Entscheidungsdatum: 20.04.2011
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Patentanmeldung 101 35 912.8-21
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Pontzen sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, von Zglinitzki und Dipl.-Ing. Reinhardt
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Patentanmeldung ist beim Deutschen Patent- und Markenamt am 24. Juli 2001 mit der Bezeichnung
„Einstellungsgrundsatz bezogen auf die gesamte mitgenommene Masse-Gewichtskraft, bei sämtlichen Fahrzeugen und Verkehrsmitteln, insbesondere die Formel-1“
eingegangen. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die Anmeldung mit Beschluss vom 30. Juni 2009 zurückgewiesen. Im vorausgehenden Prüfungsverfahren ist u. a. auf das Fachbuch M. Mitschke, „Dynamik der Kraftfahrzeuge“, Ausgabe 1972, insb. S. 392 hingewiesen worden.
Gegen den Zurückweisungsbeschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Er verfolgt die Patenterteilung mit neu formulierten Patentansprüchen 1 und 2 weiter und meint, das nunmehr beanspruchte Fahrzeug für den Automobil-Rennsport werde durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt.
Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 lauten:
1. Fahrzeug für den Automobil-Rennsport, das einen Kraftstofftank und einen Platz für einen Fahrer aufweist, wobei der Massenschwerpunkt des Systems aus Fahrzeug, Kraftstoff und Fahrer stets in der Mitte des Radstandes liegt.
2. Fahrzeug nach Anspruch 1, gekennzeichnet, durch eine zulässige Toleranz des Massenschwerpunkts von der Mitte des Radstandes, die weniger als plus/minus 3 % beträgt.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 und 2 und der Beschreibung vom 15. Dezember 2009 zu erteilen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
II
1. Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
2. Zulässigkeit der geltenden Unterlagen
Gegen die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche 1 und 2 hat der Senat keine Bedenken. Als anmeldetagbegründende Ursprungsoffenbarung gelten der Antrag auf Erteilung eines Patents vom 23. Juli 2001 und 2 Seiten Beschreibung, übertitelt „Bezeichnung der Erfindung“ vom 23. Juli 2001, sämtlich eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 24. Juli 2001. Über den Inhalt dieser Ursprungsoffenbarung gehen die geltenden Unterlagen offenbar nicht hinaus.
3. Durchschnittsfachmann
Bei seiner folgenden Bewertung legt der Senat als Durchschnittsfachmann einen Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Fahrzeugtechnik zugrunde, der in der Fahrzeugkonstruktion tätig ist. Zu dessen Grundlagenwissen zählt zweifelsfrei der Inhalt des Fachbuchs M. Mitschke, „Dynamik der Kraftfahrzeuge“, Ausgabe 1972, insb. S. 392 mit nachstehendem Bild 104.5 und erläuterndem Text.
Durch dieses Lehrbuchwissen ist dem Fachmann am Anmeldetag bereits geläufig, dass eine gleichmäßige Gewichtsverteilung auf alle vier Räder eines Fahrzeuges die Voraussetzung dafür ist, höchstmögliche Kurvengeschwindigkeiten zu erzielen. Dem Bild 104.5 und dem Text auf S. 392 entnimmt er nämlich, dass unter Vernachlässigung der Wankbewegung (laut Bildunterschrift soll der Schwerpunkt des Fahrzeuges sich auf der Fahrbahn befinden) bei gegebenem Radius ρ und einer Lage des Schwerpunkts SP des Fahrzeuges in der Mitte des Radstandes (lH/l = 0,50) die höchste Fahrgeschwindigkeit v erreichbar ist.
4. Gewerbliche Anwendbarkeit, Neuheit, erfinderische Tätigkeit
Das beanspruchte Fahrzeug für den Automobil-Rennsport ist zweifelsohne gewerblich anwendbar und mag auch neu sein. Zu der beanspruchten Anordnung einer Massenschwerpunktlage stets in der Mitte des Radstandes unter Berücksichtigung des Systems aus Fahrzeug, Kraftstoff und Fahrer bedurfte es jedoch keiner erfinderischen Tätigkeit.
Der eingangs definierte Durchschnittsfachmann setzt bei der Konstruktion eines Fahrzeugs für den Automobil-Rennsport selbstverständlich voraus, dass es auf die Erzielung höchster Fahrgeschwindigkeiten, insbesondere bei Kurvenfahrt, besonders ankommt. Aufgrund seines nachgewiesenen Fachwissens strebt er bei der konstruktiven Auslegung eines Fahrzeugs für den Automobil-Rennsport eine Schwerpunktlage an, die mit einem „Massenschwerpunkt“ in die Mitte des Radstandes die physikalische Voraussetzung dafür ist, dass maximale Kurvengeschwindigkeiten möglich sind.
