Entscheidungsdatum: 19.12.2011
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 196 09 995
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…
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. Dezember 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Pontzen sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dr.-Ing. Weber
beschlossen:
Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.
I.
Gegen das am 14. März 1996 angemeldete und am 21. April 2005 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung
"Stirnwand für Leichtbau-Schienenfahrzeuge, insbesondere Führerstand-Stirnwand für Nahverkehrs-Schienenfahrzeuge"
ist von der S… Aktiengesellschaft Ö…, am 21. Juli 2005 per Fax Ein-spruch erhoben worden.
Die Einsprechende macht mangelnde Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik geltend. Zum Stand der Technik beruft sie sich auf folgende Druckschriften:
D1: Peter Lehotzky: "Niederflur-Straßenbahn-System für Wien"; Sonderdruck Der Nahverkehr; Personen- und Güterverkehr in Stadt und Region, Ausgabe 5/93 und
D2: SGP Verkehrstechnik SONDERINFO 1992/b.
Die Einsprechende meint, dass die streitpatentgemäße Stirnwand durch die Druckschriften D1 oder D2 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmannes nahegelegt sei. Mit richterlichem Hinweis vom 16. Mai 2011 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Einspruch mangels ausreichender Substantiierung möglicherweise als unzulässig zu verwerfen sein wird. Die Einsprechende hat dazu Stellung genommen und die Auffassung vertreten, dass der Einspruch ausreichend substantiiert sei.
Sie stellt den Antrag,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
Sie ist der Meinung, der Einspruch sei nicht ausreichend substantiiert.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"1. Stirnwand für Leichtbau-Schienenfahrzeuge, insbesondere Führerstand-Stirnwand für Nahverkehrs-Schienenfahrzeuge, in welcher ein nahezu der gesamten Fahrzeugbreite entsprechender sowie nahezu von der Mittelpufferkupplung bis zum Fahrzeugdach reichender Fensterausschnitt für eine Frontscheibe vorgesehen ist, wobei die Frontscheibe zusammen mit der Stirnwand eine sphärische Krümmung aufweist und sowohl die Seitenwände als auch das Dach des Fahrzeuges mit nahezu in einer Querebene am Fahrzeugende angeordneten und zur Verbindung mit der Stirnwand geeignet ausgebildeten Randpartien ausgebildet sind, dadurch gekennzeichnet , daß die Stirnwand (9) durch Teilung in logistisch günstig ausgebildete Bauteile aus zwei vom Dach (2) bis zum Untergestell (8) des Fahrzeuges reichenden Seitenteilen (11; 12), einem die Seitenteile (11; 12) im Dachbereich verbindenden Dachteil (19) sowie einem die Seitenteile (11; 12) unterhalb des Fensterausschnittes (31) verbindenden Mittelteil (23) besteht, welche als vorgefertigte Einzelsektionen durch die Montage am Wagenkasten (1) und miteinander zu einer Stirnwand (9) komplettierbar sind."
Diesem Patentanspruch 1 schließen sich die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 an.
II.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.
Der Einspruch ist form- und fristgerecht erhoben, jedoch nicht ausreichend substantiiert und daher unzulässig.
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 PatG müssen die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, innerhalb der dreimonatigen Einspruchsfrist im Einzelnen schriftlich angegeben werden.
Die Begründung eines Einspruchs genügt diesen gesetzlichen Anforderungen dann, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände so vollständig darlegt, dass der Patentinhaber und insbesondere das Patentamt (hier: Bundespatentgericht) dazu abschließend Stellung nehmen, d. h. ohne eigene Ermittlungen daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können.
Erfüllen die angegebenen Tatsachen die Voraussetzung des behaupteten Widerrufsgrundes nicht oder nur teilweise und wären deshalb zur Vervollständigung des Einspruchs eigene Ermittlungen des Patentamtes (hier: Bundespatentgericht) erforderlich, so ist der Einspruch wegen mangelnder Substantiierung unzulässig (vgl. BGH, GRUR 1972, Seiten 592 ff., - Sortiergerät; BGH, Bl. f. PMZ 1988, Seiten 289, 290, - Messdatenregistrierung).
Diesen Anforderungen genügt der innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Einspruchsvortrag nicht.
Fristgerecht ist am 21. Juli 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt als Einspruchsschriftsatz ein Fax mit 22 Seiten eingegangen. Die Seite 1 des Faxes enthält formale Angaben und die Seiten 3 bis 22 betreffen zwei Fachaufsätze/Fachliteratur als Stand der Technik.
Lediglich auf Seite 2 des Faxes, überschrieben mit "Blatt 3 zum Brief vom 21. Juli 2005", befasst sich die Einsprechende inhaltlich mit dem Gegenstand des Streitpatents.
Als Widerrufsgrund hat die Einsprechende auf Seite 2, Absatz 5 des Faxes mangelnde Patentfähigkeit angegeben. Der behauptete Widerrufsgrund als solcher ist demnach dem Einspruchschriftsatz eindeutig entnehmbar.
