Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 27.10.2014


BPatG 27.10.2014 - 8 W (pat) 26/09

Patentbeschwerdeverfahren – „Vorrichtung zum Einspannen von Werkzeugen oder Werkstücken“ – zur Zulässigkeit des Einspruchs – Einsprechende hat einen nachvollziehbaren Gedankenweg aufgezeigt, mit dem sie zum Nahegelegtsein des kennzeichnenden Merkmals des Patentanspruchs gelangt – Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt – Versagung der des Anhörungsantrags stellt einen Verfahrensmangel dar - Rückzahlung der Beschwerdegebühr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
27.10.2014
Aktenzeichen:
8 W (pat) 26/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 103 17 097

hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 27. Oktober 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Zehendner und die Richter Kätker, Dipl.-Ing. Rippel und Dipl.-Ing. Dr. Dorfschmidt

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. März 2009 aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

3. Der Antrag der Patentinhaberin, der Einsprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Auf die am 14. April 2003 eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 103 17 097 mit der Bezeichnung „Vorrichtung zum Einspannen von Werkzeugen oder Werkstücken“ erteilt und die Erteilung am 15. November 2007 veröffentlicht worden.

2

Hiergegen richtet sich der am 15. Februar 2008 eingegangene Einspruch. Der Einspruch ist mit einem Schriftsatz der Patentanwälte R… vom 13. Februar 2008 eingelegt worden. Als (einzigen) Hinweis auf die Person des Einsprechenden enthält die Einspruchsschrift auf Seite 3 folgenden Satz:

3

„Die einsprechende W… GmbH ist aus der W1… AG heraus als Ausgründung des Geschäftszweigs Maschinenbau entstanden, wodurch die W… GmbH über die den Maschinenbau betreffenden Aktivitäten der W1… AG bestens informiert ist.“

4

Außerdem wird in der Einspruchsschrift auf eine Auftragsbestätigung der W1… AG vom 24. September 1997 Bezug genommen, die auch als Anlage beigefügt ist. Als Ausstellerin der Auftragsbestätigung erscheint darin (auf jeder Seite jeweils im vorgedruckten Fuß unten) eine W1…AG, die dort mit Firma, Adresse, Telekommunikationsverbindungen, Handelsregister-Nr. und Namen von Vorständen und Aufsichtsrat bezeichnet ist.

5

Zur Begründung des Einspruchs wird in der Einspruchsschrift zunächst eine offenkundige Vorbenutzung durch die W1… AG geltend gemacht. Dieses Unternehmen habe Schleifmaschinen und zugehörige Umrüstsätze, aus denen sich die Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents ergäben, vor dessen Anmeldetag ohne Geheimhaltungsverpflichtung an Dritte geliefert.

6

Überdies sei der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents durch den druckschriftlichen – bereits im Erteilungsverfahren gewürdigten – Stand der Technik nach DE 44 15 466 A1 und DE 35 06 901 C1 nahegelegt und damit nicht erfinderisch. Umrüstsätze gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 seien aus der DE 44 15 466 A1 bekannt, die offenbar als Basis für die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 herangezogen worden sei. Die dann im Kennzeichen beanspruchte dauerhafte Kopplung zwischen Spannelement und Adapterspannorgan verstehe sich von selbst. Die Einsprechende verweist dazu auf die DE 35 06 901 C1, die ein mit einer Greiferhülse in formschlüssigen Eingriff stehendes Spannorgan 17 zeige. Dieser formschlüssige Eingriff sei ebenso gut eine dauerhafte Kopplung wie eine Verschraubung, die im Streitpatent beispielsweise zwischen Zugstange 30 und Adapterspannorgan 32 oder der Hülse 92 vorgesehen sei. Da Verschraubungen bei Bedarf lösbar seien, meine das Kennzeichen des Anspruchs 1 offenbar lösbare Verbindungen, die auch in Figur 1 der DE 35 06 901 C1 offenbart seien. Dem Fachmann sei klar, dass er das Adapterspannorgan mit einer Spanneinrichtung koppeln müsse und dass es dazu einer Verbindung bedürfe, was in der Natur der Spannvorrichtung liege. Hierfür eine dauerhafte Verbindung vorzusehen, wozu nach den Ausführungsformen des Streitpatents auch (lösbare) Verschraubungen zählten, sei nicht erfinderisch.

