Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 05.09.2016


BPatG 05.09.2016 - 9 W (pat) 2/13

Patentbeschwerdeverfahren – zur Zurückweisung einer Patentanmeldung vor der rechtkräftigen Entscheidung über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
05.09.2016
Aktenzeichen:
9 W (pat) 2/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung …

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 5. September 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber sowie der Richter Paetzold, Dr.-Ing. Baumgart und Dr.-Ing. Geier

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle 11.13 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 25. November 2010 aufgehoben.

2. Das Anmeldeverfahren wird zur weiteren Durchführung auch des Verfahrenskostenhilfeverfahrens an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Anmelder und Antragsteller hat im Februar 2009 verschiedene Unterlagen eingereicht, die zu einer Patentanmeldung mit der Bezeichnung

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"…"

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geführt hat, welcher der Anmeldetag vom 12. März 2009 zuerkannt worden ist; ein für mehrere weitere Anmeldungen pauschal gestellter Antrag auf Verfahrenskostenhilfe ist am 17. März 2009 eingegangen, in dem auch um die Beiordnung eines Vertreters gebeten worden ist. Mit einem tags darauf eingegangenen Schriftsatz hat der Anmelder Prüfungsantrag gestellt und die Erfinderbenennung nachgereicht. Nach mehrfachem Schriftwechsel hat die Prüfungsstelle 11.13 im Rahmen der Offensichtlichkeitsprüfung mit Bescheid des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) vom 28. Juli 2009 mitgeteilt, dass der Anmeldetag nunmehr geklärt und die Anmeldeunterlagen soweit vollständig vorlägen, dass der Anmeldegegenstand verständlich werde; offenbar habe der Anmelder drei unabhängige Erfindungen anmelden wollen. Bei dem vorliegenden Anmeldegegenstand handele es sich um ein Perpetuum Mobile erster Art, das mit dem Energieerhaltungssatz nicht zu vereinbaren sei. Damit fehle der Patentanmeldung auch die technische Brauchbarkeit.

4

Der Erteilungsakte beigefügt ist ein mit Schwärzungen einzelner Passagen versehenes Schreiben der Geschäftsstelle 680 vom 1. März 2010, in welchem dem Anmelder und Antragsteller zur Beantragung von Verfahrenskostenhilfe unter anderem mitgeteilt worden ist, dass die Bearbeitung des Offensichtlichkeitsverfahren noch nicht abgeschlossen sei und erst danach der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe bearbeitet werde.

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Mit Beschluss vom 25. November 2010 hat die Prüfungsstelle 11.13 die Patentanmeldung gemäß § 42 Abs. 3 PatG zurückgewiesen mit der Begründung, sie enthalte keine ausführbare Lehre zum Handeln, die zu einem konkreten Erfolg führe; vielmehr handele es sich entgegen der Auffassung des Anmelders um ein Perpetuum mobile, bei dem die gewonnene Energie den Gesamtbedarf an aufgewendeter Energie übersteige.

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Gegen diesen Beschluss hat der Anmelder mit Faxschreiben vom 13. Dezember 2010 Beschwerde eingelegt und einen Tag später die Beschwerdegebühr eingezahlt. Eine Begründung ist nicht eingegangen.

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Auf Nachfrage des Senats hat die Prüfungsstelle 13 mitgeteilt, dass bisher kein Entscheid über die Verfahrenskostenhilfe ergangen sei, sondern „in der Offensichtlichkeitsprüfung … die Zurückweisung erfolgte“.

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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

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Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft.

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Die Beschwerde ist auch begründet. Die Entscheidung über die Patentanmeldung ohne Abwarten der Entscheidung über den Antrag des Anmelders auf Verfahrenskostenhilfe (VKH) durch die hierfür zuständige Stelle beeinträchtigte ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG i. V. m. § 42 Abs. 3 S. 2 PatG). Denn die Zurückweisung der Patentanmeldung als Perpetuum mobile und mangels technischer Brauchbarkeit durfte so lange nicht ergehen, bis rechtskräftig über den Antrag des Anmelders auf VKH durch die Patentabteilung entschieden worden ist. Allein diese ist dafür nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 und Abs.4 i. V. m. § 24 Abs.1 DPMAV zuständig.

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Ein solcher Antrag ist auch gestellt worden. Dies hat die Prüfungsstelle dem Anmelder mit Schriftsatz vom 1. März 2010 mitgeteilt, und ein Mitarbeiter des DPMA hat dem Senat auf Nachfrage mit Schreiben vom 1. Oktober 2014 bestätigt, dass der Antrag noch anhängig sei.

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Über diesen Antrag hätte aber entschieden werden müssen, bevor die Anmeldung zurückgewiesen worden ist. Denn solange das VKH-Verfahren vor der Patentabteilung oder in der Beschwerde anhängig ist, steht dies einer Entscheidung der Prüfungsstelle über die Anmeldung entgegen (vgl. BPatGE 12, 177 (180); Schell in: Schulte, PatG, 9. Aufl. 2015, § 135, Rdn. 7; Benkard/Schäfers, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 135 Rdn. 14;). Der Sinn der Verfahrenskostenhilfe besteht neben der finanziellen Entlastung auch darin, dem patentrechtlich unerfahrenen Anmelder die erfolgversprechende Begleitung seiner Erfindung im Erteilungsverfahren durch Beiordnung eines Fachmannes zu ermöglichen, der bei der Aufbereitung der Anmeldeunterlagen und der Formulierung erteilungsfähiger Patentansprüche behilflich ist; dies ist dem Patentamt, das an die Anträge des Anmelders gebunden ist, wegen § 28 Abs. 2 PatG grundsätzlich nicht gestattet. Vielmehr hat die Prüfungsstelle den entsprechenden Antrag zurückzuweisen oder das Patent zu erteilen. Davon getrennt zu behandeln ist das VKH-Verfahren, in welchem die Frage geklärt wird, ob dem Antragsteller eine solche Unterstützung zu gewähren ist, was insbesondere von der finanziellen Bedürftigkeit des Anmelders und der Erfolgsaussicht der Anmeldung abhängt, bei deren Beurteilung aber nicht die Anforderungen überspannt werden dürfen. Um hierbei eine möglichst einheitliche Handhabung herbeizuführen, sind diese Verfahren der Patentabteilung zugewiesen.

