Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 30.07.2012


BPatG 30.07.2012 - 9 W (pat) 350/06

Einspruchsverfahren – Schutz bei einer Fahrzeugtür – unzulässige Erweiterung – Verallgemeinerung des Schutzes


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
30.07.2012
Aktenzeichen:
9 W (pat) 350/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Einspruchssache

betreffend das Patent 101 96 877

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 30. Juli 2012 unter Mitwirkung des Richters Dipl.-Ing. Reinhardt als Vorsitzenden sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dipl.-Ing. Univ. Nees

beschlossen:

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

1

Die am 31. Oktober 2001 als PCT-Anmeldung mit dem internationalen Aktenzeichen PCT/US01/45628 angemeldete und am 8. Mai 2003 mit der internationalen Nr. WO 03/037669 A1 veröffentlichte Patentanmeldung hat mit Einleitung der nationalen Phase vor dem Deutschen Patent- und Markenamt das Aktenzeichen 101 96 877.9-24 erhalten. Die Erteilung des deutschen Patents 101 96 877 mit der Bezeichnung

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Türanordnung und Verfahren zum Herstellen einer Fahrzeugtür

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ist am 24. November 2005 veröffentlicht worden.

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Gegen das Patent hat die B… GmbH & Co. KG am 24. Fe-bruar 2006 Einspruch erhoben. Sie macht im Einspruchschriftsatz zunächst den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) geltend. Nach Ablauf der Einspruchsfrist bringt sie sinngemäß vor, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist.

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Die Patentinhaberin widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden in allen Punkten. Sie verteidigt das Streitpatent in seiner erteilten Fassung. Nach ihrer Auffassung ist der erteilte Patentanspruch 1 zulässig, die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 14 patentfähig. Mit Eingabe vom 2. Juli 2012 hat sie mitgeteilt, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen und ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen.

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Die Patentinhaberin stellt schriftsätzlich sinngemäß den Antrag,

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das Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.

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Die Einsprechende stellt schriftsätzlich den Antrag,

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das Patent zu widerrufen.

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Der Patentanspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:

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„1. Türanordnung (10) zur Verwendung in einem motorisierten Fahrzeug mit einem äußeren Türaufbau (12) und einer inneren Insassenzelle, wobei der äußere Türaufbau (12) eine Öffnung (20) zum Aufnehmen der Türanordnung (10) hat, und wobei die Anordnung (10) aufweist:

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eine Trägerplatte (26), die aufgebaut ist, um so an dem äußeren Türaufbau (12) angebracht zu werden, dass sie die Öffnung (20) im Wesentlichen abdeckt, wobei die Trägerplatte (26) eine erste, der Insassenzelle zugewandte Seite (28) und eine zweite, dem äußeren Türaufbau (12) zugewandte Seite (30) aufweist, wobei die Trägerplatte (26) so ausgebildet ist, dass sie als Wasserschutz zwischen dem äußeren Türaufbau (12) und der Insassenzelle dient, um zu verhindern, dass Wasser von der zweiten Seite (30) zu der ersten Seite (28) hindurchtritt, und wobei die Trägerplatte (26) ferner einen oberen Bereich (32) und einen unteren Bereich (34) aufweist,

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eine Fahrzeugtürausstattungskomponente, die an der Trägerplatte (26) montiert ist und durch sie geschützt ist; und

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eine an der Trägerplatte (26) anbringbare, obere Verkleidungsplattenanordnung (24), die so ausgebildet ist, dass sie im Wesentlichen den oberen Bereich (32) der Trägerplatte (26) abdeckt und eine obere Sichtoberfläche (93) aufweist, die der Insassenzelle zugewandt ist,

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dadurch gekennzeichnet,

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dass der untere Bereich (34) der Trägerplatte (26) eine untere Sichtoberfläche (36) aufweist, die der Insassenzelle sichtbar zugewandt ist, und

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dass die obere Verkleidungsplattenanordnung (24) an der Trägerplatte (26) anbringbar ist, nachdem die Trägerplatte (26) an dem äußeren Türaufbau (12) angebracht wurde.“

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Wegen des Wortlauts des unabhängigen Patentanspruchs 14, die auf den jeweils tragenden Patentanspruch rückbezogenen Unteransprüche und zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

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1. Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.

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2. Der Einspruch ist gemäß § 59 Abs. 1 PatG frist- und formgerecht erhoben worden sowie ausreichend substantiiert und somit zulässig. In der Sache hat der Einspruch Erfolg, da er zum Widerruf des Patents führt.

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3. Beteiligt ist die jetzige Patentinhaberin. Ursprünglich war dies die L…

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in S…, M… (U…). Diesem Beteiligtenwechsel hat die Einsprechende zugestimmt, so dass es auf die Frage nicht mehr ankommt, ob es sich um eine Gesamtrechtsnachfolge handelt.

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4. Mit dem erteilten Patentanspruch 1 ist eine Türanordnung beansprucht, bei der unter anderem eine Fahrzeugtürausstattungskomponente vorgesehen ist, die an einer Trägerplatte montiert und durch diese „geschützt“ ist. Ein derartiger Gegenstand ist nicht ursprungsoffenbart.