7

Nachdem die Patentabteilung (Zwischenbescheid vom 7. November 2008) und die Patentinhaberin (Schriftsatz vom 17. Dezember 2008) die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage gestellt haben, hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 25. Februar 2009 einen Antrag auf mündliche Anhörung gestellt.

8

Mit Beschluss vom 25. März 2009 hat die Patentabteilung 14 den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es dahingestellt bleiben könne, ob der Einspruch im eigenen Namen der unterzeichnenden Patentanwälte oder Namens und im Auftrag der W… GmbH in T… erhoben worden sei, jedenfalls genüge er nicht den Anforderungen an die Substantiierung des Einspruchs aus § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG. Soweit die Einsprechende eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht habe, sei der Einspruchsschrift nicht zu entnehmen, wer, wann und mit welchem Lieferumfang die fragliche Maschine bestellt habe, ob und wann diese überhaupt ausgeliefert und damit offenkundig geworden sei, und ob überhaupt (ggf. wann und an wen) Spannzylinder und Umrüstsätze bestellt oder geliefert worden seien. Der angebotene Zeugenbeweis konkretisiere nicht, was vom Zeugen bestätigt werden solle.

9

Auch die Ausführungen der Einsprechenden zum druckschriftlichen Stand der Technik genügten nicht den Anforderungen an die Substantiierung des Einspruchs. Die Einsprechende habe nur pauschal auf den Stand der Technik nach den beiden o.g. Druckschriften verwiesen, ohne sich im Einzelnen mit deren Gegenständen auseinanderzusetzen. Sie habe lediglich ausgeführt, dass für den Durchschnittsfachmann klar gewesen sei, das Adapterspannorgan mit einer Spanneinrichtung zu koppeln und dass es naheliegend sei, dass es dazu einer Verbindung bedürfe. Im Übrigen habe die Einsprechende nur pauschal auf die auf dem Deckblatt der D8 vermerkten Druckschriften verwiesen. Es fehle jede Darlegung, wie und warum sich dem Fachmann aus dem Bekannten die Erfindung in naheliegender Weise und ohne erfinderisches Tätigwerden erschließen solle.

10

Die von der Einsprechenden beantragte Anhörung, die der Klärung von Substantiierung und Zulässigkeit des Einspruchs dienen solle, sei „nicht als zur Sache gehörig anzusehen“, da die Voraussetzungen für die Klärung der Sachlage bereits mit Zwischenbescheid vom 7. November 2008, der Eingabe der Patentinhaberin vom 17. Dezember 2008 und dem Schriftsatz der Einsprechenden vom 25. Februar 2009 geschaffen worden seien. Zudem könnten die Zulässigkeit des Einspruchs begründende Tatsachen nur innerhalb der Einspruchsfrist wirksam vorgebracht werden.

11

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie ist der Auffassung, dass sie ihren Einspruch ausreichend substantiiert hat, was sie näher ausführt. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin ergebe sich aus dem Einspruchsschriftsatz auch die Person der Einsprechenden.

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Die Einsprechende beantragt,

13

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Patentamt zurückzuverweisen,

14

hilfsweise den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

15

Die Patentinhaberin beantragt,

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„den Einspruch der Einsprechenden als unzulässig zu verwerfen“ (gemeint offenbar: die Beschwerde zurückzuweisen),

17

der Einsprechenden die Kosten des Verfahren aufzuerlegen.

18

Sie meint, dass die Patentabteilung den Einspruch angesichts der lückenhaften Einspruchsbegründung zu Recht als unzulässig verworfen habe. Der gesamte Vortrag der Einsprechenden, insbesondere zu der von ihr geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung, sei rein spekulativ und lasse belastbare Fakten vermissen.

19

Soweit der Senat hingegen im Zwischenbescheid vom 15. Juli 2014 die vorläufige Rechtsauffassung vertreten habe, dass der Einspruch im Hinblick auf die darin enthaltenen Ausführungen zum druckschriftlichen Stand der Technik ausreichend substantiiert sei, tritt die Patentinhaberin dieser Auffassung entgegen. Dies gelte insbesondere für die (vorläufige) Auffassung des Senats, dass sich die Einspruchsschrift zur Darlegung der Bekanntheit der oberbegrifflichen Merkmale auf kurze Verweise auf die Druckschriften DE 44 15 466 A1 und DE 35 06 901 C2 beschränken könne, weil diese Druckschriften bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigt worden und ihr Offenbarungsgehalt daher dem Patentamt und der Patentinhaberin als den maßgeblichen Adressaten der Einspruchsbegründung bekannt seien. Dem hält die Patentinhaberin die in der Kommentarliteratur vertretene Definition der ausreichenden Substantiierung entgegen. Danach sei eine Einspruchsbegründung ausreichend substantiiert, wenn sie die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Einzelnen so darlegt, dass Patentamt und Patentinhaber daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne eigene Ermittlungen ziehen könnten. Wenn Patentamt und Patentinhaber aber ihre eigenen Akten „studieren“ müssten, um die Einspruchsbegründung zu interpretieren, so sei ein solches Studium der eigenen Akten selbstverständlich als eigene Ermittlung zu werten. Zudem sei die Prüfungsstelle im damaligen Erteilungsverfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch unter Berücksichtigung der beiden o. g. Dokumente patentfähig sei. Selbst wenn man also (fehlerhaft) ein Studium der eigenen Akten der Patentinhaberin und des Patentamts mit einbeziehen würde, so ließe dies keine Rückschlüsse zu, die ein unsubstantiiertes Vorbringen heilen könnten.

20

Patentinhaberin und Patentamt könne es nicht zugemutet werden, sämtliche Unterlagen des Prüfungsverfahrens zu studieren, um die Ausführungen der Einsprechenden in irgendeiner Weise interpretieren zu können. Vielmehr müsse ein Einsprechender sämtliche tatsächlichen Umstände derart darlegen, dass es Patentamt und Patentinhaber möglich sei, ohne eigene Ermittlungen abschließende Folgerungen über das (Nicht-) Vorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen zu können. Pauschale Verweisungen reichten hierfür nicht. Vorliegend genüge die Einspruchsbegründung diesen Anforderungen nicht, was die Patentinhaberin näher ausführt.

21

Zudem sei der Einspruch aus schon deshalb unzulässig, weil die Person des Einsprechenden nicht innerhalb der Einspruchsfrist geklärt sei. Zwar sei in der Einspruchsschrift als Einsprechende die „W… GmbH“ (ohne Adresse) angegeben, auch könne die „W1… AG“ durch die Anlage E1 zur Einspruchsschrift identifiziert werden. Hieraus ließen sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Identität der Einsprechenden ziehen, da die W1… AG eben nicht die Ein sprechende sein solle. Erst mit dem am 27. Februar 2008, also außerhalb der Einspruchsfrist, nachgereichten Handelsregisterauszug der W… GmbH sei die Einsprechende identifizierbar geworden.

22

Die Patentinhaberin wendet sich auch gegen die im Zwischenbescheid geäußerte Neigung des Senats zur Zurückverweisung an das Patentamt. Zunächst sei es unerheblich, ob die Einsprechende im Falle einer Zurückverweisung das (mit ihrem Hauptantrag eingegangene) Risiko trage, weiteren Tatsachenstoff zur Begründung der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung mit fortschreitendem Zeitablauf nicht mehr beschaffen zu können, denn nach Ablauf der Einspruchsfrist könne sie ohnehin keinen weiteren Sachvortrag nachreichen. Zudem habe der Senat im Zwischenbescheid einseitig die Belange der Einsprechenden berücksichtigt. Zugunsten der Patentinhaberin müsse jedoch auch berücksichtigt werden, dass sie durch die Fortführung des bereits seit 2008 anhängigen Einspruchsverfahrens massiv an der Verwertung ihres Patents gehindert werde. Ihr entstünden durch die lange Verfahrensdauer erhebliche Mehrkosten, die ihr bei einem zulässigen Einspruch nicht entstanden wären, da dieser zügig hätte geprüft werden können. Der Einsprechenden seien daher auch die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, das sie durch ihren unsubstantiierten Einspruch in die Länge ziehe.

II.

23

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als der angegriffene Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung der Anmeldung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen ist, § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 PatG.

24

2. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, da der Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen worden ist.

25

a) Zunächst geht entgegen der Auffassung der Patentinhaberin aus der Einspruchsschrift und den mit ihr vorgelegten Begleitunterlagen hinreichend deutlich die Person der Einsprechenden hervor.

26

Die Identität des Einsprechenden muss innerhalb der Einspruchsfrist feststehen, damit für Amt und Gegner klar ist, wer Verfahrensbeteiligter ist. Es bedarf der eindeutigen Erkennbarkeit der Person des Rechtsbehelfsführers, weil der Rechtsbehelf nur in Verbindung mit einer bestimmten Person denkbar ist, von der sie ausgeht (Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 59, Rn. 77; Busse, Patentgesetz, 7. Aufl., § 59, Rn. 45, jew. m. w. N.). Es genügt aber, wenn die Person des Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist aus amtlich verfügbaren Unterlagen ermittelbar ist. Insbesondere müssen die erforderlichen Angaben nicht in der Einspruchsschrift selbst enthalten sein. Ausreichend ist es, wenn sich die Identität des Einsprechenden bei verständiger Würdigung der beim DPMA befindlichen Unterlagen innerhalb der Einspruchsfrist ohne weitere Nachforschung zweifelsfrei bestimmen lässt.

27

Nach diesen Grundsätzen ist die Person der Einsprechenden vorliegend innerhalb der Einspruchsfrist hinreichend identifiziert. Aus dem in der Einspruchsschrift enthaltenen Satz

28

„Die einsprechende W… GmbH ist aus der W1… AG her- aus als Ausgründung des Geschäftszweigs Maschinenbau entstanden, wodurch die W… GmbH über die den Maschinenbau be- treffenden Aktivitäten der W1… AG bestens informiert ist.“ (S. 3, 2. Abs. der Einspruchsschrift),

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geht hervor, dass nicht irgendeine W… GmbH den Einspruch er- hoben hat, sondern diejenige, die aus einer W1… AG als Ausgründung heraus entstanden ist. Diese Muttergesellschaft ist in der zusammen mit der Einspruchsschrift als Anlage E1 vorgelegten Auftragsbestätigung vom 15. Oktober 1997 genauestens bezeichnet, denn dort befinden sich auf jeder Seite unten Angaben wie Name, Adresse, Telefon-/Fax/Telex-Nr., Daten der Handelsregistereintragung, Namen der Vorstände und Namen des Aufsichtsratsvorsitzenden. Geht man bei lebensnaher Betrachtung davon aus, dass eine Aktiengesellschaft nicht mehrere Gesellschaften mit beschränkter Haftung gleichen Namens ausgliedert, zumal eine solche Mehrfachvergabe identischer Namen auch registerrechtlich nicht zulässig wäre, so steht auch ohne Nachforschungen nur eine ganz bestimmte W… GmbH als einzig in Betracht kommende Einsprechende fest, nämlich diejenige, die aus einer ganz bestimmten W1… AG (vgl. Daten der Auftragsbestätigung) ausgegründet worden ist. Damit ist eine eindeutige Zuordnung des Einspruchs zu einer bestimmten Person gewährleistet. Weitere Daten, wie die Adresse o. Ä., können dann auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgeholt werden.

30

b) Entgegen der Auffassung der Patentabteilung und der Patentinhaberin ist der Einspruch auch ausreichend mit Gründen versehen (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG). Ausreichend substantiiert ist eine Einspruchsbegründung, wenn sie die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Einzelnen so darlegt, dass Patentamt und Pateninhaber daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufgrunds ohne eigenen Ermittlungen ziehen können (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 85).

