Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.05.2015


BPatG 28.05.2015 - 8 W (pat) 30/12

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges" – zu im Einspruchsbeschwerdeverfahren vorgebrachten neuen Widerrufsgründen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
28.05.2015
Aktenzeichen:
8 W (pat) 30/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2008 033 130

hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. phil. nat. Zehendner sowie die Richter Dr. agr. Huber, Dipl.-Ing. Rippel und die Richterin Grote-Bittner

beschlossen:

Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Auf die am 15. Juli 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 10 2008 033 130 mit der Bezeichnung „Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges“ erteilt und die Erteilung am 11. Februar 2010 veröffentlicht worden.

2

Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 11. Mai 2010, der am selben Tag beim Deutschen- Patent- und Markenamt eingegangen ist, fristgerecht Einspruch erhoben und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang beantragt. Als Widerrufsgründe hat die Einsprechende fehlende Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) angegeben und sich dabei auf fehlende Neuheit (§ 3 PatG) und fehlende erfinderische Tätigkeit (§ 4 PatG) gestützt.

3

Auf den Einspruch der Einsprechenden hat die Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts mit dem in der Anhörung am 30. März 2011 verkündeten Beschluss das Patent aufrechterhalten. Die schriftliche Abfassung des Beschlusses mit Gründen ist am 15. September 2011 erstellt und den Parteien gemäß Empfangsbestätigungen am 19. September 2011 zugestellt worden. Nach Auffassung der Patentabteilung könne der druckschriftlich entgegengehaltene Stand der Technik weder für sich noch in Kombination die Merkmale des streitpatentgemäßen Verfahrens nach Patentanspruch 1 vorwegnehmen oder nahelegen.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie meint, dass das Streitpatent zu widerrufen sei, da es nicht über die Schutzvoraussetzungen gemäß §§ 3, 4 PatG verfüge und darüberhinaus das Streitpatent die vermeintliche Erfindung nicht so deutlich und hinreichend offenbare, dass der Fachmann sie ausführen könne. Zu dem Widerrufsgrund gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG führt sie aus, dass die Einsprechende im Verlauf der mündlichen Anhörung am 30. März 2011 vor der Patentabteilung bereits in Erweiterung ihres Antrags vom 11. Mai 2010 den weiteren Widerrufsgrund der nicht hinreichend deutlichen und vollständigen Offenbarung der Erfindung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG eingebracht habe.

5

Im Übrigen widerspricht sie der Auffassung der Patentabteilung. Sie hält das angegriffene Patent für nicht rechtsbeständig, weil der Streitpatentgegenstand nach dem Patentanspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D2 nicht neu sei, zumindest jedoch nicht in Zusammenschau mit der D1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

6

Zur Stützung ihres Einspruchs hat die Einsprechende im Laufe des Verfahrens folgende Dokumente eingereicht:

7

D1: DE 199 03 216A1

8

D2: EP 1 034 865 B1

9

D3: Handbuch: CATIA Manufacturing Infrastructure, User´s Guide, Version 4, Dassault Systemes 1997, Seiten 70 bis 77

10

D4: DE 196 09 239 A1

11

Die Einsprechende und Beschwerdeführerin beantragt,

12

den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 30. März 2011 aufzuheben und das Patent 10 2008 033 130 zu widerrufen.

13

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,

14

die Beschwerde zurückzuweisen.

15

Die Patentinhaberin, die der Einführung des neuen Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG im Beschwerdeverfahren ausdrücklich im Schriftsatz vom 11. Februar 2011 widerspricht, hält die Berücksichtigung dieses Widerrufsgrundes für unzulässig. Sie bestreitet, dass der neue Widerrufsgrund von der Einsprechenden bereits in der Anhörung vor der Patentabteilung am 30. März 2011 vorgetragen worden sei, und verweist hierzu auf das Protokoll der Anhörung sowie die schriftliche Beschlussbegründung vom 15. September 2011, in denen dieser Widerrufsgrund nicht erwähnt ist. Auch im Übrigen widerspricht sie den Ausführungen der Einsprechenden und führt aus, dass das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D2 neu sei und gegenüber den im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

16

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet mit einer vom Senat ergänzten Merkmalsgliederung:

17

1. Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils (1) aus einem Rohteil (2)

18

2. mittels eines Fräswerkzeuges (3),

19

3. wobei das Fräswerkzeug (3) während des Eintauchens in ein Material des Rohteils (2) in Bezug auf einen Eintauchweg (4) abweichend von der Orientierung (5) des Fräswerkzeuges (3) der unmittelbar darauffolgenden Bearbeitung automatisch in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur Vorschubrichtung verschwenkt wird.