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In Anwendung von § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG darf ein Patentanspruch nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, der nicht von vornherein als zur Erfindung gehörend in den Anmeldungsunterlagen enthalten war. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist durch Vergleich des beanspruchten Gegenstandes mit dem gesamten Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Unterlagen zu ermitteln, BGH „Einkaufswagen II“, Az.: X ZR 30/02 vom 5. Juli 2001, GRUR 2005, 1023. In den ursprünglichen Unterlagen ist alles offenbart, was sich dem fachkundigen Leser ohne Weiteres aus der Gesamtheit der Unterlagen erschließt, BGH „Momentanpol II“, Az.: X ZB 13/06 vom 08.07.2008, GRUR 2008, 887.

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Als fachkundiger Leser, an den sich die Anmeldung wendet, wird ein Durchschnittsfachmann angenommen, der als Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik ausgebildet ist. Er ist bei einem Fahrzeughersteller oder -zulieferer mit der Entwicklung von Fahrzeugtüren für Kraftfahrzeuge befasst und verfügt auf diesem Gebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung.

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Der Vergleich der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in Bezug auf das nunmehr beanspruchte Merkmal, wonach die Fahrzeugtürausstattungskomponente durch die Trägerplatte „geschützt“ ist, ergibt zur Überzeugung des Senats, dass die ursprüngliche Offenbarung in ihrer Gesamtheit das mit dem geltenden Patentanspruch 1 definierte Schutzbegehren nicht vollständig umfasst.

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Wörtlich kommt der Begriff „geschützt“ in den zur Einleitung der nationalen Phase der PCT - Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt am 20. Februar 2003 eingereichten deutschen Anmeldungsunterlagen nicht vor. Diese bestehen aus den Patentansprüchen 1 bis 18 und zwölf Beschreibungsseiten mit Zeichnung, Figuren 1 bis 4. Auch in der ursprünglichen englischsprachigen PCT-Anmeldung ist ein entsprechender Begriff nicht enthalten. Den genannten Ursprungsunterlagen kann im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Merkmal lediglich entnommen werden, dass die Trägerplatte 26 so ausgebildet ist, dass sie als ein (einseitiger) Wasserschutz zwischen dem äußeren Türaufbau 12 und der Insassenzelle dient, um zu verhindern, dass Wasser von der zweiten Seite 30 zu der ersten Seite 28 durchgeht (siehe Patentansprüche 1, 14 und 18; S. 1 Abs. 4, S. 3 Abs. 1). Allenfalls mag ein einseitiger mechanischer Schutz von auf der Trägerplatte montierten Komponenten durch die Trägerplatte noch als offenbart angesehen werden können (Patentanspruch 1, S. 3 Abs. 3 bis S. 4 Abs. 1, S. 5 Abs. 1, S. 6 Abs. 4). Der Fachmann wird den im erteilten Patentanspruch 1 enthaltenen Begriff „geschützt“ jedoch erheblich breiter auslegen, da er einschränkendes weder dem Anspruch noch der Beschreibung entnehmen kann. Er wird das Schützen der Fahrzeugtürausstattungskomponente, anders als die Patentinhaberin meint, auch nicht ausschließlich auf das im Anspruch 1 vor dem „Schützen“ stehende Merkmal des Wasserschutzes beziehen, da zwischen diesen beiden voneinander unabhängigen Merkmalen das weitere Merkmal, dass die Trägerplatte 26 ferner einen oberen Bereich 32 und einen unteren Bereich 34 aufweist, angeordnet ist. Somit besteht im Patentanspruch 1 zwischen den Merkmalen „Wasserschutz“ und „durch die Trägerplatte geschützt“ kein direkter kausaler Zusammenhang. Daher versteht der Fachmann unter „geschützt“ den Schutz vor allen möglichen äußeren Einflüssen, die sich auf die zu schützende Fahrzeugtürausstattungskomponente negativ auswirken könnten. Insoweit enthält der erteilte Anspruchswortlaut durch den Begriff „geschützt“ eine Verallgemeinerung gegenüber der allein ursprungsoffenbarten Bedeutung. Denn außer dem ursprünglich offenbarten Wasserschutz (einseitiger mechanischer Schutz) sind nunmehr alle weiteren, möglichen Ausgestaltungen, wie wasserdicht, gasdicht, allseitiger mechanischer Schutz, in das beanspruchte Schutzbegehren einbezogen. Somit geht die beanspruchte Fassung des Schutzbegehrens, anders als die Patentinhaberin meint, über die ursprüngliche Offenbarung der Anmeldung in ihrer Gesamtheit hinaus. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist demzufolge gegenüber der Ursprungsoffenbarung unzulässig erweitert.

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Aus den vorgenannten Gründen ist der erteilte Patentanspruch 1 nicht zulässig.

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Daher war das Patent zu widerrufen, da der Patentinhaber die Aufrechterhaltung des Patents nur im erteilten Umfang begehrt, der zumindest einen nicht rechtsbeständigen Patentanspruch enthält (vgl. BGH, „Informationsübermittlungsverfahren II“, Az.: X ZB 6/05 vom 27. Juni 2007, GRUR 2007, S. 862).