Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 18.07.2011


BPatG 18.07.2011 - 8 W (pat) 33/10

Patentbeschwerdeverfahren – "Blaskopf für eine Blasfolienextrusionsanlage" – Zurückweisung einer Anmeldung nach Ablauf der Äußerungsfrist auf einen Prüfungsbescheid - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Bescheidserwiderung ist vor Ablauf der Äußerungsfrist eingegangen – aufgrund falschen Bezugs des Anmelders in der Bescheidserwiderung ist diese zunächst nicht zur richtigen Akte gelangt


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
18.07.2011
Aktenzeichen:
8 W (pat) 33/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2007 050 694.7-16

hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 18. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Zehendner und die Richter Dipl.-Ing. agr. Dr. Huber, Kätker und Dipl.-Ing. Dr. Dorfschmidt

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 29 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Juli 2010 aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Anmelder hat am 22. Oktober 2007 die Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Blaskopf für eine Blasfolienextrusionsanlage" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Mit Prüfungsbescheid vom 8. September 2008 hat die Prüfungsstelle unter Hinweis auf verschiedene Entgegenhaltungen ausgeführt, dass dem Gegenstand der Anmeldung nach Anspruch 1 die erfinderische Tätigkeit, nach Patentanspruch 7 bereits die Neuheit fehle. Eine Patenterteilung sei mit den vorliegenden Unterlagen nicht möglich. Dem Anmelder ist Äußerungsfrist von vier Monaten gewährt worden.

2

Hierauf hat der Anmelder zunächst mehrere, von der Prüfungsstelle stillschweigend gewährte Gesuche auf Verlängerung der Äußerungsfrist eingereicht, zuletzt (mit Eingabe vom 24. März 2010) bis zum 16. Juni 2010.

3

Mit Eingabe vom 13. Juni 2010, eingegangen per Telefax am gleichen Tag und als Original am 15. Juni 2010, hat die Anmeldervertreterin mit einem 12 Seiten umfassenden Schriftsatz ausführlich zum Prüfungsbescheid und den darin aufgeführten Entgegenhaltungen Stellung genommen. Zugleich hat sie neue Patentansprüche 1 - 11 eingereicht. In der Betreffzeile des Schriftsatzes wird das Anmeldeverfahren fälschlich mit folgenden, sich auf ein anderes Anmeldeverfahren desselben Anmelders beziehenden Angaben bezeichnet: "Deutsche Patentanmeldung 10 2006 030 119.6-27 "Verfahren und Vorrichtung zur Bearbeitung von Endlosbahnen aus flexiblem Material" des Herrn …". Aus dem Inhalt der Eingabe geht hingegen hervor, dass sie sich auf den Gegenstand "Blaskopf für eine Blasfolienextrusionsanlage" bezieht.

4

Die Eingabe ist zunächst nicht zur Akte der vorliegenden Patentanmeldung 10 2007 050 694.7-16 und damit auch nicht zur Kenntnis der Prüfungsstelle gelangt. Daraufhin hat die Prüfungsstelle die Anmeldung mit Beschluss vom 20. Juli 2010 nach § 48 PatG zurückgewiesen, wobei sie zur Begründung auf die Gründe des Prüfungsbescheids vom 8. September 2008 Bezug genommen hat.

5

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Anmelders, mit der er zuletzt nur noch sinngemäß beantragt,

6

den angefochtenen Beschluss aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

7

Zur Begründung weist er darauf hin, dass er rechtzeitig vor Ablauf der bis zum 16. Juni 2010 laufenden Äußerungsfrist eine Bescheidserwiderung und neue Patentansprüche eingereicht hat. Dazu hat er u. a. Kopien des Telefax-Sendeberichts seiner Vertreterin vom 13. Juni 2010 über die Absendung der Bescheidserwiderung vom 13. Juni 2010 sowie einer Empfangsbescheinigung über den Eingang des nachgereichten Originals der Bescheidserwiderung, versehen mit einem Eingangsstempel des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Juni 2010, vorgelegt.

8

Weiter führt der Anmelder aus, dass sich das Patentamt in der Sache noch nicht mit seiner Bescheidserwiderung auseinandergesetzt habe und es in seinem Sinne sei, wenn die Sache zur weiteren Prüfung an die Prüfungsstelle zurückverwiesen werde.