20

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 14 wird auf die Akten Bezug genommen.

21

Mit Ladungszusatz vom 27. April 2015 sind die Parteien darauf hingewiesen worden, dass das Einspruchsverfahren vor dem Patentamt im Hinblick auf den zwischen Beschlussverkündung und –abfassung liegenden mehrmonatigen Zeitraum an einem wesentlichen Verfahrensfehler i. S. d. § 79 Abs. 3 PatG leide, und zum anderen, dass auf den Einspruchsgrund der unzureichenden Offenbarung als erstmals im Beschwerdeverfahren eingeführten Einspruchsgrund nach dem Widerspruch der Patentinhaberin nicht einzugehen sein dürfte.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

23

1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht erfolgreich, da der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 patentfähig ist.

24

2. Eine Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt war nicht veranlasst.

25

Das Einspruchsverfahren vor der Patentabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes leidet zwar an einem wesentlichen Mangel i S. d. § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG, nämlich einem Begründungsmangel, weil zwischen der Verkündung des angefochtenen Beschlusses am 30. März 2011 und seiner schriftlichen Begründung am 15. September 2011 mehr als fünf Monate liegen. Nach einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (veröffentlicht in NJW 1993, 2603) ist ein bei Verkündung nicht vollständig abgefasstes Urteil dann nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung mit allen Unterschriften schriftlich niedergelegt der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Aufgrund der Rechtsnatur des Einspruchsverfahrens als selbständiges Rechtsbehelfsverfahren, das auch als gerichtsähnliches Verfahren bezeichnet wird (vgl. Schulte, PatG, 9. Aufl., § 59, Rn. 28, mit weiteren Nachweisen), sind die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze – wie die vorstehend aufgeführten – anzuwenden. Jedoch steht die Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 PatG im Ermessen des Gerichts, das zurückverweisen kann, aber – selbst bei schweren Verfahrensverstößen – nicht zurückverweisen muss (vgl. BGH BlPMZ 2007, 290 (III2a) – Top Selection; 1998, 150 (III1a) – Active Line). Der Senat hat bei seiner Ermessensentscheidung Instanzenverlust, Verfahrensverzögerung und ausreichende Prüfung in der Sache gegeneinander abzuwägen. Bei einer – wie im vorliegenden Fall – gegebenen Entscheidungsreife kommt wegen des zu beachtenden Gebots der Verfahrensökonomie eine Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt regelmäßig nicht in Betracht, zumal wenn sogar zudem beide Parteien ausdrücklich – wie hier in der mündlichen Verhandlung – bekundet haben, nicht an einer Zurückverweisung interessiert zu sein.

26

3. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges.

27

Nach den Ausführungen in Abs. [0002] bis [0005] der Streitpatentschrift ist eine besondere Bewegungsführung des Fräswerkzeuges in der Regel dann beim Eintauchen des Fräsers in zu bearbeitendes Material von besonderer Bedeutung, wenn das Fräswerkzeug mit überwiegend stirnseitigem Kontakt axial große Zustelltiefen erreichen muss.

28

Bei herkömmlichen Verfahren wird das Material am Startpunkt in einer separaten Operation - beispielsweise mittels Bohren - vorher so entfernt, dass der Startpunkt der Bearbeitung ohne Materialabtrag axial erreicht werden kann.

29

Bei anderen beispielsweise aus der DE 199 03 216 A1 bekannten Verfahren (Fig. 2a bis Fig. 2c) wird ein zusätzlicher rampenförmiger oder helikaler Fräswerkzeugweg berechnet, über den sich das Fräswerkzeug unter einem flachen Winkel der folgenden Bearbeitungsschicht oder der Tangentialebene an den ersten Bahnpunkt kontinuierlich annähert. Auch bei mehrachsigen Bearbeitungen folgt die Werkzeugorientierung üblicherweise der Werkzeugorientierung am ersten Bahnpunkt und bleibt über dem gesamten Eintauchweg unverändert.

30

Nach den Ausführungen in Absatz [0005] sind insbesondere Hochleistungsfräswerkzeuge in ihrer Tauchfähigkeit auf sehr flache Eintauchwinkel begrenzt, was die Bearbeitungszeit verlängert und selbst dann zu erhöhtem Fräswerkzeugverschleiß führt.