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(Allein) der sich mit dem druckschriftlichen Stand der Technik befassende Begründungsteil ab Seite 6 der Einspruchsschrift genügt diesen Anforderungen. Dort hat die Einsprechende zunächst kurz behauptet, dass Umrüstsätze gemäß Oberbegriff des Anspruchs 1 aus der DE 44 15 466 A1 bekannt seien und dass diese Druckschrift offenbar als Basis für die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 herangezogen sei. Darin liegt die Behauptung, dass die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 in der Druckschrift offenbart seien, was die Einsprechende durch einen Hinweis auf Fig. 3 illustriert, die eine Adapterbuchse 60 zeige. Zwar ist diese Darlegung der Bekanntheit der oberbegrifflichen Merkmale des Anspruchs 1 aus dem druckschriftlichen Stand der Technik äußerst kurz und könnte unter anderen Umständen als unzureichende pauschale Behauptung der Bekanntheit des Oberbegriffs anzusehen sein (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 99). Hier allerdings geht aus der von der Einsprechenden geäußerten Vermutung, dass die o. g. Druckschrift als Basis für die Merkmale des Oberbegriffs herangezogen worden sei, und aus der anschließenden, vergleichsweise längeren Passage des Begründungsteils zum kennzeichnenden Merkmal hervor, dass die Einsprechende den Kern der patentierten Erfindung allein im kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 sieht. Unter diesen Umständen erscheint das äußerst kurze Eingehen der Einsprechenden auf die oberbegrifflichen Merkmale und die anschließende Auseinandersetzung mit dem kennzeichnenden Merkmal als Kern der patentierten Erfindung noch ausreichend (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 89, Busse, § 59, Rn. 109).

32

Dabei dürfte es – worauf es hier aber nicht entscheidungserheblich ankommt – zusätzlich zugunsten einer ausreichend substantiierten Einspruchsbegründung sprechen, dass die beiden angeführten Druckschriften DE 44 15 466 A1 und DE 35 06 901 C1 bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden sind, so dass Patentamt und Patentinhaber als maßgebliche Adressaten der Einspruchsbegründung (vgl. o. g. Definition bei Schulte, a. a. O., Rn. 85) die Druckschriften und die Diskussion ihres Offenbarungsgehalts kennen oder zumindest den eigenen Akten entnehmen können. Soweit die Patentinhaberin darauf abgestellt hat, dass das Studium der eigenen Akten „selbstverständlich als eigene Ermittlung“ zu werten sei, so dass die o.g. Definition der ausreichenden Substantiierung nicht erfüllt sei, hat sie den Senat damit nicht überzeugen können. Die ergänzende Heranziehung von Aktenteilen aus dem Erteilungsverfahren, deren Inhalte von Patentamt und Anmelder bzw. Patentinhaber selbst geschaffen worden sind, kann nicht als „Ermittlung“ nicht vorhandenen Tatsachenstoffs o. Ä. sondern nur als Erinnerungshilfe oder Unterstützung bei der Wiedereinarbeitung in bereits dargelegte technische Zusammenhänge angesehen werden.

33

Dies braucht hier indes nicht abschließend entschieden zu werden. Die Einsprechende hat jedenfalls im Anschluss an den äußerst knappen Vortrag zur Bekanntheit der oberbegrifflichen Merkmale aus DE 44 15 466 A1 unter zulässiger Schwerpunktbildung einen Gedankenweg dargelegt, dass und warum sie das kennzeichnende Merkmals des Patentanspruchs 1 des Streitpatents als Kern der Erfindung nahegelegt ansieht:

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Nachdem sie die DE 44 15 466 A1 als die Oberbegriffsmerkmale offenbarend (und damit sinngemäß auch als einen möglichen Ausgangspunkt) herangezogen hat, hat sie auf Seite 6, 2. Absatz der Einspruchsschrift zunächst darauf hingewiesen, dass in DE 35 06 901 C1 das Spannorgan 17 und die dem Adapterspannorgan entsprechende Greiferhülse 8 in formschlüssigen Eingriff miteinander stünden. Weiter hat sie ihre technische Einschätzung geäußert, dass dieser formschlüssige Eingriff ebenso gut eine dauerhafte Kopplung darstelle wie etwa die im Streitpatent ersichtliche Verschraubung (mit Verweis auf Figur 1 der Streitpatentschrift: Verschraubung zwischen Zugstange 30 und Adapterspannorgan 32 sowie auf Figur 3: Verschraubung der Hülse 92). Sodann hat sie sinngemäß eine Auslegung des Begriffs „koppelbar“ vorgenommen und diesen aufgrund der im Streitpatent gezeigten Verschraubungsverbindung als lösbare bzw. als „feste, im Prinzip aber doch lösbare Verbindung(en)“ interpretiert. Um genau eine solche handele es sich bei der Vorrichtung gemäß Figur 1 der DE 35 06 901 C1. Alsdann hat die Einsprechende das Fachwissen des Fachmanns angeführt, dem klar sei, dass er das Adapterspannorgan mit einer Spanneinrichtung koppeln müsse und es dazu – aufgrund der Natur der eine Kraftübertragung erfordernden Spannvorrichtung – einer Verbindung bedürfe. Schließlich hat die Einsprechende den Schluss gezogen, dass das Vorsehen einer „dauerhaften“ Verbindung demnach keine erfinderische Tätigkeit begründe, zumal dieser Begriff – wie von ihr dargelegt – sehr weit aufzufassen sei und auch Verschraubungen umfasse.

35

Ob dies letztlich überzeugend ist, mag dahinstehen. Jedenfalls hat die Einsprechende einen nachvollziehbaren (i.S. v. nachverfolgbaren) Gedankenweg aufgezeigt, mit dem sie zum Nahegelegtsein des kennzeichnenden Merkmals des Anspruch 1 des Streitpatents und damit zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit, mithin zum Vorliegen des Einspruchsgrunds nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. § 4 PatG gelangt. Patentamt und Patentinhaber sind nun ohne eigene Ermittlungen in der Lage, anhand dieses Vortrags die Patentfähigkeit beurteilen zu können, auch wenn nicht jedes Merkmal einzeln behandelt worden ist. Nach alledem ist der Begründungsteil des Einspruchs zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik substantiiert. Da er bereits für sich genommen eine vollständige Darlegung des einzig geltend gemachten Einspruchsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG darstellt, ist der Einspruch damit insgesamt substantiiert und somit letztlich zulässig eingelegt worden. Der angefochtene Verwerfungsbeschluss der Patentabteilung war damit aufzuheben.

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3. Der Senat sieht davon ab, die Sache selbst zu entscheiden und verweist sie nach § 79 Abs. 3 PatG an das Patentamt zurück. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn einer der in Nr. 1 bis 3 aufgeführten Zurückverweisungsgründe vorliegt.

37

a) Hier liegt zunächst ein Zurückverweisungsgrund nach § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG vor, denn das Patentamt hat noch nicht in der Sache selbst entschieden (Nr. 1), da die Verwerfungsentscheidung auf Gründen beruhte, die ein Eingehen auf die Frage des Vorliegens des geltend gemachten Einspruchsgrunds entbehrlich gemacht hat.

38

b) Darüber hinaus liegt auch ein Zurückverweisungsgrund nach § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG vor, denn das Verfahren vor dem Patentamt leidet an einem wesentlichen Mangel, da eine zwingend gebotene Anhörung zu Unrecht versagt worden ist. Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 25. Februar 2009 einen Antrag auf Anhörung gestellt, dem nicht entsprochen worden ist. Zur Begründung der Versagung des Anhörungsantrags hat die Patentabteilung im angefochtenen Beschluss sinngemäß Erwägungen der Sachdienlichkeit vorgenommen (Seite 8, unter Ziffer III. des Beschlusses). Eine Anhörung im Einspruchsverfahren ist jedoch nach § 59 Abs. 3 PatG in der seit dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung auf Antrag eines Beteiligten zwingend durchzuführen, selbst wenn die Patentabteilung beabsichtigt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen (vgl. Schulte, a. a. O., § 59, Rn. 229 mit Verweis auf BGH GRUR 2010, 361 – Dichtungsanordnung). Eine Rechtsgrundlage für die Versagung einer beantragten Anhörung bei fehlender Sachdienlichkeit oder Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, wie dies in § 46 PatG a. F. oder in § 79 II 3 PatG vorgesehen ist, fehlt hingegen in § 59 PatG. Damit ist der Anspruch der Einsprechenden auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden, so dass ein erheblicher Verfahrensfehler vorliegt.