II.

9

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als der angegriffene Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung der Anmeldung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen ist, § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG.

10

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die für die Entscheidung wesentlich sind. Hierzu gehört insbesondere eine Änderung des Patentbegehrens. Werden Ansprüche, Beschreibung oder Zeichnungen geändert, so wird damit eine neue Tatsache bekannt, die grundsätzlich eine Zurückverweisung möglich macht, sofern es sich um eine wesentliche Änderung handelt, so dass der angefochtene Beschluss nicht mehr als eine Entscheidung über das neue Begehren angesehen werden kann, insbesondere wenn das neu formulierte Begehren eine Nachrecherche erforderlich macht (vgl. Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 79, Rdn. 27).

11

Vorliegend sind neue Patentansprüche 1 bis 11 innerhalb der beantragten und durch Stillschweigen gewährten Fristverlängerung beim Patentamt eingegangen, die sich inhaltlich von den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Patentansprüchen unterscheiden. Es ist den im Bescheid vom 8. September 2008 hinsichtlich der Patentfähigkeit geäußerten Bedenken Rechnung getragen und die unabhängigen ursprünglichen Patentansprüche 1 und 7 sind beschränkt worden. Auf den nach Ansicht der Prüfungsstelle unklaren Patentanspruch 8 wurde verzichtet. Somit liegt ein neues Patentbegehren mit wesentlichen Änderungen vor, das darüber hinaus mit einer erstmalig versehenen umfangreichen Äußerung des Patentinhabers begründet ist.

12

Es kann im Übrigen dahinstehen, ob die neuen Patentansprüche vom 13. Juni 2010 eine so wesentliche Änderung enthalten, dass dies bereits für sich genommen eine Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG rechtfertigen kann. Hier kommt hinzu, dass  objektiv  insofern auch ein Verfahrensfehler i. S. d. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG vorliegt, als eine sich inhaltlich auf die vorliegende Anmeldung beziehende Bescheidserwiderung mit neuen Ansprüchen vor Ablauf der Äußerungsfrist beim Patentamt eingegangen, bei Erlass des Zurückweisungsbeschlusses aber nicht berücksichtigt worden ist, so dass der Anspruch des Anmelders auf Gewährung rechtlichen Gehörs versagt wurde. Zwar kann dem Patentamt nicht der Vorwurf eines Verfahrensfehlers gemacht werden, da die Eingabe vom 13. Juni 2010 in ihrer Betreffzeile die Daten eines anderen Verfahrens enthielt, so dass sie zunächst zu diesem anderen Vorgang genommen wurde und die Fehlzuordnung möglicherweise erst bei dessen Bearbeitung auffiel. Dennoch ist der Zweck des § 79 Abs. 3 PatG zu berücksichtigen. Die Vorschrift dient der sachgerechten Durchführung der Prüfung auf Patentfähigkeit, die vom Patentamt mit dem ihm zur Verfügung stehenden Prüfstoff besser durchgeführt werden kann und die insbesondere im Falle einer notwendigen neuen Sachaufklärung angezeigt ist (vgl. Schulte, a. a. O., § 79 Rdn. 16).

13

Hier ist angesichts der ausführlichen Stellungnahme des Anmelders zum Prüfungsbescheid und der Einreichung neuer Ansprüche eine weitere Aufklärung erforderlich (s. o.). Die Sache ist somit noch nicht entscheidungsreif, vielmehr ist das Prüfungsverfahren unterbrochen worden und muss nunmehr fortgesetzt werden. Es entspricht daher dem Sinn des § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine dem Fall des § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG nahekommende Fallvariante vorliegt, dem Anmelder eine Fortsetzung des unterbrochenen Prüfungsverfahrens vor dem Patentamt zu ermöglichen. Nachdem der Anmelder mit seinem Beschwerdeantrag deutlich gemacht hat, dass er sich mit einem Instanzverlust nicht abfinden will, übt der Senat das ihm nach § 79 Abs. 3 PatG gewährte Ermessen dahingehend aus, dass er den angefochtenen Beschluss aufhebt, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.