31

Daher besteht gemäß Absatz [0006] der Patentschrift die Aufgabe der Erfindung darin, ein Verfahren zum Eintauchen eines Fräswerkzeuges in ein zu entfernendes Material eines Rohteiles zur Verfügung zu stellen, mit welchem sich die obigen Nachteile verhindern lassen, welches mithin Fräswerkzeuge schonender einzusetzen imstande ist und die Prozesssicherheit steigert bzw. insbesondere eine prozesssichere Bearbeitung für schwer zerspanbare Materialien ermöglicht sowie damit einhergehend zu einer erheblichen Reduzierung von Fertigungskosten führt.

32

Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt nach den Angaben in der Patentschrift durch ein Verfahren entsprechend dem Patentanspruch 1.

33

Als Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen, der auf dem Gebiet der Frästechnik tätig ist und über mehrere Jahre Berufserfahrung verfügt.

34

Das Merkmal 3 des Patentanspruchs 1 bedarf einer Auslegung.

35

Unter dem Begriff „Eintauchen in ein Material“ mag im Allgemeinen der Vorgang zu verstehen sein, bei dem das Fräswerkzeug von einem Startpunkt, an welchem es mit dem zu zerspanenden Material noch nicht in Berührung steht, bis zu dem ersten Bahnpunkt der eigentlichen Bearbeitungsfräsbahn verfahren wird. Im vorliegenden Fall versteht das Streitpatent jedoch entsprechend den Ausführungen in Absatz [0002] bis [0005] sowie [0008] den speziellen Eintauchfall, bei dem das Eintauchen des Fräswerkzeugs von einem unbelasteten Startpunkt in eine Oberfläche gemeint ist und dadurch eine bestimmte axiale Zustelltiefe erreicht werden soll, was herkömmlich mit den stirnseitigen Schneiden am Fräswerkzeug [0005] oder aber durch die in den Absätzen [0003] und [0004] beschriebenen speziellen Fräswerkzeugwege gelöst wird.

36

4. Die erteilten Patentansprüche sind ursprünglich offenbart und somit zulässig.

37

Die Merkmale 1 bis 3 des geltenden Patentanspruchs 1 sind in dem ursprünglichen Patentanspruch 1 offenbart. Die erteilten Ansprüche 2 bis 13 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 bis 13.

38

Die Merkmale des Anspruchs 14 sind in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 4, vorletzter Absatz, offenbart.

39

5. Die Neuheit des zweifellos gewerblich anwendbaren Verfahrens zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges des Patentanspruchs 1 ist gegeben.

40

Die von der Beschwerdeführerin als neuheitsschädlich angesehene D2 betrifft ein Fräsverfahren zur Herstellung einer Turbinenschaufel (2) aus einem beliebigen Rohteil. Ziel der D2 ist es mit möglichst wenig „Luftfahrten“ eine Turbinenschaufel herzustellen. Dazu wird entsprechend der Figur 2b das Fräswerkzeug von der Außenkontur des Rohteils (1) zur Kontur (2') der Turbinenschaufel (2) geführt und zwar entlang mehrerer kontinuierlichen spiralförmiger Führungsbahnen, nämlich jeweils dreidimensionale (7') und zweidimensionale (7) Führungsbahnen abwechselnd. In anderen Ausführungsformen entsprechend den Figuren 2c und 2a kann das Fräswerkzeug auch mehrmals neu angesetzt werden, wozu einige wenige „Luftfahrten" erforderlich sind. Dieses neue Ansetzen erfolgt ebenso wie das erstmalige Ansetzen – wie in Figur 4 gezeigt – durch ein radiales Einfahren des leicht schräg gestellten Fräswerkzeugs in eine Seitenfläche des Rohteils. Ein Eintauchen in eine Oberfläche des Rohteils im Sinne des Streitpatents ist dieses (radiale) Einfahren in das Rohteil jedoch nicht, weil keine axiale Zustelltiefe bezüglich einer Oberfläche erreicht wird.

41

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgt ein Eintauchen bei der D2 zumindest im Ausführungsbeispiel nach Figur 2b, bei dem sich dreidimensionale und zweidimensionale Führungsbahnen abwechseln, wozu sie auf die Ausführungen in Anspruch 7 und Absatz [0012] der D2 verweist, wonach das Fräswerkzeug entlang der zweidimensionalen Führungsbahn zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn bewegt wird.