Welche Massen der Fachmann bei der Festlegung des „Massenschwerpunktes“ in seine Überlegung einbezieht, steht in seinem fachgerechten Ermessen. Zwingend muss er nach Überzeugung des Senat allerdings diejenigen Massen berücksichtigen, die beim Auftreten der angestrebten maximalen Kurvengeschwindigkeit wirksam sind. Alles andere wäre nicht fachgerecht. Dazu zählen außer den Massen des Fahrzeugs selbst auch die Massen der Betriebs-, Schmier- und Hydraulikstoffe und die Masse des Fahrers, denn im rennsportlichen Einsatz befinden sich diese Massen an Bord und haben daher direkten Einfluss auf die Lage des „Massenschwerpunktes“ des Gesamtsystems. Dieser Einfluss wirkt sich vor allem dann aus, wenn und solange mit dem Rennfahrzeug maximale Kurvengeschwindigkeiten gefahren werden sollen. Deshalb muss der Fachmann eine dynamische Lösung anstreben, bei der der „Massenschwerpunkt“ möglichst immer, also stets in der Mitte des Radstandes liegt. Denn nur so ist gewährleistet, dass maximale Kurvengeschwindigkeiten auch immer gefahren werden können.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich das beanspruchte Fahrzeug für den Automobil-Rennsport für den Durchschnittsfachmann durch sachgerechte Anwendung seines einschlägigen Fachwissens. Einer erfinderischen Tätigkeit bedurfte es dazu nicht.
Dagegen wendet der Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung ein, die Berücksichtigung sich ständig verändernder Massen, z. B. des Tankinhalts von beispielsweise anfänglich etwa 200 kg auf annähernd 0 kg sei im Stand der Technik nicht nachgewiesen. Bei dem Gesamtgewicht eines Rennwagens in der Größenordnung zwischen 450 bis 600 kg spiele das eine erhebliche Rolle. Die vom Beschwerdeführer gefundene Lösung dieses Problems sei daher neu und allenfalls in rückschauender Betrachtung als naheliegend anzusehen.
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Selbstverständlich überprüft der Fachmann seine Fahrzeugkonstruktion im vorgesehenen Einsatzzweck, also im Rennsport. Sollte das über den Rennverlauf ständig abnehmende Betriebsstoffgewicht in der Fahrzeugkonstruktion tatsächlich nicht von vornherein berücksichtigt worden und der Tank beispielweise außerhalb des Fahrzeugschwerpunktes angeordnet sein, muss sich das im Fahrbetrieb auswirken. Denn die abnehmende Beladung mit Betriebsstoff hätte zwingend eine Änderung der Schwerpunktlage zur Folge und damit ein geändertes Fahrverhalten, siehe Bild 104.5. a. a. O. Bei einer Ursachenanalyse, worauf das geänderte Fahrverhalten zurückzuführen ist, kann die im Vergleich zum Fahrzeuggewicht große und über den Rennverlauf ständig abnehmende Betriebsstoffmasse gar nicht übersehen werden. Denn bezogen auf die vom Beschwerdeführer angegebenen Fahrzeug- und Betriebstoffmassen wirkt sich die Betriebsstoffabnahme mit einem zum Rennende stetig ansteigenden Fehler von bis zu 44% auf die Schwerpunktlage aus. Ob man deshalb die Nichtberücksichtigung der abnehmenden Betriebsstoffmasse als Fehlkonstruktion bezeichnen würde, kann dahinstehen. Jedenfalls muss der Fachmann einen derart gravierenden Einfluss auf das Fahrverhalten des Rennfahrzeuges erkennen und berücksichtigen indem er versucht, den Gesamtschwerpunkt durch geeignete konstruktive Maßnahmen in der Mitte des Radstandes zu halten. In diesem handwerklich korrekten Vorschlag erschöpft sich die ursprüngliche Idee des Anmelders, die insoweit im geltenden Patentanspruch 1 enthalten ist. Davon, dass dazu das nachgewiesene Fachwissen vollständig ausreicht und es einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte, ist der Senat überzeugt.
Das Fahrzeug gemäß geltendem Patentanspruch 1 ist mithin nicht patentfähig.
5. Unteranspruch
Das Schicksal des vorstehend behandelten Patentanspruchs 1 teilt der darauf zurückbezogene Patentanspruch 2, denn die darin enthaltene Toleranzangabe ist allenfalls fachüblich und hat keine eigenständige erfinderische Bedeutung. Dies hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht.