Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.01.2016


BPatG 14.01.2016 - 8 W (pat) 6/13

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Pressbacke oder Presskette für ein hydraulisches oder mechanisches Verpressgerät" – neue Widerrufsgründe im Einspruchsbeschwerdeverfahren – Zulassung des neuen Widerrufsgrundes wurde widersprochen - keine Überprüfung des neuen Widerrufsgrundes


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
14.01.2016
Aktenzeichen:
8 W (pat) 6/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 102 36 848

hat der 8. Senat (Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. phil. nat. Zehendner sowie die Richter Dr. agr. Huber und Dipl.-Ing. Rippel und die Richterin Grote-Bittner

beschlossen:

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Auf die am 10. August 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 102 36 848 mit der Bezeichnung „Pressbacke oder Presskette für ein hydraulisches oder mechanisches Verpressgerät“ erteilt und die Erteilung am 17. Februar 2011 veröffentlicht worden.

2

Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 12. Mai 2011, der am selben Tag beim Deutschen- Patent- und Markenamt eingegangen ist, fristgerecht Einspruch erhoben und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang beantragt. Als Widerrufsgründe hat die Einsprechende fehlende Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG), insbesondere fehlende Neuheit (§ 3 PatG) und fehlende erfinderische Tätigkeit (§ 4 PatG) sowie unzulässige Erweiterung (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) angegeben.

3

Mit dem in der Anhörung am 21. November 2012 verkündeten Beschluss hat die Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent mit den in der Anhörung eingereichten Unterlagen gemäß Hilfsantrag 1 beschränkt aufrechterhalten. Die schriftliche Abfassung des Beschlusses mit Gründen ist am 7. Dezember 2012 erstellt und den Parteien zugestellt worden. Nach Auffassung der Patentabteilung beruhe der erteilte Streitgegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit, so dass lediglich der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag Bestand habe.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents bereits in der Fassung des Hauptantrags gegenüber dem Stand der Technik patentfähig sei.

5

Die Einsprechende widerspricht den Ausführungen der Patentinhaberin und führt aus, dass der Streitpatentgegenstand des angegriffenen Patents nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Entgegenhaltung D1 nicht neu sei. Ergänzend führt sie aus, dass der erteilte Patentanspruch nicht nur wegen fehlender Patentfähigkeit sondern auch wegen mangelnder Ausführbarkeit gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG zu widerrufen sei. Sie gesteht zwar zu, dass sie diesen Einspruchsgrund nicht wörtlich genannt habe, jedoch bereits im Einspruchsschriftsatz mangels Klarheit des Patentanspruchs 1 den Patentgegenstand auslegen musste und dadurch den weiteren Widerrufsgrund der nicht hinreichend deutlichen und vollständigen Offenbarung der Erfindung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG eingebracht habe.

6

Zur Stützung ihres Einspruchs hat die Einsprechende im Laufe des Verfahrens folgende Dokumente eingereicht:

7

D1: DE 295 21 410 U1

8

D2: EP 0 361 360 B1

9

D3: DE 27 252 80 A1

10

D4: mapress pressfitting system (Opel)- Lieferprogramm-Industrie. Ausg. Oktober 2001, Langenfeld, S. 1-19 - Firmenschrift

11

D5: mapress pressfitting system Montage- und Einbauanweisung, Technische Information Industrie, Ausg. 03/02 (März / 2002), Langenfeld, S. 1-20 -Firmenschrift

12

Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin beantragt,

13

den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. November 2012 aufzuheben und das Patent 102 36 848 in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

14

Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin beantragt,

15

die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

16

Die Patentinhaberin, die der Einführung des neuen Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG im Beschwerdeverfahren ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung widersprochen hat, hält die Berücksichtigung dieses Widerrufsgrundes für unzulässig. Sie bestreitet, dass der neue Widerrufsgrund von der Einsprechenden bereits in dem Einspruchsverfahren vorgetragen worden sei und verweist hierzu auf die schriftliche Beschlussbegründung vom 7 Dezember 2012, in der dieser Widerrufsgrund nicht erwähnt ist. Auch im Übrigen widerspricht sie den Ausführungen der Einsprechenden und führt aus, dass der erteilte Streitpatentgegenstand nach dem Patentanspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D1 neu sei und gegenüber den im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

17

Der erteilte Patentanspruch 1 gemäß Streitpatentschrift lautet mit einer vom Senat ergänzten Merkmalsgliederung:

18

1. Pressbacke (1) oder Presskette (20) für ein hydraulisches oder mechanisches Verpressgerät,

19

1.1. zur Verpressung eines Rohres (24)

20

2. mit einem rohrabschnittförmigen Verpressfitting (25),

21

3. mit zwei oder mehr Presselementen (3) und

22

4. einer an den Verpressfitting (25) angepassten Verpressgeometrie der Presselemente (3),

23

5. wobei in einem Presselement (3) zwei in Längsrichtung des Verpressfittings (25) nebeneinander ausgebildet angeordnete Verpresszonen (10, 11) unterschiedlicher Verpressgeometrie vorgesehen sind,

24

6. von welchen eine erste Verpresszone (10) einem an dem Verpressfitting (25) ausgebildeten Ringwulst (26) zugeordnet ist,

25

dadurch gekennzeichnet,

26

7. dass beide Verpresszonen (10, 11) mit einer unrunden Verpressgeometrie ausgebildet sind,

27

7.1. zur Erzielung einer solch gleichmäßigen Verformung der ersten Verpresskammer, dass das innenliegende Dichtelement nahezu gleichmäßig hinsichtlich Anpressdruck und Anpressfläche an den ihn umgebenden Oberflächenbereichen der ringnutartig ausgebildeten ersten Verpresszone und des koaxial liegenden Rohrabschnittes zur Anlage kommt,

28

8. wobei die Abweichung von einer gedachten Kreislinie über jeweils mindestens 80% des Umfangs gegeben ist.

29

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 19 sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.

II.

30

1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht erfolgreich, da der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Patentschrift nicht patentfähig ist.

31

2. Das Streitpatent betrifft eine Pressbacke oder Presskette.

32

Nach den Ausführungen in Abs. [0002] und [0003] der Streitpatentschrift sind derartige Presswerkzeuge bekannt. Bei der Herstellung einer Rohrpressverbindung werden plastisch verformbare Verpressfittinge mit eingelegtem O-Ring und Rohrenden durch eine plastische Verformung kraft- und formschlüssig miteinander verbunden. Die plastische Verformung erfolgt in bekannter Weise mittels einer zweiarmigen Pressbacke mit zwei Presselementen oder einer mehrgliedrigen Kette, welche mehrere Presselemente aufnehmen kann und sich zum Pressende hin zu einem geschlossenen Pressraum ausformt bzw. ergänzt.

33

Der Verformungsvorgang findet in mindestens zwei Ebenen statt, der Festigkeits- und Dichtungsebene und darüber hinaus gegebenenfalls einer dazwischenliegenden Zone. In der Festigkeitsebene werden Rohr und Fitting, im zylindrischen Abschnitt durch einen mehreckigen, vorzugsweise Sechs- bis Achtkant, einen ovalen, zitronenförmigen oder sonstigen von einer kreisrunden Form abweichenden Pressraum plastisch bleibend verformt, so dass die gewünschten Verdreh- und Auszugskräfte erreicht werden. Gleichzeitig wird in der Dichtheitsebene die Ringnut radial kreisförmig, unter Durchmesserverringerung in Richtung seines Mittelpunktes plastisch bleibend verformt, so dass der innenliegende Dichtring eine elastische Verformung erhält.

34

Die zwischen Festigkeits- und Dichtungsebene liegende Zone hat eine Niederhalterfunktion. Nachteilig an dieser bekannten Lösung ist, dass die von der Kreisrundform abweichende Verformung der Dichtigkeitsebene in einem relativ kleinen axialen Abstand zur kreisförmigen Verformung der Dichtheitsebene liegt. Dadurch wird die angestrebte gleichförmige Dichtringverformung nicht oder nur bedingt möglich. Die Ringnut am Pressfitting nimmt in der Dichtheitsebene an ihrem oberen Scheitelpunkt und an ihren oberen Flanken die negative Kreisform des Raums der Pressbacke oder Kette an. Der untere Teil der Ringnut und der koaxial innenliegende Rohrabschnitt wird durch die axial naheliegende, von der kreisrundförmig abweichenden Verformung der Festigkeitsebene nachteilig so mitverformt, dass die verbleibende Dichtringkammer der Ringnut in ihrer Form ungleichmäßig wird. Daraus folgt, dass auch der Anpressdruck und die Anpressfläche des Dichtrings an der inneren Ringnutwand des Fittings und am koaxial innenliegenden Rohrabschnitt axial und radial ungleichmäßig ist.

35

Daher besteht nach den Ausführungen in Absatz [0004] der Streitpatentschrift die Aufgabe der Erfindung darin, eine Verpressgeometrie der in Rede stehenden Art unter Berücksichtigung der vorgenannten Nachteile verbessert auszugestalten.

36

Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt nach den Angaben in der Patentschrift durch ein Pressbacke oder Presskette mit den im erteilten Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen.

37

Als Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen, der auf dem Gebiet der Konstruktion und Herstellung von Verpresswerkzeugen für Rohrpressverbindungen mit Pressfittings tätig ist und über mehrere Jahre Berufserfahrung verfügt.

38

3. Die erteilten Patentansprüche gemäß Streitpatentschrift, über die vorliegend zu entscheiden ist, sind in den Ursprungsunterlagen offenbart.

39

Die Merkmale 1 bis 7 des geltenden Patentanspruchs 1 sind im ursprünglichen Anspruch 1 offenbart; die Merkmale 7.1 und 8 sind auf Seiten 3 und 4, oben der ursprünglichen Beschreibung offenbart. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 19 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2, 3 und 8 bis 23.

40

4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatentschrift ist gegenüber der Druckschrift D1 nicht neu.

41

Die D1 beschreibt bereits Pressbacken für ein mechanisches Verpressgerät, zur Verpressung eines Rohres (1) mit einem rohrabschnittförmigen Verpressfitting (2), mit zwei oder mehr Presselementen (12, 18) und einer an den Verpressfitting (2) angepassten Verpressgeometrie der Presselemente (12, 18) entsprechend den Merkmalen 1 bis 4 des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatentschrift.

42

In einem Presselement (12, 18) sind gemäß Figur 3 ersichtlich mindestens zwei (nämlich vier) in Längsrichtung des Verpressfittings (2) nebeneinander angeordnete Verpresszonen (14, 15, 16, 17) unterschiedlicher Verpressgeometrien vorgesehen, von welchen eine erste Verpresszone (14) einem an dem Verpressfitting (2) ausgebildeten Ringwulst (5) zugeordnet ist (Merkmale 5 und 6).

43

Einige dieser Verpresszonen, insbesondere die beiden Verpresszonen (14) und (15) sind mit einer unrunden Verpressgeometrie ausgebildet (Merkmal 7). Die (zweite) Verpresszone (15) hat - wie aus der Figur 3 deutlich ersichtlich ist - die Form eines abgerundeten Vierecks, wie es auch auf Seite 10, 4. Absatz der D1 ausdrücklich beschrieben ist.

44

Auch die erste Verpresszone (14) hat eine unrunde Verpressgeometrie, wenngleich dies in der Figur 3 anders erscheint. Denn nach den Ausführungen auf Seite 10, letzter Absatz bis Seite 11, 1. Absatz hat die erste Verpresszonengeometrie (14) in vertikaler Richtung den größten und in horizontaler Richtung den kleinsten Durchmesser - sie ist also ovalförmig. Ein Oval hat mit einer gedachten Kreislinie in der Regel nur zwei Berührpunkte und weicht von daher zu fast 100% des Umfangs von einer gedachten Kreislinie ab.

45

Weil auch die (zweite) Verpresszone (15), die die Form eines abgerundeten Vierecks hat, wie aus der Figur 3 ersichtlich ist, erheblich über 80% des Umfangs von einer gedachten Kreislinie abweicht, ist daher auch das Merkmal 8 bei der bekannten Pressbacke nach der D1 verwirklicht.

46

Ebenso wie das Streitpatent strebt die Gestaltung der bekannten Pressbacken für ein mechanisches Verpressgerät nach der D1 entsprechend den Ausführungen auf Seite 11, Zeilen 6 bis 9 die Vermeidung von Quetschungen des Ringwulstes und daher, wie auch sinngemäß auf Seite 12, letzter Absatz beschrieben ist, die Erzielung einer gleichmäßigen Verformung der ersten Verpresskammer an, damit das innenliegende Dichtelement gleichmäßig hinsichtlich Anpressdruck und Anpressfläche an den ihn umgebenden Oberflächenbereichen der ringnutartig ausgebildeten ersten Verpresszone und des koaxial liegenden Rohrabschnittes zur Anlage kommt (Merkmal 7.1).

47

Somit sind alle Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatentschrift aus der D1 bekannt.

48

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin unter Verweis auf die Ansprüche 11 ff. oder den 4. Absatz der Seite 7 der D1 kann schon deshalb nicht überzeugen, weil es dort - wie aus den in den Ansprüchen eingefügten Bezugszeichen erkennbar ist - eindeutig um die Ausgestaltung des Pressbereichs der Ringwulst geht, wie aus der Figur 2 ersichtlich ist, also um den Querschnitt der O-Ringschnur und der entsprechend daran angepassten Kontur des Verpressfittings und der Pressbacke und nicht um die Verpressgeometrie der Verpresszonen entsprechend Merkmal 7.

49

Die Entscheidung der Patentabteilung ist im Ergebnis somit zutreffend.

50

5. Der Einspruchsgrund der unzureichenden Offenbarung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG ist nicht zu überprüfen, weil dieser Einspruchsgrund ausweislich der Schriftsätze sowie des Protokolls über die Anhörung vor der Patentabteilung, dessen Richtigkeit selbst die Einsprechende nicht bestreitet, und der schriftlichen Begründung des Beschlusses, datiert vom 7. Dezember 2012, im Einspruchsverfahren von der Einsprechenden nicht geltend gemacht und auch von der Patentabteilung nicht von Amts wegen eingeführt worden ist. Vielmehr war die mit der Beschwerde angegriffene Einspruchsentscheidung der Patentabteilung ausschließlich auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. §§ 3 und 4 PatG gestützt.

51

Die Auslegung der Patentansprüche ist grundsätzlich erforderlich, sei es für die Beurteilung der Patentfähigkeit oder zur Bestimmung des Schutzumfangs der Erfindung. Sie kann - entgegen der Auffassung der Einsprechenden - nicht als Vorbringen des Widerrufsgrunds der nicht hinreichend deutlichen und vollständigen Offenbarung der Erfindung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG verstanden werden.

52

Die Patentinhaberin hat der Zulassung dieses neuen Widerrufsgrundes auch ausdrücklich widersprochen, so dass auf diesen sachlich nicht einzugehen ist (vgl. BGH GRUR 1995, 333 – Aluminium-Trihydroxid; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 59, Rn. 196).