42

Dieser Auffassung kann der Senat jedoch nicht beitreten. Denn die zentrale Lehre der D2 liegt nach seinem Patentanspruch 1, auf den auch der angesprochene Patentanspruch 7 mittelbar rückbezogen ist, darin, dass das Fräswerkzeug zur Herstellung des Fertigteils entlang einer (oder auch mehrerer) spiralförmiger Führungsbahnen unter stetigem Materialabtrag eine kontinuierliche Gestaltänderung vom Rohteil zum Fertigteil erfährt. Demzufolge lehrt die D2 dem Fachmann an dieser Stelle mit dem stetigen Materialabtrag und der kontinuierlichen Gestaltänderung gerade kein Eintauchen im Sinne des Streitpatents, weil auch dort im Übergang von dreidimensionaler und zweidimensionaler Führungsbahn der Materialabtrag stetig, also mit einem ununterbrochenen Schnitt und somit ohne „Luftfahrt“ stattfinden soll. Demgegenüber setzt ein Eintauchen im Sinne des Streitpatents einen unterbrochenen Schnitt, also eine „Luftfahrt“, voraus, bei dem das Fräswerkzeug nach einer Bearbeitung zunächst wieder unbelastet ist, bevor es auf die neue Zustelltiefe eintaucht.

43

Dieser unterbrochene Schnitt oder die erforderliche „Luftfahrt“ im Übergang von dreidimensionaler und zweidimensionaler Führungsbahn ist in der D2 weder unmittelbar noch eindeutig offenbart.

44

Doch selbst dann, wenn man unterstellt, der Fachmann fasse die Bewegung in Form der zweidimensionalen Führungsbahn zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn als Eintauchvorgang auf, zeigt das bekannte Verfahren nicht alle Merkmale des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Denn das sich aus der D2 ergebende Verfahren gibt keinerlei Hinweise darauf, dass – entsprechend der Lehre des Merkmals 3 des Streitpatents – diese Bewegung zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn durch eine Schwenkbewegung des Fräswerkzeugs in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur Vorschubrichtung erfolgen soll, die abweichend von der Orientierung des Fräswerkzeuges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist. Denn ein Verschwenken während des Eintauchens lehrt auch das Ausführungsbeispiel gemäß der Figur 2b nicht. Vielmehr offenbart die D2 lediglich ein allgemeines „Bewegen“ zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn.

45

Mangels der Offenbarung eines Verschwenkens des Fräswerkzeugs beim Eintauchen kann folglich die D2 auch nicht die spezielle Art der Schwenkbewegung gemäß Merkmal 3 offenbaren, wonach diese in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur Vorschubrichtung erfolgen soll, die abweichend von der Orientierung des Fräswerkzeuges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist.

46

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist dies auch nicht dem Absatz [0012] der D2 zu entnehmen. Denn demnach erfolgt eine Ausrichtung des Fräswerkzeugs zur Bearbeitung der Fräskurven bei der D2 – entgegen der Lehre des Merkmals 3 des Patentanspruchs 1 - stets in Abhängigkeit von der gewünschten Fräsbahn, nämlich aus dem Kreuzprodukt vom Tangentenvektor an der Spiralkurve des jeweiligen Berührungspunktes und dem Normalenvektor der Bearbeitungsebene, wobei die Ausrichtung des Fräswerkzeugs bezüglich des Vektors aus diesem Kreuzprodukt in Vorschubrichtung geneigt wird (zweidimensionaler Fall) oder dem Normalenvektor der Äquipotentialfläche des jeweiligen Berührungspunktes, wobei die Ausrichtung des Fräswerkzeugs bezüglich des Normalenvektors in Vorschubrichtung geneigt wird (dreidimensionaler Fall).

47

Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist daher neu gegenüber der D2.

48

Die D1 zeigt ein Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Kugelkopf-Fräswerkzeuges. Hierzu werden die Kugelkopf-Fräswerkzeuge entsprechend den Figuren 4 und 9 (bzw. 10 und 11 gem. dem Stand der Technik) jeweils über schräge Eintauchwege an den Startpunkt der eigentlichen Fräsbahn gefahren und unmittelbar anschließend das Werkstück auf einer Fräsbahn zerspant, die der Bewegungsrichtung des Eintauchens entgegengesetzt ist.

49

Allen diesen aus der D1 bekannten Bearbeitungsverfahren ist gemeinsam, dass die Orientierung des Fräswerkzeuges, d. h. die Ausrichtung der Fräswerkzeugdrehachse in Bezug auf das Maschinenkoordinatensystem, über den gesamten Eintauchweg identisch ist mit der Orientierung des Fräswerkzeugs im Startpunkt der sich unmittelbar an den Eintauchweg anschließenden Fräsbahn (siehe E1, Fig. 4, 9, 10 und 11).

50

Ein Verschwenken des Fräswerkzeugs während des Eintauchens entsprechend Merkmal 3 ist daher aus der D1 nicht bekannt.

51

6. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn für die im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmale vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik keine Anregungen.