Wie die bereits mit dem richterlichen Hinweis vom 16. Mai 2011 mitgeteilte nachstehende Gegenüberstellung zeigt, erfolgt im vorliegenden Einspruchsschriftsatz aber keine ausreichende Auseinandersetzung mit allen wesentlichen Merkmalen des Gegenstands des Patentanspruch 1 des Streitpatents.
Merkmal |
Streitpatent
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Einspruchsfax vom 21. Juli 2005, Seite 2 |
1 |
Stirnwand für Leichtbau-Schienenfahrzeuge, insbesondere Führerstand-Stirnwand für Nahverkehrs-Schienenfahrzeuge |
"Eine Stirnwand …..", Abs. 1 |
2 |
In der Stirnwand ist ein Fensterausschnitt für die Frontscheibe vorgesehen, der nahezu der gesamten Fahrzeugbreite entspricht sowie nahezu von der Mittelpufferkupplung bis zum Fahrzeugdach reicht. |
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3 |
Die Frontscheibe weist zusammen mit der Stirnwand eine sphärische Krümmung auf. |
"Eine Stirnwand mit sphärischer Krümmung, …….ist dem Fachmann allerdings seit dem Jahr 1992 bekannt. Siehe dazu Dokument 1), Abb. 10, 13, 14 sowie Dokument 2) Figuren", Abs. 1 |
4 |
Die Seitenwände als auch das Dach des Fahrzeugs sind ausgebildet mit nahezu in einer Querebene am Fahrzeugende angeordneten und zur Verbindung mit der Stirnwand geeignet ausgebildeten Randpartien. |
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5 |
Die Stirnwand ist geteilt und besteht aus logistisch günstig ausgebildeten Bauteilen. |
"Eine Stirnwand mit sphärischer Krümmung, die geteilt ist und aus logistisch günstig ausgebildeten Bauteilen besteht, …….ist dem Fachmann allerdings seit dem Jahr 1992 bekannt.", Abs. 1 |
6 |
Die Stirnwand besteht aus, |
"….. weist zwar nicht die selben Einzelsektionen wie das Streitpatent auf….. die Unterschiede können aber nach unserem Dafürhalten keine Patentfähigkeit begründen." Abs. 2 |
7 |
Die Seitenteile (11;12,), das Dachteil (19) und das Mittelteil (23) sind als vorgefertigte Einzelsektionen durch die Montage am Wagenkasten (1) und miteinander zu einer Stirnwand (9) komplettierbar. |
"Eine Stirnwand mit sphärischer Krümmung, ….welche als vorgefertigte Einzelsektionen durch die Montage am Wagenkasten und miteinander zu einer Stirnwand komplettierbar ist, ist dem Fachmann allerdings seit dem Jahr 1992 bekannt.", Abs. 1 |
Die Gegenüberstellung der Merkmale zeigt, dass sich der Einspruchsschriftsatz mit den Merkmalen 2 und 4 des Streitgegenstandes nicht auseinander setzt. Entgegen der Meinung der Einsprechenden sind diese Merkmale jedoch wesentlich, denn sie definieren die Größe des Fensterausschnitts in der Stirnwand und die Lage der Randpartien, die an die Stirnwand anschließen. Diese Stirnwand wird mit den Merkmalen 5 bis 7 im Kennzeichenteil des Patentanspruchs 1 weiter definiert. Ein Hinweis darauf, dass oder warum die nicht diskutierten Merkmale 2 und 4 aus Sicht der Einsprechenden möglicherweise vernachlässigbar sein könnten, ist dem Einspruchsschriftsatz vom 21. Juli 2005 nicht zu entnehmen.
In ihrer Stellungnahme zu dem richterlichen Hinweis bestreitet die Einsprechende nicht, sich innerhalb der Einspruchsfrist zu den in Rede stehenden Merkmalen 2 und 4 des Streitgegenstandes nicht geäußert zu haben. Sie meint allerdings, nach ständiger Rechtsprechung sei es für die Substantiierung eines Einspruchs ausreichend, wenn eine Auseinandersetzung mit dem "Kern der patentierten Erfindung" erfolge. Dazu verweist sie auf die Entscheidung "T2/89 ABI 91, 51" der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 des Europäischen Patentamts vom 3. Juli 1989. Den Kern der Erfindung bilden nach ihrer Auffassung lediglich die Merkmale 5, 6 und 7 des Kennzeichens des Patentanspruchs 1. Die oberbegrifflichen Merkmale 1 bis 4 seien aus dem Stand der Technik bekannt, der in der Beschreibungseinleitung des angegriffenen Patents wiedergegeben sei. Diese Merkmale zeige die EP 533 582, insbesondere in Fig. 1. Durch diesen Stand der Technik in Verbindung mit den Ausführungen im Einspruchsschriftsatz sei der Senat in die Lage versetzt, ohne eigene Ermittlungen abschließende Folgerungen für das Vorliegen eines Widerrufsgrundes zu ziehen.
