dass die Klägerin nicht nur die Feststellung der Nichtigkeit des Körperschaftsteuerbescheids begehrt (Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 FGO), sondern ggf. auch dessen Aufhebung (Kassation) erreichen möchte (Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 FGO).
Das Anfechtungsbegehren ergibt sich mit hinreichender Klarheit aus dem bereits in der Klageschrift ausdrücklich formulierten Antrag, den Körperschaftsteuerbescheid "aufzuheben". Dass die Klägerin den Klagegegenstand in dem Schriftsatz vom 7. März 2013 dahin beschrieben hat, die Nichtigkeit und die Unwirksamkeit des Bescheids festzustellen, führt nicht zu der Annahme, sie habe damit das bisherige Anfechtungsbegehren ganz aufgeben wollen. Denn der im gleichen Schriftsatz ausdrücklich formulierte Antrag war wiederum auf "Aufhebung" des Bescheids gerichtet. Hinzu kommt, dass die Klagebegründung --das angebliche Fehlen inländischer Einkünfte-- kaum als Nichtigkeits-, wohl aber als zur Aufhebung führender Rechtswidrigkeitsgrund taugen würde. Demnach besteht kein hinreichender Anhalt dafür, dass die Klägerin mit der Klage nicht weiterhin (auch) das Ziel verfolgt hat, den Körperschaftsteuerbescheid anzufechten. Einer Umdeutung des Klageantrags, die das FG wegen der von ihm angenommenen Fachkunde der X-Ltd. abgelehnt hat, bedarf es daher nicht.
Da das FG über das Feststellungsbegehren entschieden hat, bedarf es beim gegenwärtigen Verfahrensstand keiner Entscheidung (mehr), in welcher Rangfolge die beiden Klageziele von der Klägerin verfolgt worden sind (vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten bei Kombination von Nichtigkeitsfeststellungs- und Anfechtungsklage z.B. v. Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 41 Rz 54).
4. In Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit hat die Klägerin das Vorliegen von Zulassungsgründen nach § 115 Abs. 2 FGO nicht schlüssig dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Insoweit ist die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Von weiter gehenden Ausführungen wird insoweit gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
5. Die vorinstanzliche Kostenentscheidung ist vollumfänglich aufzuheben, weil bislang nicht über die gesamte Klage entschieden worden ist. Die Übertragung der Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.