52

Nächstliegenden Stand der Technik bildet zweifellos die D1, weil sie bereits ein Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges zeigt und auch das Problem thematisiert, beim Eintauchvorgang des Fräswerkzeugs in das Werkstück die Last zu begrenzen, um die Lebensdauer des Fräswerkzeugs nicht zu verringern.

53

Im Bestreben, sein Verfahren stets weiter zu entwickeln, mag sich der Fachmann veranlasst sehen, die Erkenntnisse der D1 beim Eintauchen des Fräswerkzeugs nicht nur bei den in der D1 gezeigten Kugelkopffräswerkzeugen, sondern auch bei gattungsgemäßen Hochleistungsfräsern anzuwenden, wie sie beispielsweise auch aus der D2 bekannt sind. Es mag daher für ihn naheliegen, die Lehre der D1 auf Hochleistungsfräser gemäß der D2 übertragen und das Fräswerkzeug über schräge Eintauchwege an den Startpunkt der eigentlichen Fräsbahn zufahren und unmittelbar anschließend das Werkstück auf einer Fräsbahn zu zerspanen, die der Bewegungsrichtung des Eintauchens entgegengesetzt ist. Damit gelangt der Fachmann jedoch nicht zum Verfahren gemäß Patentanspruch 1, weil damit keine Schwenkbewegung des Fräswerkzeugs in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur Vorschubrichtung erfolgt, die abweichend von der Orientierung des Fräswerkzeuges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist.

54

Andererseits mag es sich dem Fachmann noch anbieten, auf ein Eintauchen im Sinne der D1 völlig zu verzichten und entsprechend der Lehre der D2 zunächst rein radial in das Rohteil einzufahren und in der Folge das Fräswerkzeug entlang einer oder mehrerer spiralförmiger Führungsbahnen unter stetigem Materialabtrag zu führen, bis das Fertigteil hergestellt ist. Auch damit gelangt er jedoch nicht zum Verfahren gemäß Patentanspruch 1.

55

Die übrigen im Zuge des Verfahrens in Betracht gezogenen Druckschriften liegen weiter ab vom streitpatentgemäßen Verfahren und sind von der Einsprechenden und Beschwerdeführerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr aufgegriffen worden. Die D3 ist ein Auszug aus dem Handbuch „CATIA Manufacturing infrastructure", User's Guide, Version 4, 1997 und beschreibt die Erstellung von Makros für ein NC-Steuerungsprogramm an Fräsmaschinen. Auf Seite 71, unten, ist unter „CATIA Macro Components“ die Möglichkeit beschrieben, eine Werkzeugachsenrotation bei einem allgemeinen Einlaufweg („approach path“) des Fräswerkzeugs bis zum Startpunkt der eigentlichen Bearbeitungsfräsbahn zu definieren. Eine technische Lehre, das Fräswerkzeug beim Eintauchen zu verschwenken ist der D3 jedoch damit nicht zu entnehmen.

56

Die im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin neu genannte D4 wurde nur hinsichtlich des Anspruchs 14 genannt.

57

Insbesondere gibt keine dieser Druckschriften dem Fachmann Hinweise darauf, wie die Last beim Eintauchvorgang des Fräswerkzeugs in das Werkstück zu begrenzen sei, um die Lebensdauer des Fräswerkzeugs nicht zu verringern.

58

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Fachmann ausgehend von der D1 auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens und Fachkönnens nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gelangt.

59

Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.

60

7. Die geltenden Unteransprüche 2 bis 14 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen des streitpatentgemäßen Verfahrens nach dem Patentanspruch 1, die über Selbstverständlichkeiten hinausreichen.

61

Sie haben daher ebenfalls Bestand.

62

8. Der Einspruchsgrund der unzureichenden Offenbarung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG ist nicht zu überprüfen, weil dieser Einspruchsgrund ausweislich der Schriftsätze sowie des Protokolls über die Anhörung vor der Patentabteilung, dessen Richtigkeit selbst die Einsprechende nicht bestreitet, und der schriftlichen Begründung des Beschlusses, datiert vom 15. September 2011, im Einspruchsverfahren von der Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist. Vielmehr war die mit der Beschwerde angegriffene Einspruchsentscheidung der Patentabteilung ausschließlich auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. §§ 3 und 4 PatG gestützt. Die Patentinhaberin hat der Zulassung dieses neuen Widerrufsgrundes auch ausdrücklich widersprochen, so dass auf diesen sachlich nicht einzugehen ist (vgl. BGH GRUR 1995, 333 – Aluminium-Trihydroxid; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 59, Rn. 196).