13

Der Trennung der beiden Verfahren würde es zuwider laufen, wenn die Prüfungsstelle im noch laufenden VKH-Verfahren über die Anmeldung entscheidet und damit die Entscheidung über die Gewährung von VKH praktisch vorweg nimmt. Denn damit würde unzulässig in die Entscheidungskompetenz der Patentabteilung eingegriffen (vg. BPatGE a. a. O.).

14

Hieran ändert sich auch nichts, wenn im Rahmen der Offensichtlichkeitsprüfung die Erfolglosigkeit der Anmeldung festzustellen wäre. Denn auch für diese Prüfung kann Verfahrenskostenhilfe gewährt werden (vgl. Schell, a. a. O. § 130, Rdn. 44), in deren Rahmen die Beiordnung eines Anwalts möglich ist, der hinsichtlich der Offensichtlichkeitsprüfung beachtliche Argumente geltend machen kann. Ohnehin ist im VKH-Verfahren lediglich die hinreichende Aussicht auf Erfolg der Patentanmeldung zu prüfen. Hierbei ist es nicht ausgeschlossen, dass insbesondere unter Beiordnung eines Fachmannes, die der Anmelder hier ausdrücklich beantragt hatte, aus den eingereichten Unterlagen noch erfolgversprechende Patentansprüche formuliert werden können. Jedenfalls hat dies die Patentabteilung zu beurteilen, gegen deren negative Entscheidung sich der Antragsteller mit der (kostenfreien) Beschwerde richten könnte.

15

Aus der angeführten Entscheidung des BPatG ergibt sich sogar, dass die Prüfungsstelle gehalten sein kann, von sich aus eine Anhörung von Amts wegen durchzuführen, wenn ein Anmelder ersichtlich seine Anmeldung ohne Hilfe nicht form- und sachgerecht vertreten kann (vgl. BPatGE a. a. O. S. 182).

16

Der Senat sieht sich an einer eigenen Sachentscheidung über die Zurückweisung der Patentanmeldung gehindert. Denn die Missachtung der Reihenfolge der Prüfungsverfahren kann nur im Wege einer Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 PatG beseitigt werden. Es handelt sich um einen so schwerwiegenden Verfahrensfehler, dass über die Anmeldung nicht im Beschwerdeverfahren entschieden werden kann. Bis zur Entscheidung über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe muss das eigentliche Prüfungsverfahren zurückgestellt werden. Eine solche ist hier nicht ergangen, wie die Mitteilung der Geschäftsstelle bestätigt. Dies ist auch nicht inzidenter mit der Zurückweisung der Patentanmeldung geschehen, was den Weg zu einer gerichtlichen Überprüfung durch den Senat eröffnen könnte. Denn durch eine Inzidenter-Entscheidung würde die Trennung von Erteilungs- und VKH-Verfahren de facto aufgehoben. In gleicher Weise ist das Verfahren in der oben angesprochenen Entscheidung des BPatG zurückverwiesen worden (BPatGE 12, 177, 182).

17

Darüber hinaus würde dem Anmelder mit einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren eine Instanz des VKH-Verfahrens genommen, in welchem zu entscheiden ist, ob neben der wirtschaftlichen Bedürftigkeit ein entsprechender Antrag auf Erteilung des Patentes Aussicht auf Erfolg bieten würde. In diesem summarischen Verfahren darf die angestrebte Rechtsverfolgung nicht in das VKH-Verfahren verlagert werden, so dass diese praktisch an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt (BGH NJW 2013, 1310; Schell a. a. O., § 130 Rdn. 39). Über diese „bloße“ Erfolgsaussicht hat die Patentabteilung eine Entscheidung zu treffen, die derzeit noch aussteht. Im Ablehnungsfall stünde dem Antragsteller die (kostenfreie) Beschwerde zu.

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Wegen des erheblichen Verfahrensmangels ist dem Anmelder die Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen nach § 80 Abs.3 PatG zu erstatten.

19

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr kommt nach § 80 Abs. 3 PatG in Betracht, wenn Billigkeitsgründe vorliegen, die das Einbehalten der Gebühr als ungerechtfertigt erscheinen lassen. Die Billigkeitsgründe können auf fehlerhafter Sachbehandlung durch das DPMA, auf dem Verhalten der Beteiligten oder auf sonstigen Gründen beruhen (vgl. Schulte/Püschel, PatG, 9. Aufl. 2014, § 80 Rn. 112).

20

Solche sonstigen Gründe liegen hier vor. Dem Anmelder kann es nicht zugemutet werden, Kosten für ein Rechtsmittelverfahren zu tragen, welches den erstrebten Erfolg nicht mehr herbeiführen kann, nämlich ihm Verfahrenskostenhilfe für das Anmelde-/Erteilungsverfahren zu gewähren. Hierüber hatte die Patentabteilung zu entscheiden, was den Weg zu einer kostenfreien Beschwerde eröffnet hätte.