Diese Auffassung der Einsprechenden teilt der Senat nicht. Denn die Begründung eines Einspruchs wegen mangelnder Patentfähigkeit des Streitgegenstandes erfordert nach § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG die Angabe der Tatsachen "im Einzelnen", die diese Behauptung rechtfertigen. Sie muss daher eine nähere Darlegung der Tatsachen enthalten, aus denen die Einsprechende die mangelnde Patentfähigkeit herleitet (BGH, GRUR 1972, Seiten 592 ff., - Sortiergerät). Die Auseinandersetzung lediglich mit einem sogenannten Kern der Erfindung reicht dazu in der Regel nicht aus (BGH, BGHZ 1987, Seiten 100, 242, - Streichgarn). Eine Einspruchsbegründung, die sich nur mit einem Teilaspekt der geschützten Erfindung befasst, ist formal unvollständig, ein so begründeter Einspruch unzulässig (BGH, GRUR 1988, Seiten 364-366, - Epoxidation).
In Ausnahmefällen kann möglicherweise eine pauschale oder auch knappe Bezugnahme auf die dem Oberbegriff zugrunde liegende Vorveröffentlichung zulässig sein, z. Bsp. wenn ein kurzer Oberbegriff herkömmlichen Stand der Technik betrifft und sämtliche erfindungswesentlichen Merkmale im kennzeichnenden Teil des Anspruchs zu finden sind. In einem solchen Fall kann auch ein pauschaler Verweis auf eine Patentschrift als Tatsachenvortrag anerkannt und bei einfachen Sachverhalten auf die Angabe der relevanten Textstellen in der Vorveröffentlichung verzichtet werden (Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl. § 59, Rdn. 110 m. w. N.). Dies ist vorliegend angesichts von zwei erfindungswesentlichen Merkmalen allerdings nicht der Fall. Die Einsprechende hätte diese Merkmale, die sie der EP 533 582 entnimmt, angeben und in Beziehung zu den Merkmalen 2 und 4 des Patentanspruchs 1 setzen müssen. Sodann hätte sie darlegen müssen, dass und warum eine Zusammenschau mit dem von ihr genannten Stand der Technik den Fachmann zum Streitgegenstand führt. Der Vortrag der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist erwähnt die EP 533 582 und deren Fig. 1 jedoch mit keinem Wort und stellt dementsprechend auch keinen Zusammenhang mit dem übrigen Stand der Technik her. Da dieser zwingend erforderliche Einspruchsvortrag fehlt, erschließt sich der Patentinhaberin und dem Senat nicht, welche konkreten Darlegungen die Einsprechende in Bezug auf den Patentgegenstand im Einzelnen für relevant hält. Die Einsprechende überlässt es vielmehr der Patentinhaberin und dem Bundespatentgericht, selbst Untersuchungen dazu anzustellen, ob die Merkmale 2 und 4 bekannt sind und inwieweit sie den Streitgegenstand im Zusammenhang mit dem übrigen Stand der Technik möglicherweise nahelegen könnten.
Die Entscheidung "T2/89 ABI 91, 51" betrifft einen anderen Sachverhalt, nämlich die Frage des rechtlichen Gehörs. Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hatte ein Einspruchsverfahren zunächst über zwei Jahre in der Sache geführt und sich in zwei auf die Sache eingehenden Bescheiden inhaltlich mit dem Einspruchsvortrag auseinander gesetzt. Anschließend hatte sie den Einspruch als unzulässig verworfen. Die Technische Beschwerdekammer 3.3.2 hat dazu festgestellt, dass die Einspruchsabteilung den Vortrag der Einsprechenden, ebenso wie die Patentinhaberin, richtig verstanden habe. Daraus hat sie geschlossen, dass die zur Begründung des Einspruchs vorgebrachten Tatsachen im Einspruchsvortrag ausreichend angegeben seien. Die anschließende Verwerfung des Einspruchs durch die Einspruchsabteilung als unzulässig stelle daher einen wesentlichen Verfahrensmangel des europäischen Einspruchsverfahrens dar. Deshalb ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes aufgehoben und die Beschwerdegebühr zurückbezahlt worden. Im Gegensatz zu diesem Fall scheitert eine inhaltliche Befassung mit dem Einspruchsvortrag in der vorliegenden Sache bereits daran, dass der Einspruchsvortrag unvollständig ist, wie vorstehend dargetan.
Abgesehen davon setzt sich die Entscheidung "T2/89 ABI 91, 51" der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 mit der vorstehend zitierten, höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der ausreichenden Substantiierung eines Einspruchs nicht auseinander. Daher stellt sie diese Rechtsprechung auch nicht in Frage. Angesichts dessen sieht der Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Spruchpraxis, die von der angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gedeckt ist, abzuweichen.
Da sich die Einspruchsbegründung im vorliegenden Fall nicht mit allen Merkmalen des Streitgegenstandes befasst, ist der Einspruch nicht ausreichend substantiiert und somit unzulässig.