39

c) Der Senat macht von seinem ihm nach § 79 Abs. 3 PatG gewährten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er davon absieht, in der Sache selbst zu entscheiden und sie an das Patentamt zurückverweist.

40

Als Ermessenserwägungen berücksichtigt der Senat einerseits, dass die insgesamt lange Verfahrensdauer, insbesondere in der Beschwerdeinstanz, eher für eine baldige abschließende Entscheidung und damit gegen eine Zurückverweisung sprechen dürfte. Andererseits spricht das Vorliegen von gleich zwei Zurückverweisungsgründen nach § 79 Abs. 3 PatG deutlich für eine Nachholung eines ordnungsgemäßen, auf eine Sachentscheidung gerichteten patentamtlichen Verfahrens. Dabei hat der Senat auch zu berücksichtigen, dass die durch die Gehörsverletzung und die unrichtige Verwerfungsentscheidung in ihren Rechten verletzte Einsprechende mit Hauptantrag die Zurückverweisung begehrt und damit deutlich macht, dass sie sich nicht mit einem Instanzenverlust abfinden will, zugleich aber auch das mit der Zurückverweisung einhergehende Risiko zu tragen bereit ist, dass etwaiger ergänzend benötigter Tatsachenstoff für die erfolgreiche Geltendmachung der offenkundigen Vorbenutzung mit fortschreitender Zeit nicht mehr beschafft werden kann.

41

Soweit die Patentinhaberin hiergegen einwendet, dass sämtlicher neuer Tatsachenvortrag ohnehin als verspätet zu verwerfen sei, entspricht dies nicht den Grundsätzen des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Einspruchsverfahrens nach deutschem Recht. Ist der Einspruch zulässig erhoben, so kann auch spätes Vorbringen, wenn es erheblich ist, nicht übergangen werden (vgl. Schulte, a. a. O., Einleitung Rn. 206-209; § 59, Rn. 206).

42

Weiter berücksichtigt der Senat auch den von der Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 12. September 2014 genannten Umstand, dass die Patentinhaberin in der ungehinderten Verwertung ihres Schutzrechts beeinträchtigt ist, solange es einspruchsbehaftet ist. Allerdings ist eine Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 PatG für den Anmelder oder Patentinhaber immer mit einer Verlängerung des Erteilungs- oder Einspruchsverfahrens verbunden. Da das Gesetz in § 79 Abs. 3 PatG die Möglichkeit der Zurückverweisung ausdrücklich vorsieht, kann die damit notwendigerweise verbundene Verfahrensverlängerung und Einspruchsbehaftung des Streitpatents kein durchgreifender Grund sein, allein deshalb schon von einer Zurückverweisung abzusehen. Letztlich sprechen in der Gesamtbetrachtung gewichtigere Gründe zugunsten einer Zurückverweisung, so dass der Senat sein Ermessen in letzterem Sinne ausübt.

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4. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG entspricht der Billigkeit. Die Patentabteilung hat die von der Einsprechenden beantragte Anhörung ohne Rechtsgrundlage aus Gründen fehlender Sachdienlichkeit versagt. Der Verfahrensfehler ist auch kausal für die Zahlung der Beschwerdegebühr. Denn die Einsprechende hätte in einer Anhörung möglicherweise die Patentabteilung von der Zulässigkeit des Einspruchs überzeugen können, so dass sie zumindest eine abschließende Sachentscheidung erreicht hätte. Damit hätte die Beschwerdeeinlegung und Zahlung der Beschwerdegebühr vermieden werden können. Die Möglichkeit, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre, reicht aus, um die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers zu begründen (vgl. Busse, a. a. O., § 80, Rn. 93; Schulte, a. a. O., § 73, Rn. 142).

44

5. Nachdem kein unsubstantiierter Einspruch vorliegt, mit dem die Einsprechende – wie die Patentinhaberin meint – das Einspruchsverfahren unlauter in die Länge zieht, hat der Senat keinen Grund, der Einsprechenden nach § 80 Abs. 1 PatG die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der dahingehende Antrag der Patentinhaberin war daher zurückzuweisen.