Entscheidungsdatum: 16.11.2011
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 198 21 501.0-16
…
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 16. November 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Pontzen sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dipl.-Ing. Univ. Nees
beschlossen:
1. Das Beschwerdeverfahren hat sich in der Hauptsache erledigt.
2. Die Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
I.
Die (damalige) Anmelderin hat am 13. Mai 1998 eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung
"Sitzpolsterüberzug und Kraftfahrzeugsitz mit einem solchen Sitzpolsterüberzug"
eingereicht. Mit Beschluss vom 1. August 2005 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 H des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen.
Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss, niedergelegt am 16. August 2005 im Abholfach der Anmelderin, hat sich diese mit ihrer Beschwerde, eingegangen am 12. September 2005, gewendet. Auf den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung ergangenen Ladungszusatz vom 23. Februar 2011 hat die jetzige Anmelderin, auf welche die Anmeldung am 2. Juli 2008 umgeschrieben worden war, mit Schriftsatz vom 7. März 2011 die Beschwerde zurückgenommen und Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gestellt mit der Begründung, dass die Erhebung der Beschwerde bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung durch die Prüfungsstelle entbehrlich gewesen sei. Der Prüfer habe bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine Druckschrift berücksichtigt, die erst nach dem für den Zeitrang der der Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei, was jedoch wegen § 4 Satz 2 PatG nicht zulässig gewesen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde hat sich in der Hauptsache erledigt. Denn nachdem die Anmelderin die Beschwerde zurückgenommen hat, ist der Beschluss der Prüfungsstelle bestandskräftig geworden.
2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist weiterhin zulässig; auch die Rücknahme der Beschwerde steht ihm nicht entgegen (vgl. Schulte PatG, 8. Aufl. 2008, § 80 Rdn. 113 m. w. N.). Der Anmelderin war auch die Beschwerdegebühr zurück zu erstatten.
Gemäß § 80 Abs. 3 PatG ist über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr von Amts wegen zu entscheiden. Die Rückzahlung ist nur dann gerechtfertigt, wenn es aufgrund von besonderen Umständen nicht der Billigkeit entspricht, die Gebühr einzubehalten (vgl. Benkard, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz, 10. Aufl. 2006, § 80 PatG, Rdn. 21 u. 25; Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl. 2008, § 73, Rdn. 124). Dies ist bei besonders schweren Verfahrensfehlern der Fall oder wenn bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre.
Ob eine fehlerhafte Sachbehandlung vorliegt, welche die Erhebung der Beschwerde verursacht hat, ist im Einzelfall zu prüfen. Nicht jede Ungereimtheit rechtfertigt die Erhebung der Beschwerde bereits aus diesem Grund und damit die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Vielmehr kommt dies nur bei offensichtlicher bzw. völlig fehlerhafter Sachentscheidung in Betracht (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl. 2003, § 80 Rdn. 125; Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz/Urheberrecht/Medienrecht, 2. Aufl. 2011, § 80 PatG, Rdn. 12). Allein eine unrichtige Beurteilung der Patentfähigkeit durch die Prüfungsstelle bietet keinen Grund für eine Rückzahlung (vgl. Schulte a. a. O., § 73 Rdn. 130 m. w. N.). Hier hat die Anmelderin vorgetragen, dass die Prüfungsstelle bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu Unrecht eine nachveröffentlichte Druckschrift herangezogen habe.
Gemäß § 4 Satz 2 PatG dürfen keine Unterlagen zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht gezogen werden, die zum Stand der Technik im Sinne des § 3 Abs. 2 PatG gehören. Als solcher gilt nach § 3 Abs. 2 Ziff. 1 PatG der Inhalt von nationalen Patentanmeldungen (in der beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung) mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.
Um eine solche Unterlage handelt es sich aber bei der DE 196 48 267 C1, die von der Prüfungsstelle zur Begründung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit als Entgegenhaltung genannt worden ist. Diese Druckschrift mit dem Anmeldetag 21. November 1996 ist zwar prioritätsälter als die mit der vorliegenden Patentanmeldung beanspruchte Priorität der DE 297 08 959 U1 vom 21. Mai 1997. Die Entgegenhaltung ist jedoch erst nach dem 21. Mai 1997, nämlich am 10. Juni 1998 veröffentlicht worden.
Mit der Verwendung dieser Druckschrift in Kombination mit einer weiteren Druckschrift hat die Prüfungsstelle den angegriffenen Zurückweisungsbeschluss auf einen unzutreffenden Stand der Technik im Sinne des § 4 Satz 2 PatG gestützt.
Dieser Fehler war auch offensichtlich. Denn die Prüfungsstelle hat in ihrem Bescheid vom 15. Januar 2002 darauf hingewiesen, dass es sich bei der betreffenden Entgegenhaltung um einen Stand der Technik nach § 3 Abs. 2 PatG handelt.
Da es sich bei der Berücksichtigung des Standes der Technik nach § 3 Abs. 2 PatG bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit entgegen dem ausdrücklichen Ausschluss in § 4 Satz 2 PatG um einen schwerwiegenden rechtlichen Fehler handelte, der auch ursächlich für die Zurückweisung der Anmeldung war, musste der Antrag der Anmelderin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr Erfolg haben.